»Ich muss gestehen, du warst mir früher etwas unheimlich«, riss der Jäger ihn aus seinen Gedanken.
»Warum war ausgerechnet ich dir unheimlich? Es gibt niemanden, der harmloser ist als ich.«
Ungläubig sah Luves ihn an und zog skeptisch die Augenbrauen zusammen.
»Dein unermüdlicher Ehrgeiz war vielen suspekt. Du hast nie aufbegehrt, egal, was man dir aufgebürdet hat und du hast jede Herausforderung angenommen, auch wenn du wusstest, dass du scheitern würdest. Ich habe mich immer gefragt, was dich dazu antreibt.«
»Du hast dich selbst gefragt, aber nie mich. Ich habe mir ständig neue Ziele gesetzt und daran gearbeitet, sie zu erreichen.«
»Gehörte dazu auch der vorzeitige Erhalt des Siegels?«
»Ich wollte einfach beweisen, dass es möglich ist, diese Prüfungen zu bestehen, auch wenn es nicht dem Alter entspricht.«
»Aber gebracht hat es dir nicht sonderlich viel. Du hast das Mal erhalten und danach ging deine Ausbildung doch nur den üblichen Weg.«
»Ich muss gestehen, damit hatte ich nicht gerechnet. Heute weiß ich nicht mehr, was ich mir davon versprochen habe, aber zumindest hatte ich es hinter mir, ein Brandeisen aufgesetzt zu bekommen.«
Reget lachte kurz und gezwungen auf, rieb sich fahrig über die Stirn.
»Kilian wird die Prüfungen nicht bestehen«, sagte er und sah Luves ernst an.
»Wie kommst du auf diesen Gedanken? Er herrscht über zwei der Elemente. Ein solches Talent gab es zuletzt vor rund hundert Jahren, wenn ich mich recht erinnere. Selbst ich beneide ihn darum. Es ist wahr, dass er unsicher im Gebrauch der Kräfte ist, über die er befiehlt. Alles was er braucht, ist etwas mehr Übung und Selbstvertrauen. Er muss sich besser auf die Sprüche konzentrieren, aber das wäre auch schon alles.«
»Er beherrscht alle erforderlichen Sprüche, aber er will sie nicht einsetzen. Ich habe eingehend mit ihm gesprochen und das nicht nur heute. Sein Talent liegt darin, magische Utensilien wie Amulette oder Zaubertränke zu fertigen und nicht im Kampf. Er ist als Jäger völlig ungeeignet und fürchtet sich geradezu davor«, erklärte Reget.
»Dann könnte man ihn zu den Kesselrührern schicken. Dort wäre er am besten aufgehoben. Er trägt noch nicht das Siegel unserer Gilde. Somit wäre es möglich, dass er zwischen den Häusern wechselt.«
»Das Haus ist bereits gefüllt und sie nehmen keine weiteren Anwärter auf. Ebenso wie die Spruchweber in der Bibliothek. Es gibt einen neuen Beschluss vom Rat, der heute unter den Jägern bekanntgegeben wurde.«
»Warum weiß ich nichts davon?«
»Du bist nur ein Anwärter und kein vollwertiger Jäger. Das bist du erst nach deinem ersten erfüllten Auftrag.«
»Dieser Aufnahmestopp ist doch Unfug. Sollen alle Schüler zukünftig Jäger werden? Das glaube ich dir nicht.«
»Es wird dir nicht gefallen, Luves, aber dieses Vorgehen hat durchaus seine Gründe. Es liegt nicht nur daran, dass die anderen Häuser gefüllt sind. Vielmehr ist es so, dass wir mehr Jäger, also Krieger, brauchen werden. Wenn die vier Mächte es nicht verhüten mögen, dann wird es zukünftig nur noch Schüler in unserer Gilde geben.«
»So viele brauchen wir doch niemals. Oder befürchtet der Rat eine Rückkehr all der Geistwesen, die aus Aestra vertrieben wurden?«
»Es wird bald ein Krieg ausbrechen.«
»Woher weißt du das?«
Reget sah sich vorsichtig um, als ob er fürchtete, belauscht zu werden. Mit einer unauffälligen Geste bedeutete er ihm, leiser zu sein.
»Mach deine Augen auf, Luves«, raunte er ihm zu.
