Menschen und Karren schoben sich lärmend durch die enge Gasse in die Richtung des Marktplatzes. Toge riet Luves dazu, lieber einen Umweg zu nehmen, um an sein Ziel zu gelangen. Dafür mussten sie zwar einen längeren Fußweg in Kauf nehmen, aber so konnten sie das Gedränge umgehen. Sie scherten aus dem Pulk aus und wechselten in eine schmale Seitengasse. Dieses Viertel zählte zu den ärmsten und zwielichtigsten der Hauptstadt. Kein anständiger Bürger wagte sich in die Kneipen, die nicht mehr als billige, heruntergekommene Kaschemmen waren. Erst recht nicht in die Hurenhäuser, die von der Obrigkeit nur solange geduldet wurden, wie sie horrende Abgaben entrichteten. Vor einer Hauswand lag ein regloser Mann, den Luves erst für einen Haufen Lumpen hielt, so fest, wie er in seinen Mantel eingewickelt war. Erleichtert bemerkte er, dass die Gestalt sich leicht regte, als er sie passierte. Zwar hatten die Soldaten der Stadtwache ein Auge auf das Treiben in diesem Bezirk. Dennoch fand man immer wieder einen nächtlichen Zecher tot und ausgeraubt in einer Nische zwischen den Häusern. Der Mann gab ein paar unverständliche Laute von sich und versuchte unbeholfen, sich aufzusetzen. Über so viel Dummheit konnte Luves nur den Kopf schütteln. Immerhin war es kein Geheimnis, dass man diese Gegend besonders nach Einbruch der Dämmerung mied, wenn einem Leib und Leben lieb war.
Aus einem Hauseingang trat eine junge Frau, die schwungvoll einen Eimer voll schmutzigem Wasser auf der Straße ausleerte. Die jungen Magier konnten ihr gerade noch rechtzeitig ausweichen, bevor der Wasserschwall sie traf. Aus dem Haus hinter ihr schallte lautes Gelächter und Gesang heraus.
»So früh schon auf den Beinen?«, rief sie ihnen lächelnd zu. »Oder sucht ihr nur ein warmes Bett, um eure Nachtruhe fortzusetzen?«
»Da sage ich nicht nein«, entgegnete Toge heiter und klopfte Luves auf die Schulter. »Viel Glück bei den Veteres.«
Der packte ihn am Ärmel und versuchte ihn zurückzuhalten.
»Du weißt genau, dass es uns verboten ist, die Hurenhäuser aufzusuchen. Was ist, wenn man dich erwischt?«
»Wer soll mich denn dabei ertappen?«, lachte Toge. »Du hast doch selbst gesagt, den Magiern sei der Kontakt zu den Dirnen untersagt. Selbst wenn mich einer der Meister drinnen sehen sollte, schweigt er, damit er sich nicht selbst verrät.«
»Bleib hier!«
Doch der junge Mann machte sich von ihm frei und ging auf die Tür zu.
»Ein Mann muss tun, was ein Mann tun muss!«, rief er seinem Begleiter über die Schulter zu, dann war er im Inneren des Hauses verschwunden.
Die Dirne winkte Luves zu, es ihm gleichzutun, doch er schüttelte verlegen den Kopf.
»Für Anwärter der Gilde haben wir besonders weiche Lager. Wenn du etwas Hilfe für deine Studien benötigst, dann findest du hier geduldige Lehrerinnen, die dich gerne in ihren Künsten unterweisen, die nicht weniger zauberhaft sind als deine Fertigkeiten.«
Sie zwinkerte ihm verschwörerisch zu und zog ihre Bluse ein Stück herunter, so dass der Ansatz ihrer Brüste zu sehen war.
»Ein andermal vielleicht«, murmelte Luves und wich ihrem Blick aus.
Sie zog einen Schmollmund und wiegte aufreizend ihre Hüften. Der Kopf eines kleinen Mädchens lugte hinter ihren Röcken hervor und es musterte ihn neugierig. Die Kleine wischte sich mit dem Handrücken über ihre verschmierte Nase und schob ihr langes, strähniges Haar zurück.
»Schade. Dabei seid ihr alle solche hübsche Burschen und ich würde gerne eines deiner Kunststückchen sehen«, sagte die Frau. »Ihr Magier zeigt doch gerne, wie geschickt ihr mit den Fingern seid.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sie sich von ihm ab und verschwand hinter Toge in dem Haus. Nur das kleine Mädchen in den zerlumpten Kleidern sah ihn erwartungsvoll an.
»Oh, bitte! Zeig mir ein kleines Kunststück«, bettelte sie.
In ihren Augen leuchtete es hoffnungsvoll und Luves schluckte schwer. Voller Unschuld sahen die Kinderaugen zu ihm auf und er brachte es nicht über sein Herz, die Kleine zu enttäuschen. Mit einem theatralischen Seufzen streckte er seine Rechte aus und ballte die Hand zur Faust.
