Bimar-Turik kam näher und seine Augen funkelten Nedeam bösartig an. „Ja, den kenne ich. Damals war er ein wenig jünger.“ Sein Blick fiel auf das Schwert an Nedeams Waffengurt. „Eine elfische Klinge!“ Er lachte. „Du hast wohl eines ihrer verlassenen Häuser geplündert, nicht wahr, Pferdereiter?“
Nedeam lächelte in übertriebener Freundlichkeit. „Es ist eine Ehrengabe. Doch ich will mit dem Turiko sprechen und nicht mit dir.“
Der Alte legte die Hand an den Griff seiner Schädelkeule. „Vielleicht wirst du dich mit mir begnügen müssen.“
Heglen-Turik trat vor. „Er kommt zu uns, um zu sprechen, und nicht, um uns seinen Schädel anzubieten.“
„Gut, lassen wir ihn reden und nehmen dann seinen Schädel.“
Einige der Krieger lachten und die Stimmung schien feindselig zu werden.
„Je weniger Zähne Bimar in seinem Maul hat, desto bösartiger werden seine Gedanken und desto kürzer ist sein Gedächtnis.“ Eine imposante Gestalt war in einem der Eingänge des Schädelhauses aufgetaucht und sah von der Höhe der Plattform auf die Menge hinunter. „Bringt den Pferdemann herein und ruft den Rat der Turiks zusammen.“
Heldar-Turiko war das Oberhaupt des Nagerclans und eine lebende Legende des Sandvolkes. Als einziger Krieger trug er einen Helm, der seinen Kopf bedeckte. Einen hohen Helm mit golden schimmerndem Kamm und einer fein gearbeiteten Figur am Stirnschutz. Es war der Helm eines Elfen, der schon lange keine Verwendung mehr für seinen Kopfschutz hatte. Heldar-Turiko hatte Helm und Schädel in einem bemerkenswerten Kampf erfochten. Niemand würde den Mut des Turiko anzweifeln und so trug er diesen Helm als Zeichen seiner Würde. Nicht nur der erwiesene Mut des Clanführers war bemerkenswert. Auch sein Haar war es. Die Menschen des Sandvolkes hatten schwarze Haare, doch der Turiko hatte Haare, die in der Farbe der Sonne schimmerten. Haare, wie viele Menschen des Pferdevolkes sie hatten. Damals, als man das Reitervolk besiegte, hatte man einige ihrer Weiber genommen. Die Verluste waren hoch gewesen und man brauchte neue Krieger. Einige der daraus entstandenen Kinder waren ebenso blond gewesen wie der Turiko, doch im Laufe der Generationen waren Sonnenhaare immer seltener geworden. Es hieß, der Turiko sei der einzige Mann des Sandvolkes, der noch das Sonnenhaar besaß.
„Ich grüße dich, Turiko!“, rief Nedeam. „Ich bin gekommen, weil es wichtige Dinge zu bereden gibt, die über die Zukunft der Völker entscheiden. Dinge, die wir zunächst unter vier Augen besprechen sollten.“
Sofort wollte Bimar-Turik widersprechen, doch eine Geste des Turikos brachte den Alten zum Schweigen. Heldar musterte Nedeam nachdenklich. Schließlich nickte er. „Dann komm herauf, Nedeam vom Pferdevolk, und lass uns reden.“
Nedeam war sich des Umstands bewusst, dass es nicht genügen würde, diesem Mann die Einladung zu einer Versammlung zu überbringen. Der Turiko war kein Freund der anderen Völker und musste zunächst erfahren, welches gemeinsame Schicksal ihnen allen bevorstand. Also erzählte Nedeam, was er wusste und welchen Zweck die Versammlung der Herrscher erfüllen sollte.
