In seinen jungen Jahren mochte Meister Bukov ein stattlicher Mann gewesen sein, doch das Alter hatte ihn gezeichnet. Ein zottiger Kranz schlohweißer Haare umrundete seinen ansonsten kahlen Schädel und seine ehemals gerade Gestalt war krumm und bucklig geworden. Schwerfällig stützte er sich auf seine Krücke und kniff die wässrig blauen Augen zusammen, um die Störenfriede besser erkennen zu können.
»Habe ich es mir doch gedacht. Der kleine Kilian muss nachsitzen und ihr haltet ihn von seinen Studien ab.« Energisch stampfte er mit dem Stock auf den Boden, dass die Steinfliesen dröhnten. »Und dich habe ich an der Stimme erkannt. Schäm dich, Luves! Gerade du müsstest doch am besten wissen, wie wichtig sie sind.«
Anklagend richtete er seine Krücke auf den jungen Magier. Abwehrend hob der seine Hände.
»Vergebt mir, Meister Bukov. Ich wollte ihm nur bei seinen Studien behilflich sein.«
»Als ob du ein rechter Lehrer wärst«, spottete Reget und lachte.
»Bilde dir bloß nichts darauf ein, dass du zu den Jägern gehörst, Herumtreiber und Waldstreuner Reget. Dich habe ich am Gestank erkannt. Was fällt dir ein, den Dreck der Landstraße in diese Räume zu tragen? Geh und wasch dich gefälligst, bevor du eines der Bücher berührst!«, donnerte Bukov und schüttelte den Stock drohend in seine Richtung. »Na, wird's bald, Freundchen? Sonst mache ich dir Beine!«
Reget unterdrückte ein Lachen und erhob sich von seinem Stuhl.
»Mit Verlaub und bei allem Respekt, Meister, aber während Kilian über den Büchern hockt, verpasst er wichtige Übungen in den Kampfkünsten. Die wird er als Jäger ebenso sehr benötigen wie die Kenntnisse der Zaubersprüche.«
»Anstatt in der Sonne mit euren Stöcken und Schwertern herumzutollen, solltet ihr lieber Studien betreiben, bis ihr bleich seid wie der Tod.«
Ein zorniges Funkeln lag in den Augen des Alten und Reget zog es vor, die Flucht zu ergreifen.
»Du bist ein fleißiger Bursche«, sagte er zum Abschied zu Kilian. »Vor den Prüfungen brauchst du dich nicht zu fürchten. Alles Notwendige beherrschst du bereits. Glaub einfach nur mehr an dich selbst und hab Vertrauen in die Kräfte der Urmächte.«
Der Junge versuchte ein tapferes Lächeln, auch wenn er die Unsicherheit in seinem Blick nicht verbergen konnte, und nickte. Reget entbot dem Meister einen freundlichen Gruß, doch Luves grinste er nur an und wandte sich dann kopfschüttelnd ab.
»Du kommst mit mir«, sagte Meister Bukov energisch und deutete Luves mit seiner Krücke, ihm zu folgen. »Vertrödele nicht noch mehr Zeit. Du hast einiges vorzubereiten, bevor du aufbrichst.«
»Ich hatte nicht damit gerechnet, so schnell die Stadt verlassen zu müssen«, gestand Luves ein.
»Glaubst du etwa, dass der Faun wartet, bis du irgendwann auftauchst? Diese verdammten Kreaturen sind ständig in Bewegung und man weiß nie, wo sie aufzutreiben sind. Mögen die Urgewalten sie zermalmen.«
Schwerfällig bewegte sich der alte Magier über den Gang auf eine Treppe zu und Luves folgte ihm. Keuchend erklomm Bukov die Stufen und zog sich dabei an dem hölzernen Geländer hoch.
»Dein erster Auftrag«, murmelte er mit vor Anstrengung heiserer Stimme. »Bald bist du ein Jäger und treibst dich genauso in der Welt herum wie Reget.«
»Es ist unsere Aufgabe, Aestra vor den geächteten Wesen zu schützen«, erklärte Luves nicht ohne Stolz.
»Humbug! Durch die Gegend reiten, große Reden schwingen und mit den Schwertern herumfuchteln. Das ist es, was die Jäger machen«, schimpfte der Alte. »Die vier Mächte sind meine Zeugen. Ich hoffe, du wirst dich nicht in dieser Weise entwickeln.«
»Ich werde mir alle Mühe geben, Meister.«
»Du begleitest Meister Friebert?«
Luves bejahte und Bukov seufzte bedauernd.
