1 ...6 7 8 10 11 12 ...17 Als Herwig, Grzyek und Müllenbeck den Keller betraten, waren die Kollegen von der Spurensicherung gerade dabei, alle Details fotografisch festzuhalten und potentielle Beweismittel einzutüten, damit endlich jemand kommen und das Gekrabbel wegräumen konnte. Von irgendwoher war ein verdächtig vertrautes Würgegeräusch zu hören.
„Ein Neuer?“, fragte Herwig und nickte in Richtung der Geräusche.
„Nein“, grinste vom Stein. „Ein angehender Schriftsteller, der unbedingt praxisnah recherchieren wollte, bevor er anfängt zu schreiben.“
„Na, wenn der mal nicht eine ordentliche Schreibblockade hat, nach dem Erlebnis“, meinte Grzyek trocken. „Wer weiß, vielleicht wird es dann doch eher ein Selbsterfahrungsbericht, als ein Krimi.“
Doch wenn sie alle ehrlich zu sich selber gewesen wären, hätten sie sich sicherlich liebend gern dazu gestellt. So einen Anblick brachte einem der Alltag selbst in ihrem Job nicht oft.
Zum Glück nicht.
„Kannst du schon irgendwas sagen, Vanessa? Irgendwas, was dir ins Auge gesprungen ist?“
Als vom Stein sich zu Herwig umdrehte, um ihm zu antworten, lächelte sie schief. Seine Wortwahl hatte etwas ungewollt Komisches, bei all dem Gewusel zu ihren Füßen.
„Nichts, was euch weiterhelfen würde oder was ihr nicht selber seht. Ich muss sie wirklich erst genauer untersuchen. Ich kann euch aber sicher im Verlaufe des Abends Näheres zum vermuteten Todeszeitpunkt sagen und ob sie schon tot war, bevor man sie den Tieren überließ. Eigentlich kann man das nur für sie hoffen...“
Sie alle überlief bei ihren Worten ein unangenehmes Schaudern. Selbst Müllenbeck ahnte, ohne die „dazugehörige“ Folge zu kennen, dass die Frau keineswegs schon vorher tot war.
„Was ist mit dem Mieter, dem der Keller hier gehört? Hat man den schon aufgetrieben?“, wollte Grzyek wissen.
„Nicht dass ich wüsste. Aber sie suchten gerade nach diesem Biesenbach, der die Tote gefunden hat. Kurz bevor ihr herein gekommen seid. Als Hausmeister soll er wohl von allen Türen einen Zweitschlüssel besitzen.“
„Oh, den dürfte seine Frau inzwischen bei den Kollegen abgeliefert haben“, grinste Müllenbeck in Erinnerung an die Szene vor dem Haus.
„Dann gehen wir doch mal sehen, ob sie die Wohnung schon auf haben!“
Frey und Haferkorn waren, von zwei Uniformierten bewacht, im Hausflur zurückgeblieben und schwiegen sich an. Der mindestens faustgroße Knoten im Hals des Schauspielers hätte auch gar keine Unterhaltung zugelassen und Haferkorn war dankbar für jede Minute, in der ihm eine peinliche Beichte erspart blieb.
Schließlich hielt er es aber einfach nicht mehr aus. Die Vorstellung, dass Christoffer ihn nach allem was er wusste, für den Mörder halten musste, war unerträglich für ihn. Lieber die Verachtung in den Augen seines Freundes sehen, für das, was er wirklich getan hatte, als die Hilflosigkeit, die Freys ganze Erscheinung derzeit ausdrückte.
„Christoffer, bitte, lass mich dir erklären...“, begann er unsicher.
Dieser sah ihn zwar an, zuckte aber nur resigniert mit den Schultern. Was auch immer Walter ihm zu sagen hatte, er glaubte nicht, dass er es hören wollte. Aber er hätte ja nicht einmal mehr die Kraft gehabt, ihn davon abzuhalten, also wartete er auf das Unvermeidbare.
„Ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wie ich anfangen soll … und wie ich Elli das alles erklären soll …“
„Vielleicht solltest du erst mal der Polizei erklären, was du getan hast!“, giftete Frey ihn an. Ohne jede Vorwarnung war der Knoten in einer Explosion aufgegangen und eine Welle der Wut und Verzweiflung übermannte ihn, die ihn zu zerreißen drohte.
„Die wollen mir diese Morde anhängen! Mir ! Warum???“ Wild gestikulierend stapfte Frey unter den wachsamen Augen der Kriminalbeamten den Hausflur auf und ab. „Was zum Teufel hast du getan, Walter?“
Haferkorn sah betreten zu Boden. Er konnte seinem Freund einfach nicht in die Augen gucken.
