»Beweg dich. Wir haben viel zu erledigen«, knurrte Friebert mürrisch.
Luves nickte zaghaft und wandte sich den Veteres zu. Mit einer Geste entließen sie ihn. Er verneigte sich respektvoll vor den Mitgliedern des Rates. Gerade wollte er sich umwenden, als ihn einer der drei ansprach.
»Ich weiß, dass du ein vielversprechender Jungmagier bist, Luves«, sagte der Älteste und lächelte ihm milde zu. »Enttäusche uns nicht.«
»Ich werde mich nach besten Kräften bemühen, der Gilde der Jäger gerecht zu werden und Meister Friebert zu unterstützen«, sagte er hastig, doch sein Herz machte einen Sprung vor Freude über das kleine Lob.
»Du wirst dich nicht bemühen, sondern siegreich sein«, korrigierte der Vetere ihn. »Folge schnell deinem Meister, ansonsten hängt er dich bereits ab, noch bevor eure Reise begonnen hat.«
Luves fuhr erschrocken herum. Meister Friebert entfernte sich bereits von ihm, hatte knapp die Hälfte der Halle durchschritten, ohne dass er auch nur einen Laut seiner Schritte gehört hatte. Erneut verbeugte er sich eilig vor den Veteres und eilte Friebert nach.
Unbeirrt schritt der voran, ohne Anstalten zu machen, auf seinen Schützling und zukünftigen Begleiter zu warten.
»Du gehst in die Bibliothek zu Meister Bukov«, sagte der Meister über seine Schulter hinweg. »Sieh dir die Landkarte von den Sommerfeldern genau an und überlege, welche Zaubersprüche du auffrischen solltest. Danach begibst du dich in die Siedlung der Kesselrührer. Meister Riudan wird dir einige Schutzamulette geben, die deinen dürren Arsch retten sollen, falls dir Gefahr droht. In der Zwischenzeit werde ich dir ein Pferd aus den Stallungen zuweisen lassen und dem Quartiermeister Bescheid darüber geben, welche Ausrüstung du benötigst. Wir brechen im Morgengrauen auf und wage es ja nicht, Zeit mit irgendwelchen Dummheiten zu vergeuden.«
»Welche Art von Zauber werde ich benötigen?«, fragte Luves kleinlaut.
Abrupt blieb Friebert stehen und drehte sich zu ihm um. Kaltherzig musterte er den jungen Magier, der beinahe ängstlich zu ihm aufsah.
»Wie war noch einmal dein Name?«
»Luves.«
»Hör gut zu, Luves, oder wie immer du auch heißen magst, denn ich werde es nur einmal sagen: Unsere Mission ist kein Spaziergang. Wir jagen eines der geächteten Wesen und führen es seinem gerechten Schicksal zu. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass mir deine Gesellschaft angenehm wäre. Einen Schüler am Hals zu haben, ist mir mehr als lästig, dessen solltest du dir stets bewusst sein. Wenn wir in Gefahr geraten, werde ich dir nicht helfen. Du musst zusehen, wie du alleine zurechtkommst. Wenn dir dein Leben lieb ist, bereite dich bestmöglich auf deine Aufgabe vor.«
»Ich bin ein Anwärter und kein Schüler«, wagte Luves tapfer einzuwenden und erhob beinahe trotzig den Kopf.
»Solange du nicht das Siegel eines Jägers trägst, bist du für mich nur ein rotznäsiger Schüler. Erweise dir selbst einen Gefallen und geh mir so wenig auf die Nerven wie nur irgend möglich. Jetzt tu endlich, was ich dir gesagt habe! Schwing deinen Hintern in die Bibliothek, bevor ich mich vergesse.«
Ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen, verließ Meister Friebert den Korridor und schritt durch das Portal. Die Wachen, die ihr Gespräch ungewollt mitgehört hatten, warfen dem jungen Magier verstohlene Blicke zu. Luves stand da wie erstarrt, gefangen in kaltem Unbehagen.
Unbewusst zog er seinen Umhang fester um sich zusammen. Er sollte von Freude und Aufregung über die Mission erfüllt sein, die man ihm aufgetragen hatte. Stattdessen fühlte er sich niedergeschlagen und kraftlos.
»Du hast gehört, was dein Meister gesagt hat«, blaffte ihn einer der Wachposten an und der andere grinste hämisch.
Erschrocken zuckte Luves zusammen und sah die Männer finster an.
»Kümmert euch lieber um eure eigenen Angelegenheiten!«, wies er sie streng zurecht. »Sonst melde ich euch bei eurem Vorgesetzten.«
Einfache Soldaten, wie sie es waren, hatten einem Magier respektvoll zu begegnen, selbst wenn er ein Anwärter war. Wenn nicht einmal diese Männer ihn achteten, wie sollte er dann gegen Meister Friebert bestehen können? Er konnte nur hoffen, dass sie ihren Auftrag rasch erfüllen würden und er so schnell wie nur irgend möglich nach Cimala zurückkehren konnte. Er atmete tief durch und straffte seinen Rücken. Mit stolz erhobenem Haupt schritt er an den Soldaten vorbei und wandte sich in die Richtung des Marktplatzes.
