Was heißt Dustin Hoffmann oder Jethro Tull?
Na gut, sagt der Beamte, aber wo der Name herkommt und wie man ihn ausspricht. Er stammt von meinem jüdischen Stiefgroßonkel mütterlicherseits, der Amerikaner war. Man sagt aber nicht Lusches, sondern Luzius.
Lucius war es leid, seinen Namen ständig erläutern zu müssen: Er hatte sich zuvor bereits clevere Anagramme überlegt, aber in Dieter Benecke waren einfach zu viele deutsch klingende Laute. Mit seiner spitzfindigen Verdrehungskunst wurde aus Joe Klose: Klo Jose, und aus dessen Sextett das Sex Jose Klosett, aber Bieter Denecke klang ebenso spröde wie Beter Dienecke oder Decker Bietene. Wenn aus Dieter Blume Bluter Dieme wurde, gab das wenigstens noch eine Pointe ab. Das Spiel, die Anfänge zweier benachbarter Worte zu vertauschen, hatte er zu einer gewissen Perfektion entwickelt, wobei kompliziertere Varianten eine fast vollständige Vertauschung der Buchstaben aufwiesen. So war aus Zoo Wuppertal Zupp Waterloo, der Name seiner ersten eigenen Band, geworden. Bei der Nordsee aß er nur noch ungern, da er, seit er einmal Frischfikadellen bestellt hatte, sich später ungeheuer darauf konzentrieren musste, wie die Pressfisch-Klopse nun wirklich hießen.
Nachdem er Dieter Benecke endgültig dem Schutthaufen der Geschichte übereignet hatte, war ihm zuerst der Kunstname Dusbin Jaich in den Sinn gekommen. Das Rätsel war vielen zu leicht, deshalb hatte er den Namen in seine englisch anmutende Version verfremdet: Dusbin Jaych. Dann hatte er sich für Thaddis Jaime entschieden. Als Stan keine fünf Minuten benötigte, auch diese Maskerade zu enttarnen, entschloss er sich zu seinem jetzigen Pseudonym.
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Noch bis wenige Tage vor der Abreise ist unklar, wer den Bus fahren, wer als zweiter Fahrer und Roady mitkommen wird. Musiker, die genügend Geld haben, um sich geräumige Bandbusse leisten zu können, sind selten oder passen nicht ins Konzept. Außerdem sind zu dem Zeitpunkt die besten Musiker der Szene entweder in Roger Cicero's Band engagiert und spielen den bandintern gern belächelten Sekretärinnen-Jazz, darunter Lutz Krajenski, Ulli Orth, Stephan Abel, Axel Beinecke, Uwe Granitza und Hervé Jeanne. Und ihr früherer Bassist, Olav Casimir, legt ein paar unbedingt notwendig tiefe Töne unter Annett Louisan's Kindergesang. Die vordergründig locker sozialreformerischen Texte für beide Projekte schreibt einer, der so heißt, als könne er vielleicht der Bruder des Kölner Bassisten, den alle Den Inder nennen: Christian Ramond sein: Frank Ramond.
Niemand, der im Profigeschäft mitmischt, leistet sich heute noch den Luxus der 60er Jahre, einen musikalischen Schwachmaten mitzuschleifen, nur weil er eine Anlage, einen Proberaum und einen Hanomag-Diesel besitzt.
Deddie Kool hat einen Hanomag-Diesel und ist ein arbeitsloser Sozialarbeiter, der in seiner ausreichenden Freizeit als Amateurrocker genauso erfolgreich ist. Jeder weiß, dass es für ihn etwas Großartiges ist, eine Profiband zu kutschieren, die Anlage aufzubauen, den Sound zu pegeln und so dazuzugehören. Er beteuert, dass er der Band nur einen Gefallen tut; denn eigentlich ist er ja, wie gesagt, selbst Musiker, muss Proben ausfallen lassen und kann nicht komponieren, solange sie unterwegs sind. In jedem Club, den sie meist sehr spät erreichen, testet er zuerst das Klavier, während die Musiker die Anlage schleppen. Es ist für ihn eine offensichtlich erregende Vorstellung, wenn die ersten Gäste und der Wirt glauben, er sei der Pianist. Wo ist unser Akkordarbeiter, mault Kain und zerrt das zentnerschwere Flight-Case mit dem Mischpult, dem Verstärker und der Endstufe, das sie zärtlich Kraftpaket nennen, aus dem Bus. Wenn der morgen wieder nicht anpackt, schmeißt er ihn raus. Kain kann sehr miese Laune kriegen, wenn Musiker schlecht spielen oder Roadies ihren Job nicht machen.