»Mulego«, murmelte er und streckte seine Finger.
Auf seiner Handfläche tanzte eine kleine Flamme, die sich sanft windend in die Höhe schraubte, bevor sie erlosch. Entzückt schrie das Kind auf und klatschte ihm Beifall.
»Mylady, ich hoffe, Euch hat meine Vorführung zugesagt.« Luves verbeugte sich leicht vor ihr.
»Das war wundervoll! Du bist ein großer Magier.«
Kichernd deutete sie einen Knicks an.
Er ließ das Mädchen ohne ein weiteres Wort zurück. Seine Hand brannte, große Blasen bildeten sich auf der Haut. Luves zog sich die Kapuze seines Umhanges tiefer über das Gesicht, damit niemand sehen konnte, wie er vor Schmerzen die Miene verzog. Ein Ziehen und Kribbeln zog sich durch seinen ganzen Arm, als seine Kräfte die Brandwunde heilten. Die Blasen zerplatzten und die Haut schälte sich, um neue zu bilden. Als er das Ende der Gasse erreichte, bewegte er vorsichtig die Finger. Erleichtert atmete er auf, als er feststellte, dass der Schmerz verging und frische, weiche Haut seine Handfläche überzog.
Vor ihm erstreckte sich ein weitläufiger Platz und der Lärm des täglichen Marktbetriebes schlug ihm entgegen. Er schob sich zwischen den bunten Ständen durch die Menschenmenge, bis er eine freie Fläche in der Mitte des lautstarken Treibens erreichte. Mochte der Markt noch so überfüllt sein, keiner der Menschen betrat den kreisrunden Platz, der sich durch seinen Belag aus schwarzem Marmor abhob. Dies war allein den Magiern der drei Gilden vorbehalten. Luves überquerte die zehn Schritt breite Fläche und näherte sich einer quadratischen Säule, die sich haushoch aus der Mitte erhob. Er legte seine Hände auf den kalten Stein und lehnte sich mit der Stirn dagegen. Auf seiner Haut spürte er das Kribbeln und Brennen der magischen Energien der vier Elemente, die von der Säule gebündelt wurden. Angesichts der Erhabenheit der Urgewalten wurde ihm schmerzlich bewusst, wie klein und unbedeutend er war. All das Leben, das sich lärmend um ihn erhob, bewegte sich nur an der Oberfläche dieser Kräfte. Selbst ihm als Magier, würde es niemals gelingen, all diese Herrlichkeit in ihrer Gänze zu erfassen.
»Mein Dank an die Mächte, die mich erwählten, um an ihren Kräften teilzuhaben«, murmelte er eine kurze Gebetsformel. »Steht mir bei im Kampf gegen das Übel und vergebt mir meine Schwäche.«
Der Wunsch, hier zu verweilen und für seine Sünden Buße zu tun, war übermächtig. Er wollte seine Überheblichkeit gestehen, als er vor dem kleinen Mädchen seine Fähigkeiten präsentiert hatte, als ob er ein dahergelaufener Gaukler wäre. In solchen Momenten dachte er sich nichts dabei, war willkürlich und fahrlässig gewesen, doch dies war unschicklich für jemanden seines Standes. Schließlich war er kein gewöhnlicher Mensch oder wie eine der Wesenheiten, die das Land bevölkerten. Er stand als Magier über ihnen und trug eine Verantwortung, die etwas Höherem diente, nämlich dem Schutz von Aestra, der einzigen Heimat, die er kannte.
Widerwillig löste er sich von der Säule und blinzelte zum wolkenlosen Himmel hinauf. Seine Buße musste bis zum Abend warten, wenn er den Gebetsraum in der Anlage seiner Gilde aufsuchen konnte. Auf seinem Weg hatte er bereits zu viel Zeit vergeudet. Er verließ den Platz und schritt auf das der Säule gegenüberliegende Hauptquartier der Magiergilden zu. Es erhob sich über mehrere Etagen und von den oberen aus konnte man die gesamte Stadt bis über die Stadtmauern hinaus überblicken. Ein imposanter, schmuckloser Bau, der über die gesamte Hauptstadt zu wachen schien und dessen Bewohnern nichts entging, was sich in den Häusern und Gassen zutrug. Luves stieg die breite Treppe hinauf, über die er den Haupteingang erreichte. Zwei Soldaten hielten davor Wache und ließen ihn erst passieren, nachdem sie sich vergewissert hatten, dass er das Siegel der Magiergilde an sich trug. Diese Wachen waren weit weniger nachlässig als diejenigen, die am Stadttor postiert waren. Er trat durch die Türen aus massivem Holz und befand sich in einem düsteren Korridor, der von schmiedeeisernen Kerzenleuchtern erhellt wurde. Auf seinem Weg ging er an mehreren Türen und abzweigenden Gängen und Treppen vorbei, doch er wusste, wohin er sich zu wenden hatte.
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