Wolfgang Dahlke - Menschenlos

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Zehn Kurzgeschichten, die Profile von Tätern und Opfern versammeln, deren Eigensinn bizarre Todesfolgen hat – oder in denen Menschen teils absonderlich auf absonderliche gesellschaftliche Zustände reagieren. 1. Ein nicht nur um Flora und Fauna sondern überhaupt um das Überleben der Welt besorgter Ökofreak kommuniziert mit den wahren Schöpfern des Universums und zieht drastische Konsequenzen bezüglich der Verursacher eines drohenden Unheils… 2. Eine missbrauchte Frau entledigt sich nicht nur ihres Vaters sowie ihrer Mutter, die sie nicht geschützt hat, sondern später noch weiterer Missbraucher…3.Ein ehemaliger Student der Geisteswissenschaften, den merkwürdig auffällig das Pech verfolgt, rächt sich an jenen, die ihn verraten haben… 4.Ein Mädchen, das wirklich Klavier spielen kann und das sich weigert, an Casting Shows teilzunehmen, spricht nicht mehr mit ihren Altersgenossen sondern lieber mit alten Berühmtheiten – eine Arroganz, die nach Bestrafung schreit…5. Ein kleiner Zuhälter wird unheimlich reich und will ein unverkäufliches Bauwerk erwerben; seine Frau sieht eine moralischere Verwendung für den prekären Reichtum…6. Ein Hartz-IV-Empfänger kämpft mit Briefen gegen Behörden und schreibt ein an Goethe angelegtes Theaterstück, in dem er sich als womöglicher Massenmörder outet; natürlich muss man ihn aufhalten… 7. Ein pubertierender Junge entledigt sich eines Mitkonkurrenten um eine Angebetete und bringt danach noch eine weitere Sache in Ordnung. 8. In einem in fröhlich sozialdemokratischem Schweinchenrosa getünchten Jazzclub weht ein merkwürdig autoritärer Wind, der eher an braune Zeiten gemahnt; als ein junger Musikschüler Hintergründe aufdeckt, wird es brenzlig… 9. Eine zeitgenössische Günderode sowie ein sozial isoliertes Pärchen leiden an der Not der Zeit; das Paar hat wenig Hoffnung, er findet eine Lösung, die Romantikerin auch… 10. Er sucht sie, sie findet ihn, zuerst vor allem großartig.

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Wolfgang Dahlke

Menschenlos

Zehn Geschichten über Mord und andere lebensrettende Maßnahmen

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Inhaltsverzeichnis Titel Wolfgang Dahlke Menschenlos Zehn Geschichten über - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Wolfgang Dahlke Menschenlos Zehn Geschichten über Mord und andere lebensrettende Maßnahmen Dieses ebook wurde erstellt bei

1 Der Indianer oder: nichts als ein Modellversuch

2 Selbstinitiation oder: wie er damals man wurde

3 Frau Äh oder: die Ordnung im Leben der Corinna Schade

4 Der Club oder: Kleingeistige Nachtmusik

5 Die Zeckenfalle oder: Wenn zusammenkommt was zusammengehört

6 Lo Relay oder: Neues Echo vom alten Ufer der Romantik

7 Keine einzige Melodie oder: Nieder mit dem Hochmut des Könnens!

8 Der Tragödie allerletzter Teil oder: Sich in Einsamkeit verlieren oder lieber mit den Massen irren ?

9 Den Westen testen oder: Geld riecht kaum merklich

10 Womanizer oder: allein die Gesetze der Physik

Impressum neobooks

1 Der Indianer oder: nichts als ein Modellversuch

Taternbruch

Er hatte anlässlich seines Fünfzigsten eine Feier geplant. Es gab am Hang eines der Hügel der bis an die Stadt grenzenden Mittelgebirgskette einen Steinbruch. Manche fanden diesen idyllisch, andere bezeichneten ihn gar als anheimelnd... einigen jedoch schien er unheimlich. Wenn es stimmte, dass es Energiepunkte gab, die Menschen anzogen, dann, fand er, wäre der Taternbruch einer.

Ein Geschichtsort war er allemal. Hatte man einen zu Beginn des Sechzehnten Jahrhunderts offenbar schon stillgelegten Steinbruch mit einem mittelalterlich anmutenden Namen belegt, der zudem auf eine längere Geschichte verwies, musste der Ort unheimlich alt sein.

Unheimlich, wie gesagt, war er manchem sowieso. Allerdings vorrangig, war man hier allein - nachts insbesondere. Saß man aber vorm knisternden Lagerfeuer eng zusammen, redete, sang, trank und aß von Stockspitzen Kartoffeln aus der Glut, hörte den Wind in den Bäumen rauschen, Tiere im Gebüsch, die letzten Vögel im Laub der Bäume rascheln, wurde er all das, was Cameo Abyme als Kind in den Häusern seiner Großeltern als Inbegriffe der Gemütlichkeit und Geborgenheit kennengelernt hatte: Küche mit warmem Kachelofen. Stube mit weichen Sitzpolstern auf dem Boden und einem Sofa mit ausgeleierten Spiralfedern, in dem man versank. Klöndeele, wo Opas, Omas, Tanten, Onkel, sonstige Verwandte und Nachbarn bei Kaffees und Likören, in blaue Rauchschwaden gehüllt über Geschäftliches durcheinander palaverten, während im Musikschrank Beethovens Eroica holprig schraulte.

Tagsüber fielen verhalten vereinzelt Sonnenstrahlen in das Rund aus schroffen, scharfen Schieferklippen, weichen Mooshängen, elend einsamen knorrigen Birken und satten Matten von Raugras. Dessen Blätter konnten die Haut blutig ritzen. Die Leute der Gegend hatten es darum Schneidegras getauft. Blies man die scharfen Kanten kräftig an, konnte man auf den Blättern, zwischen die Daumen gepresst, machmal Sopransax- meist jedoch nur Frosch-ähnlich quänglich quäkende Kazoogeräusche hervorbringen.