Und wer fährt dann? fragt Gunther und kennt bereits die Antwort: Du! Gunther ist sich nicht sicher, ob die anderen wissen, dass er keinen Führerschein mehr hat. Außer Lucius, der ihn empfohlen hat und versprechen musste, es niemandem zu sagen. Gunther ist bei der Künstlervermittlung des Arbeitsamtes als Saxophonist gemeldet, er hat sich auf Blues und Unterhaltungsmusik spezialisiert. Sagt er. Tatsache ist, dass ihm der moderne Jazz zu schwer und das viele Üben zu anstrengend ist. Vor allem morgens, wenn er nach spirituellen und durchzockten Nächten nicht aus dem Bett findet. Lucius hat bemerkt, dass er genau die Zeit verschläft, in der früher die Schule stattfand, und nicht vor Ende der sechsten Stunde aufsteht. Gunther setzt gern hohe Beträge zum Beispiel darauf, dass er spätestens morgen ganz mit dem Alkohol brechen wird – »brechen« ist gut, sagt Lucius, mir ist auch immer kotzübel – , aber das könnte man doch eigentlich heute nochmal so richtig feiern. Er wettet um einen Hunnie. Und es gibt Freunde, so nennt er seine Zechgenossen, die gern bei solchen Beträgen mit ihm einschlagen und sich das Geld prompt ausbezahlen lassen.
Wenn Gunther in seiner überschwänglich fröhlichen, optimistischen und ganz selbstvergessenen Saufstimmung ist, ruft er die Freundinnen von Kollegen an, von denen er weiß, dass sie gerade auf Tour sind oder irgendwo außerhalb einen Auftritt haben. Gelegentlich hat er damit wirklich schon Glück gehabt. Ein Bandkumpel, der ihn beobachtet hat, wie er »Bräute anbaggert«, dabei säuselt und schmalzt und sich mit weicher, rhythmischer Arschrotation vorwärtsschleimt – »wie son’n Entenarsch, sag ich dir« – hat ihm den Titel »Ganter Sax, der Mann vom Abschleppdienst« verliehen. Er raspelt nicht, so hatte Lucius es beschrieben, Süßholz, wie die verbrauchte Metapher illustriert, sondern hackt Anmachholz.
Gunther hofft darauf, dass er eines Morgens aufwacht und entweder im Lotto gewonnen hat, plötzlich unwahrscheinlich gut Saxophon spielen kann oder wenigstens einen Job findet, der viel Geld bringt und wo keiner merkt, dass er nichts tut. Im Vertrauen darauf, dass Nomen Omen sei, hat er sich zuerst einmal im Freundeskreis den Namen Fritz zugelegt. So heißt sein Vater, ein erfolgreicher Arzt für alle gemeinen Krankheiten, der in einem reichen Kurort vornehmlich bei älteren Damen den Rahm abschöpft, genauer: das Fett absaugt.
Die Taufe für Fritz hatten sie, auch Lucius, in einem Guinessbuch-verdächtigen Flens-Marathon abgefeiert, bei dem sie sich die Bierkästen von einer Tag-und-Nacht-Tanke per Taxi bringen ließen, wenigstens zwanzig Gramm Grüner Afghan in blauen Nebel aufgingen und in dessen Anschluss Lucius einen Kreislaufkollaps erlitt, als er am dritten Morgen sechs Aspirin, einige Tassen Kaffee, einen Rollmops sowie eine Flasche Bier zu sich nahm, um nüchtern zu werden oder wenigstens diesen dröhnenden Kopfschmerz zu überwinden. Fritz arbeitet entgegen jeder pessimistischen Vorhersage seit einiger Zeit aushilfsweise als Taxifahrer. Gelegentlich fährt er Theater- und Kleinkunstgruppen über Land. Im Freundeskreis nennt man ihn Fritz von Tour’n und Taxis. Den Spitzenplatz in der Wirtschaft: gleich vorne an der Theke, hat er noch immer, wo man ihn »Senator Fullbreit« nennt, und in der er jede Nacht gegen vier, halb fünf aufkreuzt, über zu hohe Steuern, die amerikanische Kolonialpolitik, die Wiedervereinigung, den Extremistenerlass von 1972, das Magister-Prüfungsamt und seine Rechnung lamentiert. Zwischendurch einmal hat er eine Zeit lang alle denkbaren BtMs verdealt, was ihm innerhalb seiner Klientel den Namen »Graf Berge von Trips« einbrachte. Lucius glaubt, dass Gunther sich offiziell Fritz nennt, weil er einen falschen Pass besitzt. Leute aus Gunthers Dunstkreis behaupten, er sei in den 70ern vor der Bundeswehr auf der Flucht gewesen und mit den gefälschten Papieren aus Berlin zurückgekommen, weil er dort als Musiker keine Chance hatte, andere, dass er wegen eines Rauschgiftdelikts in Indien von Interpol gesucht wird. Ganz sicher weiß Lucius nur, dass Gunther seinen Führerschein für immer los ist, nachdem er mehrmals betrunken in Verkehrskontrollen geraten war.
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