»Mögen die Urgewalten deiner Seele gnädig sein, mein Junge. Ich hätte dir einen angenehmeren Weggefährten gewünscht, aber du wirst es schon überleben.«
Sie erreichten die obere Etage, wo die Regale und Schränke mit Landkarten und Stadtplänen gefüllt waren. Verstohlen warf Luves einen sehnsüchtigen Blick auf die Holzdecke. Direkt über ihm befand sich die verbotene Abteilung der Bibliothek, zu der nur die Veteres und die Meister Zugang hatten. Sobald er den Status eines Jägers erreichen würde, durfte auch er die dort lagernden geheimen Schriften studieren. Bukov ging an ihm vorbei auf eines der Regale zu und entnahm ihm zwei Pergamentrollen, die er Luves reichte. Auf einem großen Tisch aus dunklem Holz entrollte der die Landkarten. Sorgfältig strich Luves sie glatt.
»Ah … die Sommerfelder.« Der alte Magier hielt inne und ein versonnenes Lächeln zeichnete sich auf seinem faltigen Gesicht ab. »Man nennt die Gegend auch die Kornkammer von Aestra. Sehr idyllische Umgebung, hübsche Frauen und gutes Bier. Du wirst dich dort prächtig amüsieren, mein Junge.«
»Meister, ich habe dort einen Auftrag zu erledigen«, stammelte Luves verlegen.
»Der Auftrag, der dich zum Jäger macht und dir Ruhm und Ehre einbringen soll.« Der Alte lachte krächzend und klopfte ihm auf die Schulter. »Mit euch Jungspunden ist es immer dasselbe. Erst tut ihr so pflichtbewusst, aber sobald ihr die Mauern der Stadt hinter euch gelassen habt, geht euer heißes Blut mit euch durch. Warte nur ab, Luves, dir wird es nicht anders ergehen, wenn dir der Wind um die Nase weht.«
Luves blieb ihm eine Erwiderung schuldig und konzentrierte sich auf das Studium der Karte. Von Cimala aus würden er und Meister Friebert zuerst über die größte Straße, die sich von Norden bis Süden durch ganz Aestra zog, reisen. Erst am Rande des Gebietes der Sommerfelder mussten sie kleinere Nebenstraßen oder Feldwege nutzen, um an ihr Ziel zu gelangen. Meister Bukov tippte auf einen bestimmten Bereich.
»Ungefähr hier soll sich der Faun aufhalten. Ein reisender Händler soll von ihm ausgeraubt worden sein und ist nur knapp mit dem Leben davongekommen. Er hat das Wesen den Wachen gemeldet, konnte ihn allerdings nur unzureichend beschreiben.«
»Wie nennt man diese Gegend?«
Bukov zuckte mit den Schultern und deutete auf eine andere Stelle, wo eine kleine Ansiedlung eingezeichnet war. Ein zierlicher Schriftzug leuchtete auf.
»Das nächstgrößte Dorf heißt Solagri. In diesem Landesteil gibt es praktisch keine Städte und die Dörfer sind lediglich dicht beieinander liegende Bauernhöfe. Ihr werdet euch durchfragen müssen, aber das wird euch schon gelingen. Friebert weiß schließlich, was zu tun ist und wie man diese dummen Bauern zum Reden bringt.«
Mit einem schweren Seufzen ließ Luves sich auf einen Stuhl sinken.
»Das Gebiet ist riesig und es gibt keine Anhaltspunkte, wie er aussehen könnte. Wenn er wenigstens Hörner hätte oder Flügel …«
Mit einem schnarrenden Lachen setzte Bukov sich neben ihn und stützte sich mit den runzeligen Händen auf seine Krücke.
»Benutz deinen Verstand. Wahrscheinlich weißt du aus den Büchern, die du studiert hast, mehr über dieses Wesen als der Händler, der ihm gegenüberstand.«
Nachdenklich lehnte Luves sich zurück und blickte zu der hölzernen Decke über sich auf, während der Meister ihn erwartungsvoll ansah.
»Auf den Bauernhöfen leben seit Generationen die gleichen Familien und man kennt einander gut«, begann er langsam. »Jemand Fremdes, wie ein fahrender Händler oder eine umherstreunende Person, würde ihnen sofort auffallen.«
»Diese Bauern sind ein eigenbrötlerisches Volk und werden nur ungern mit jemandem reden, den sie nicht kennen. Doch es gibt genug Wirtshäuser, in denen sich die Männer nach getaner Arbeit versammeln, um zu zechen. Das lockert ihre Zungen. Hör ihnen aufmerksam zu und achte auf jede Kleinigkeit.«
»Ein Faun wirkt wie ein normaler Mensch, aber man sagt, dass er von besonderer Schönheit ist und jeden verzaubert, der ihn trifft«, fuhr Luves fort.
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