Heldar-Turiko hörte schweigend zu und in seinem Gesicht zeigten sich die Zweifel, die ihn erfüllten. Als Nedeam geendet hatte, starrte er vor sich hin. Schließlich blickte er den Pferdefürsten mit düsterer Miene an. „Die Clans sollen das Dünenland verlassen?“
„Alle Völker müssen ihre Heimat verlassen, sonst ist ihnen ihr Tod gewiss.“
„Wer sagt mir, dass ihr unser Volk nicht in eine Falle locken wollt, um uns alle abzuschlachten?“
Nedeam hatte diese Frage erwartet. Das Misstrauen war einfach zu groß und in vielen Generationen der Feindschaft gewachsen. „Warum sollten wir das tun? Um wieder ins Dünenland zurückkehren zu können? Turiko, du weißt, dass mein Volk seine fruchtbaren Ebenen liebt. Dies hier“, er deutete um sich, „ist nicht mehr unser Land. Trockenheit, Sand und Hitze locken uns nicht.“
„Hm. Das mag sein oder auch nicht.“
„Die Elfen haben ihre Häuser verlassen und dieses Volk tut nichts ohne guten Grund.“
„Wir dachten, sie würden die Orks fürchten.“
„Jeder hat Grund, ihre Macht zu fürchten“, gestand Nedeam ein. „Aber wir wissen auch, wie man sie besiegen kann.“
„Das ist wahr“, räumte Heldar ein. Er nahm den Helm ab und strich sich durch sein langes Sonnenhaar. „Ich weiß noch gut, was vor vielen Jahreswenden geschah.“ Er grinste Nedeam an. „Es war eine schlaue List, uns in die Falle der Zwerge zu locken.“
Nedeam schüttelte den Kopf. „Du weißt, dass es nicht so war. Du hattest uns freies Geleit bis zur Grenze zugesichert.“
„Bis zur Grenze, ja.“ Der Turiko lachte vergnügt. „Dort hätten wir euch die Schädel genommen, wenn die Zwerge nicht dazwischengekommen wären.“
„Nun haben wir Waffenruhe und einen begrenzten Handel, Turiko. Doch jetzt müssen sich unsere Völker die Hand reichen. Der Gefahr, die uns jetzt bedroht, können wir nur gemeinsam begegnen.“
„Ich kenne keinen Grund, warum du die Unwahrheit sagen solltest, Pferdereiter Nedeam“, gestand das Oberhaupt des Nagerclans. Heldar seufzte schwer. „Gut, so werde ich dir folgen. Ich werde sofort mit dir reisen.“
„Was ist mit den anderen Clans des Dünenlandes?“
„Darum mach dir keine Sorgen. Wenn ich von der Versammlung zurückkehre, werde ich die anderen Clans informieren.“
„Aber werden sie dir folgen?“
„An meinem Wort ist nicht zu zweifeln“, lautete die harsche Erwiderung. „Und sie werden mir folgen. Spätestens wenn die Nager in euer Land wandern, dann werden auch die anderen begreifen, dass es ums Überleben geht. Sie werden kommen.“
Nedeam trat ins Sonnenlicht hinaus und schloss für einen Augenblick geblendet die Augen. Um das Schädelhaus herum hatte sich der gesamte Clan versammelt. Ein Raunen lag über der Menge und verstummte, als Heldar-Turiko ins Freie trat und eröffnete, dass er mit Nedeam gehen werde.
„Während meiner Abwesenheit wird Heglen-Turik den Clan führen“, bestimmte der Turiko.
„Ich bin der Älteste!“, erhob Bimar-Turik sofort Protest.
„Aber nicht der Klügste“, hielt Heglen dagegen und es gab ein paar schadenfrohe Lacher.
„Ich verlange mein Recht als ältester Turik der Nager“, keifte der Alte.
Der Turiko sah Heglen-Turik an. „Wenn er dir Schwierigkeiten macht, dann nimm dir seinen Schädel. Es bringt dir zwar keine Ehre, aber es verschafft deinen Ohren Ruhe.“ Ein drohender Blick traf Bimar. „Du wirst dich fügen, Turik, so ist es mein Wille.“
Wenig später waren Nedeam und der Turiko auf dem Weg zur Grenze.
Die Reiter trugen die blitzenden Vollrüstungen der Gardekavallerie des Reiches von Alnoa und sie bestreiften ein fremdes Land. Vor- und Nachhut waren eingeteilt und zusätzliche Gardisten schützten die Flanken der Kolonne. Sie kamen aus der Grenzfestung Maratran, an der südlichen Pforte des Königreiches, und bewegten sich inzwischen tief im einstigen Reich von Jalanne, welches im Krieg des ersten Bundes gegen den Schwarzen Lord vernichtet worden war. Keiner der Bewohner hatte überlebt, doch ihre Dörfer und Städte waren erhalten geblieben. Inzwischen zeigten sie deutliche Zeichen des Verfalls. Jalanne war Niemandsland, denn kein Volk beanspruchte die fruchtbaren Ebenen und üppigen Wälder. Es lag als ein Puffer zwischen Alnoa und der Wüste von Cemenghil. Cemenghil wurde auch Cemen´Irghil genannt, denn dort hatten die Irghil ihre neue Heimat gefunden.
Einst waren die krebsartigen Panzerwesen aus ihrem fernen Land in die Sklaverei nach Jalanne verschleppt worden. Der Krieg gegen den Schwarzen Lord hatte ihre Peiniger das Leben gekostet und sie selbst befreit. Lange Jahre hatten die Irghil unter dem Weißen Magier der Insel Lemaria und dessen Gehilfen zu leiden gehabt. Die Zauberer verstanden sich darauf, der ahnungslosen Garde das friedliche Volk als blutrünstige Bestien zu präsentieren, und so war es zu blutigen Kämpfen zwischen der Gardekavallerie und den Irghil gekommen. Als die Hinterlist der Magier von Nedeam aufgedeckt wurde, vernichteten Pferdelords, Garde und Irghil Seite an Seite die letzten Herren Jalannes. Seitdem herrschte Frieden und wenn sich die Streifen der Gardekavallerie und der Irghil begegneten, so geschah dies in der Art von Waffenbrüdern.
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