1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 „Was gibt es Neues?,“ fragte sie angespannt nach einem Blick auf das Display. „Vanessa“, flüsterte sie den anderen zu, während sie zuhörte, was die Gerichtsmedizinerin inzwischen herausgefunden hatte. Außer „Mhm“ und „Aha“ gab Grzyek nicht viel von sich. Sie machte sich ein paar Notizen und legte schließlich auf, nicht ohne vorher darum zu bitten, sofort informiert zu werden, wenn sich etwas Neues ergeben sollte.
„Und?“ Herwig und Müllenbeck sahen sie erwartungsvoll an.
„Die tote Frau in dem Keller war, wie wir schon befürchtet haben, nicht schon vorher tot, sondern ist an dem starken Blutverlust durch die unzähligen Bisswunden gestorben. Wobei es schon ein paar Stunden gedauert haben muss, bis der Tod eingetreten ist. Vanessa schätzt den Todeszeitpunkt auf ungefähr drei bis vier Uhr in der vergangenen Nacht.
Sie muss so um die 30 Jahre alt gewesen sein. Die Identität der Frau zu klären, wird allerdings noch etwas dauern. Von den aktuellen Vermisstenanzeigen scheint jedenfalls keine zu passen.“
„Meine Güte, was für ein grausamer Tod.“ Müllenbeck war schon wieder recht blass geworden. Die Bilder vom Tatort würden ihn noch eine ganze Weile verfolgen.
„Was den Toten oben in der Wohnung angeht“, fuhr Grzyek fort, „so handelt es sich um den gesuchten Mieter. Sein Name ist Karl Scharf, deutsch stämmiger Pole, in den Achtzigern zum Studieren nach Deutschland gekommen und anschließend hier geblieben, alleinstehend, 57 Jahre alt, ein Sohn. Dieser hat ihn auch identifiziert.
Er war tatsächlich ein „Bote Gottes“, zumindest, bis ihn ein paar unvorteilhafte Ereignisse in seiner kleinen katholischen Gemeinde das Priesteramt gekostet haben. Bei einem dieser Ereignisse handelt es sich zum Beispiel um den, wie sich herausstellte, unehelichen Sohn. So was kann einem als Priester schon mal einen Karriereknick auf dem Weg zum Bischof einbringen.“
„Und die Todesursache bei diesem Scharf?“, wollte Herwig wissen.
„Wie vermutet Schlaftabletten. Keine Anzeichen von Gewalteinwirkung, nur eine Reihe Insektenstiche, die er sich wohl bei seiner Läuterungsmission geholt hat.“
„Ok, dann warten wir jetzt, bis die Kollegen mit Haferkorns Computer endlich eintrudeln. Was treiben die eigentlich so lange?“
Haferkorn hatten sie den Beamten, die zu seiner Privatadresse in Köln und zur Firma fahren sollten, um die illegale Software zu beschlagnahmen, gleich mitgegeben. Er war von der offenen Ablehnung, die Frey ihm gegenüber nach dem Geständnis zeigte, so erschüttert, dass er nur noch funktionierte und machte, was man ihm sagte. Kein lautes Herumpoltern mehr und auch sein Erscheinungsbild hatte deutlich gelitten.
In seiner Haut wollte Herwig jetzt nicht stecken, Haferkorn hatte seiner Frau so einiges zu erklären. Aber das Mitleid des Kommissars hielt sich in Grenzen. Schließlich hatte der Filmproduzent sich selber zuzuschreiben, was ihm nun widerfuhr.
Herwig telefonierte noch mit den Kollegen in Rostock und München und wollte wissen, ob da vielleicht auch männliche Selbstmörder aufgetaucht waren, die mit den Opfern der Morde in irgendeiner Weise im Zusammenhang stünden. Aufgefallen war dort bislang nichts, aber sie wollten die Suizide, die seit dem Fund der toten Frauen aufgetreten waren, dahingehend überprüfen und sich wieder melden.
Also beschlossen die Ermittler nachzusehen, was die Kantine zu bieten hatte, bis Haferkorns mysteriöses Programm endlich da wäre.
Köln Mediapark, am frühen Abend
Dieser hatte mittlerweile ein paar sehr unangenehme Momente erlebt. Nicht nur dass Kitty, ihre Sekretärin, die mit bürgerlichem Namen Jennifer Hölters hieß, noch in der Firma war, sie hatte auch noch Besuch gehabt. Als Haferkorn den Empfangsraum von HFP betreten hatte, war sie freudig überrascht vom Schoß ihres Freundes aufgesprungen und war ihm entgegengelaufen.
„Walter, da bist du ja endlich! Was ist denn hier los? Warum geht ihr nicht ans Telefon?“, fragte sie vorwurfsvoll. Dann hatte sie Haferkorns Begleitung entdeckt und war nur noch staunend beiseite getreten.