Luves zog die Kapuze seines Umhanges tief über das Gesicht, als er den Hauptsitz der Gilde verließ und sich zur Bibliothek aufmachte. Die Veteres setzten offenbar großes Vertrauen in ihn und seine Fähigkeiten, indem sie ihm die Möglichkeit boten, sich bereits in seinem jungem Alter zu bewähren. Trotzdem war die Jagd auf einen Faun nicht sein größter Traum. Diese Gattung stellte im Grunde rein körperlich keine nennenswerte Bedrohung dar und galt somit als recht harmloser Gegner. Er hätte sich eine schwierigere Aufgabe gewünscht, etwas, was eine Prüfung seiner physischen Kräfte und seiner magischen Fähigkeiten darstellte. Doch er musste sich wohl oder übel damit zufriedengeben. Die eigentliche Herausforderung war eher sein Begleiter, dessen Anweisungen er blind Folge leisten musste, und das bereitete ihm das wahre Grauen. Als Anwärter galt er für den erfahrenen Jäger nur als minderwertig. Er war ein lästiges Anhängsel und Meister Friebert würde ihn seinen Unmut darüber spüren lassen. Sicherlich würde der Magier keine Gelegenheit auslassen, um ihn zu schikanieren, vielleicht sogar zu demütigen.
Bis zu den Sommerfeldern würden sie zu Pferd etwa drei Tage brauchen und dann mussten sie dort nach dem Faun suchen. Selbst wenn der ungefähre Aufenthaltsort des Wesens bekannt war, hieß es nicht, dass sie ihn dort auch tatsächlich antreffen würden. Faune streiften durch die Lande, ohne einen festen Wohnort zu haben. Sie mussten sich beeilen, wenn sie die Kreatur rasch auftreiben wollten. Ein schneller Erfolg würde das Vertrauen der Veteres in ihn festigen und sie wohlwollend ihm gegenüber stimmen. Ihm war mulmig zumute bei dem Gedanken, dass der Erfolg seiner Mission davon abhing, ob er in der Vergangenheit alle erforderlichen Zaubersprüche gelernt hatte. Würde er sich außerhalb der Stadt behaupten können? Seit seinem fünften Lebensjahr hatte er Cimala nicht verlassen und davor war er als Sohn einer armen Bauernfamilie aufgewachsen. An den Namen seines Heimatdorfes konnte er sich nicht mehr erinnern. Der Weg in die Hauptstadt des Landes war die längste Reise gewesen, die er in seinem ganzen Leben unternommen hatte. Er hoffte darauf, dass er von den Meistern, die er vor seinem Aufbruch aufsuchen musste, zumindest Hinweise bekommen würde, was ihn erwartete. Es behagte ihm nicht, sich vielleicht wochenlang über die Landstraßen zu bewegen, ohne zu wissen, welche Gefahren dort auf ihn lauern mochten.
Tief in Gedanken versunken, überquerte er den Platz und näherte sich der Bibliothek, die nur den Magiern der Gilden zugänglich war. Das Gebäude aus grauem, vom Regen verwaschenem Stein war wesentlich kleiner als das Hauptquartier, doch es war groß genug, um die Schmalseite des Platzes einzunehmen. Über den davor aufgereihten Marktständen erhoben sich die schmalen, spitz zulaufenden Fenster in den Außenmauern. Luves schob sich zwischen den Menschen hindurch auf das Eingangstor zu, vor dem ebenfalls Wachen postiert waren. Als häufiger Besucher des Hauses war er ihnen bekannt und sie ließen ihn passieren, ohne nach seinem Anliegen zu fragen. Er trat durch das Portal und befand sich in einem Labyrinth aus Regalen. Dort lagerte das gesammelte Wissen der Magier, wurde seit Jahrtausenden an diesem Ort festgehalten und archiviert. Die Luft roch muffig und abgestanden, nach altem Leder, Staub und Tinte. Es herrschte eine dumpfe Stille, in der man nur leise ein Rascheln zwischen den Regalen hörte, wenn jemand eine Seite umblätterte. Meister Bukov und alle Magier, die in dieser Bibliothek tätig waren, achteten darauf, dass es ruhig blieb und die Schüler und Anwärter nicht lauthals schwatzten oder Unfug trieben. Im Gegensatz zu vielen seiner Mitschülern liebte Luves die strengen Regeln, die an diesem Ort herrschten. Die Studienzeit stellte für ihn die angenehmsten Stunden des Tages dar. Eingehüllt in die Stille konnte man den Geist ruhen und die Gedanken schweifen lassen und die Magie auf eine angenehme Weise erfahren und spüren. Einen Zauber auszuüben, stellte sicherlich eine großartige Erfahrung dar, in ihrer urtümlichen Kraft, mitunter sogar Gewalt. Doch hier glichen die Zauber eher einem sanften Fließen. Gefangen zwischen Buchseiten, mittels Schrift und Tinte auf Papier gebändigt, warteten sie darauf, von den jungen Magiern entdeckt zu werden. Im Vorbeigehen strich er über einige Buchrücken und spürte die Energie der darin enthaltenen Zaubersprüche, Flüche und Beschwörungen.
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