Stand man in der Mitte des Steinbruchs, war man rundherum, wie in einem Amphitheater, überall erstaunlich gut zu hören. Wie er (früher Leo, heute Cameo Abyme) jetzt gerade, in diesem Moment. Taucher alias Walther hatte ihm aus dem Holz eines zerfallenen Jägerstands ein erstaunlich robustes Lesepult mit schrägem Manuskripttisch, Sitzbank und sockelähnlicher Erhöhung gezimmert. Man hörte ihn überall gut, vorausgesetzt, es röhrte keine enervierende muzak aus mitgebrachten Transistorradios.

Selbst die wenigen, die auch hier dauer-erreichbar sein zu müssen glaubten, hatten wenigstens ihre doofen Handyjingles durch tonloses Buzzen ersetzt. Und dämpften jetzt zumeist wenigstens (nahmen sie doch eines dieser entsetzlich dämlichen "reach me any time any place"- Nonsensegespräche an) ihre rostig krächzenden Analog-Kommunikationsorgane. Nachdem Cameo ein paarmal einfach "Klappe jetzt!" gebrüllt hatte.

Cameo hatte das bisweilen kopfschüttelnd beobachtet, in der Welt der Alltagsexistenzen, die sich auf den "Kunden im Menschen" hatten reduzieren lassen: Leute kamen zusammen in ein Café, setzten sich an einen Tisch, um dann jeder für sich mit einem Nicht-Anwesenden in einer Art und Weise dreistlaut dummzutexten, dass er den Eindruck gewann, sie wussten nicht, was sie redeten. Oder es war ihnen schnurzpiepe. Er hatte für die laute sinn-imitierende Hohlrede den (vom lateinischen Begriff für Papagei abgeleiteten) Terminus "Psittakismus" geprägt. Interessant immerhin, dachte Cameo, dass andere Kultursprachen wie das Französische und das Englische für ebendieses Phänomen der Rede ohne Gehalt ganz ähnliche Begriffe bereits besaßen - nur eben wir nicht. Na jedenfalls, wer hier in sein Handy blökt und ihm damit auf den Sender geht, hatte Cameo verlauten lassen, der kann sich gleich wieder verpissen!

Keiner kam außerdem mit einem Auto, Motorrad oder Moped. Auch kein Düsenjäger schnitt dröhnend weiße Streifen in die blaue Firmamentdecke. Aber das war eine andere Geschichte ? darauf hätten sie ja ohnehin keinen Einfluss gehabt.

Insofern, nach kurzer freundschaftlicher Begrüßung aller Gäste durch Leo, alias Cameo Abyme, und einer kleinen Festansprache auf das Geburtstagskind, die Freund Ulle, alias Ulrich, hielt, die erste Erzählung bereits zu bester Wanderzeit ab circa 16 Uhr am Nachmittag des Geburtstages, am Donnerstag dem 17. Juni, stattfand, kam es während seines freien Vortrags der ersten Geschichte zu diversen Störungen.

Einmal wunderte sich eine laut krakeelend hereinströmende, blau uniformierte Motor-Fahrradgruppe ebenso laut, dass eine sehr ärmlich gekleidete Gruppe von augenscheinlich beschäftigungslosen Altfreaks eine vermutlich politisch motivierte Geheimveranstaltung an just jenem Ort abhielt, an dem sie in vierzehn Tagen ihr Firmenjubiläum zu zelebrieren gedachten. Und sie befürchteten, dass durch ebendiese Veranstaltung ihr Partyrefugium gewissermaßen entweiht werde. Allein schon durch den Umstand, dass es denen (offenbar ohne finanzielle Auflagen) einfach so verfügbar war. Was eine mittelgroße kommunalpolitische Schweinerei darstellte!

So war es denn auch nicht überaus verwunderlich, dass gegen vielleicht 18 Uhr eine Kleindelegation städtischer Ordnungshüter den Veranstalter zu sprechen begehrte. Oder einen sonstwie Verantwortlichen!

Man war auf Toto, die stattlichste Figur unter den Umstehenden, zugeschritten. Der schüttelte den Kopf und wies Richtung Bühne (legte dabei den Zeigefinger über die Lippen: schließlich sprach er gerade, der Verantwortliche!) Das kümmerte niemand, man unterbrach schroff.

"Wie heißen Sie?"

"Cameo! "

"Nur Cameo?"

"Cameo Abyme!"

Das ist kein Name, wie er richtig heißt!

Leo!

Nur Leo? Wie noch?

Bothe! Wieso?

Wer die Veranstaltung genehmigt habe.

Der Förster!

Der ist nicht befugt! Gibt es ein amtliches Formular?

Nein!

"Dann dürfen wir Sie bitten, den Platz noch heute Abend zu räumen!"

"Wird er denn gebraucht?"

"Das steht hier nicht zur Debatte! Wenn Sie keine Genehmigung haben, sowieso schon mal nicht. Also, gehen Sie bitte!"

"Warum denn?!"

Weil, erläutert einer der Abgesandten einfühlsam kulant (er müsse diese Auskunft zwar nicht geben, nur): es finde hier ab morgen über's Wochenende (ob sie das denn nicht in den Ankündigungen gelesen hätten?) das von DeadHead Concerts alljährlich veranstaltete Ein bunter Topf überlebter... äh...

"Nein, Quatsch", mischt ein weiterer Offizieller sich ein: " Ein bunter Strauß beliebter Heimatmelodien ...!"

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