„Walter!“
„Ja. Ja, Du hast ja recht. Es ist alles meine Schuld. Ich hab' da Riesenbockmist gebaut! Das tut mir …!“
„Was? So Leid ?“, fuhr Frey ihm dazwischen und blieb wie angewurzelt stehen. „Oh, wie tröstlich!“
„Bitte, Christoffer!“, flehte Haferkorn. „Hör mich bitte an! Ich hab' das wirklich nicht gewollt.“ Er wirkte tatsächlich ziemlich zerknirscht und da Frey wusste, dass Walter in Sachen Schauspielerei vollkommen talentfrei war, glaubte er ihm sogar. „Nun, ich höre!“
Haferkorn sah sich verstohlen um. Er hätte sich all die Polizisten am Liebsten weggewünscht, aber er musste wohl damit leben, dass zumindest die Beiden in unmittelbarer Nähe sein Geständnis miterleben würden. Er holte noch einmal tief Luft, dann begann er zögerlich, später aber zunehmend hastiger redend, seine Geschichte zu erzählen.
Er berichtete von seiner Erkenntnis, dass Elli und er sexuell unterschiedlich gepolt seien, was er gegen seine immer intensiver werdenden Bedürfnisse unternommen und wie er sie über Jahre hinweg heimlich ausgelebt hatte. Dass er Elli nicht verlieren wollte und deshalb so gehandelt hätte. Wie er schließlich an das illegale Programm gekommen war, das ihm völlig neue Möglichkeiten bot. Dass er Elli nicht verlieren wollte und nur aus diesem Grund solche Filme gesehen hätte und wie ihm schier das Herz stehengeblieben war, als er die Filme von den Morden entdeckt habe. Dass er aber nicht zur Polizei gehen konnte, weil er Elli ja nicht verlieren wollte und deshalb auf die Idee gekommen war, der Presse einen Wink zu geben und wie es dazu gekommen war, dass er das von Freys Computer aus getan hatte. Und natürlich, dass er Elli nicht verlieren wolle.
„Ich habe keine Ahnung, was mich da geritten hat“, schloss Haferkorn seinen Bericht. „Ich schätze mal, ich wollte dem Ganzen den nötigen Nachdruck verleihen – und habe wohl deshalb mit Tom Lenz unterschrieben.“
Einen kurzen Moment lang hatte er das Gefühl, einen Befreiungsschlag getan zu haben, doch als er sah, dass Frey ihn wie einen ekeligen Außerirdischen musterte, sackte er kraftlos in sich zusammen. Es war, wie er befürchtet hatte, sein Zögling, der immer zu ihm aufgeblickt hatte, worauf Haferkorn stets stolz gewesen war, hatte nur noch Verachtung für ihn übrig.
Während Frey noch nach der passenden Formulierung suchte, die seiner Abscheu den nötigen Ausdruck verliehen hätte, kam plötzlich Bewegung in den Flur. Das Ermittlerteam der SoKo „Brender ermittelt“ kam deutlich blasser als zuvor aus dem Keller zurück und erkundigte sich bei den beiden Beamten, die Frey und Haferkorn bewachten, wo die Wohnung des gesuchten Mieters zu finden sei.
Einer von ihnen konnte Auskunft geben, bat Herwig jedoch noch um ein Gespräch unter vier Augen.
„Dieser Haferkorn“, kam er gleich zur Sache, kaum dass sie etwas abseits waren. „Der hat hier gerade in unserem Beisein ein umfassendes Geständnis abgelegt. Er hat detailliert geschildert, dass er ein illegales Suchprogramm auf seinem Rechner habe, mit dem er nach Gewaltpornos gesucht und dabei die Filme von den Mordfällen, in denen Sie ermitteln, entdeckt habe. Um seinen eigenen Hals zu retten, habe er die Presse statt der Polizei informiert. Sollen wir sofort ein paar Leute losschicken und sein Gerät beschlagnahmen? Ihr Kollege Müllenbeck kann doch sicher an dieses Programm rankommen?“
Herwig musste nicht lange überlegen.
„Veranlassen Sie bitte schon mal alles Nötige während wir oben sind!“
Anerkennend schlug er dem Beamten auf die Schulter, der sich sofort auf den Weg machte und mit dem zuständigen Richter telefonierte, der ihnen die Durchsuchungsbefehle ausstellen sollte. Er redete in Höchstgeschwindigkeit auf den Mann ein und hatte das Anliegen schon geschildert, als Herwig wieder bei seinen restlichen Teampartnern ankam. Der Kommissar konnte nur staunen, zumal der Kollege gleichzeitig bereits - im wahrsten Sinne des Wortes - ein Team zusammenstellte, um es zu Haferkorns Privatwohnung und zu „HFP“ zu schicken.
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