Walter verschwand in Begleitung von zwei Uniformierten wortlos in seinem Büro, während die übrigen sich im restlichen Gebäude verteilten und darauf warteten den Durchsuchungsbefehl zu vollstrecken, sollte Haferkorn nicht kooperieren und das richtige Gerät herausrücken. Diesen Durchsuchungsbefehl hielt einer der Beamten dann auch der verdutzten Kitty unter die Nase und bat sie und ihren Partner, sich ruhig zu verhalten und ihre Arbeit nicht zu behindern.
Haferkorn konnte sie von seinem Büro aus aufgeregt mit ihrem Freund tuscheln hören. Wie vielen Leuten würde er noch für seine Dummheit Rechenschaft ablegen müssen?
Das Schlimmste stand ihm dann aber zu Hause bevor, als er Elli gegenübertreten und seiner zuerst ungläubigen, später ziemlich wütenden Frau erklären musste, warum ein Dutzend Polizisten ihr Heim belagerte und ihn wie einen Verbrecher behandelte. Als er fertig gewesen war mit seinen zugegebenermaßen recht dürftigen Erklärungen, hatte er in ihren Augen die gleiche Enttäuschung und Abscheu gesehen, wie zuvor schon in Christoffers.
Doch anders als Frey, der mit eisigem Schweigen reagiert hatte, begann Elli eine leidenschaftliche Diskussion mit ihm und entwickelte sich, ganz entgegen ihrem Image als Bilderbuchoma regelrecht zum Derwisch. Die kleine zierliche Frau wirkte zwischenzeitlich größer als ihr Mann, hinter dem sie sonst beinahe verschwand.
„Wir werden Ihren Gatten jetzt erst noch einmal mit ins Präsidium nehmen müssen, Frau Haferkorn“, unterbrach ein Beamter ihre Tiraden, nachdem man sich davon überzeugt hatte, dass Haferkorn ihnen wirklich das fragliche Gerät überreicht hatte. „Sollte er nicht unser Gast bleiben, dürfen Sie ihn später gerne gesetzeskonform auseinander nehmen. Jetzt müssen wir aber erst mal los!“
Als er wieder im Wagen saß, plagten Walter arge Zweifel, ob er Elli überhaupt antreffen würde, sollte er wieder nach Hause dürfen. Vielleicht wären ein paar Tage U-Haft gar nicht so verkehrt.
Köln Deutz, später am Abend
Ungefähr zur selben Zeit, als die Polizeibeamten Haferkorn und seine beschlagnahmten Rechner im Büro der SoKo ablieferten, Christoffer Frey erschöpft über dem Scherbenhaufen seines bisherigen Weltbilds auf der Couch einschlief und Kitty dank der Künste ihres Freundes als Liebhaber zum ersten Mal in ihrem Leben auf einem Schreibtisch liegend zum Orgasmus kam, stürmte Hans-Jürgen Scharf mit wehendem Mantel durch die rostige Tür einer alten Lagerhalle in einem Industriegebiet in Köln Deutz.
Doch entgegen seiner Hoffnung, den Boss anzutreffen, fand er nur ihren gemeinsamen Komplizen Burak „Fat“ Cetin vor und der war der Letzte, den er jetzt brauchen konnte. Fat und ihn verband eine innige Feindschaft und der einzige Grund, warum sie sich noch nicht gegenseitig umgebracht hatten, war der Boss, an dessen Rockzipfel sie hingen, seit er sich ihrer in der gemeinsamen Zeit im Knast angenommen hatte.
Fat musterte ihn abschätzig. „Was ist los mit dir, Neo? Gibt’s Probleme?“
War sein Anblick etwa so erschütternd, dass Fat sein süffisantes Hans-Jürgen vergessen hatte?
„Kop nicht da?“, fragte Scharf, ohne auf Cetin einzugehen.
„Nee, im Puff oder so!“
Fluchend und laut aufheulend stampfte Scharf durch die Lagerhalle, in der sie sich ihren Treffpunkt eingerichtet hatten.
„So eine Scheiße! So eine verdammte Scheiße!“, tobte er und heulte so laut, dass es sich in der riesigen Halle anhörte, als mutiere er zum Werwolf.
„Jetzt beruhig dich mal, Alter!“, raunzte Cetin den jungen Mann an. Cetin hatte sich auf einen ruhigen Abend eingestellt und jetzt stresste diese Memme Neo hier rum!
Neo, wurde Scharf schon seit Jahren genannt, eigentlich, seit der Film Matrix '99 in die Kinos kam und allen Scharfs Ähnlichkeit mit Keanu Reeves aufgefallen war, der in dem Streifen die Hauptfigur „Neo“ spielte. Scharf, der bei einem Vornamen wie Hans-Jürgen froh war, dass er auf diesem Wege zu einem einigermaßen coolen Spitznamen gekommen war, hatte dann auch sogleich seinen Style dem neuen Namen angepasst und trug fortan nur noch Sonnenbrille und Ledermantel, selbstverständlich in schwarz, selbst wenn es 35°C im Schatten waren. Im Moment war er allerdings alles andere als cool.
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