»Die Wesen, die wir jagen, fliehen nicht einfach nur in die freien Lande. Sie sammeln sich dort und warten auf eine Gelegenheit, uns anzugreifen.«
»Hast du dafür Beweise? Weiß der Rat davon?«
»Schau doch nur, wohin wir Jäger ausgesandt werden. Wir bewegen uns nur noch entlang der Grenzen und fangen diejenigen ab, die die Sommerlande verlassen wollen. Vor ein paar Tagen haben wir einen Dämon aus den kleineren Rassen gefangen und verhört. Erst wollte er nicht reden, aber die Folter hat seine Zunge gelockert. Er hat uns keine genauen Pläne verraten, bevor er gestorben ist, aber wir haben genug erfahren, um zu erahnen, was vor sich geht. Die geächteten Wesen bringen in den Städten hinter den Grenzen von Aestra ihre Familien in Sicherheit und jeder, der kämpfen will, scheint sich den aufständischen Truppen anzuschließen. Aber das betrifft nicht nur die Wesenheiten. Es gibt auch großen Unmut innerhalb der Bevölkerung. Die Menschen sind unzufrieden und begehren immer öfter auf. Das merkt man daran, dass sie sich weigern, ihre in der Magie begabten Kinder den Gilden zu übergeben. Du hast selbst auf dem Marktplatz gesehen, wie wenige es nur noch sind. Es ist schon lange keine Ehre mehr, zu den Magiern zu gehören. Sieh dich vor, wenn du auf den Straßen unterwegs bist. Man kann nicht sagen, wie die Dinge sich entwickeln werden.«
Luves blieb stehen und hielt den Atem an. Reget legte ihm die Hand auf die Schulter und sah ihn eindringlich an.
»Die Zeiten haben sich geändert und schon bald wird Aestra nicht mehr das Land sein, das es einmal war. Die Macht der Magier steht auf wackeligen Füßen und bald muss sich jeder entscheiden, auf wessen Seite er steht.«
»Was willst du mir damit sagen? Es klingt, als ob du zu den Aufständischen überlaufen wolltest.«
»Das habe ich nicht behauptet, aber man muss vorsichtig sein, wem man vertraut.«
Reget beschrieb eine hilflose Geste. Hatte er zuvor in der Bibliothek noch überlegen und stolz gewirkt, so war er nun verunsichert und seine Bewegungen fahrig.
»Sieh dich einfach nur vor«, sagte er schnell.
Luves holte tief Luft. Es gab viele Gerüchte darüber, dass besonders die Bevölkerung in den ländlichen Gebieten mit der Herrschaft der Magier unzufrieden war. Niemand in der Hauptstadt nahm ihr Murren und Zetern ernst. Was sollte auch eine Horde Bauern mit ihren Ackergäulen und Mistgabeln gegen Hunderte von gut ausgebildeten und kampferfahrenen Magiern ausrichten? Die Gilden regierten seit Jahrhunderten dieses Land und daran würde sich auch nichts ändern. Trotz dieser Gewissheit beschlich Luves ein mulmiges Gefühl und er nahm sich vor, auf seiner Reise besonders aufmerksam zu sein.
»Ich werde vorsichtig sein und mich umhören«, sagte er.
»Darf ich dir als Jäger einen guten Rat geben?«, fragte Reget versöhnlich.
»Gerne«, sagte Luves, in der Hoffnung von ihm einen hilfreichen Hinweis zu bekommen, wie er vorgehen konnte.
»Sobald du den Faun siehst, brate ihm einen Blitz über den Balg und schick ihn in die Unterwelt.«
Verdutzt sah Luves ihn an. Dann brach er in schallendes Gelächter aus. Er wischte sich die Tränen aus den Augen und erklärte seinem Begleiter, dass Meister Bukov ihm einen sehr ähnlichen Rat gegeben hatte.
»Wenn dir zwei das Gleiche sagen, solltest du dich vielleicht auch daran halten«, sagte der Jäger grinsend.
Er entbot Luves einen letzten schnellen Gruß und wünschte ihm viel Glück für seinen Weg. Misstrauisch sah der Magier ihm nach, als er sich zwischen die Menschen drängelte und rasch von der Menge verschluckt wurde. Luves überlegte, ob er dem Jäger folgen und ihn doch noch zur Rede stellen sollte, denn dessen Andeutungen gaben ihm zu denken. Doch er hatte wichtigere Dinge zu erledigen. Er konnte nur darauf hoffen, Reget später erneut im Haus der Gilde zu treffen, um ihr Gespräch fortzusetzen.
Durch das östliche Tor gelangte Luves in die Siedlung der Zauberwirkenden, die man auch die Kesselrührer nannte. Auf einen Außenstehenden mochte diese Ansammlung von Häusern und Werkstätten wie ein kleines Dorf wirken, das sich jenseits der Mauern von Cimala angesiedelt hatte. Grauer Rauch stieg von den Schornsteinen der aus roten Ziegeln gemauerten Häuser in den Sommerhimmel auf. Geschäftiger Lärm drang aus einer der Schmieden hervor. Als er eines der Gebäude passierte, in denen man Zaubertränke braute, stieg ihm der intensive, würzige Duft der Kräuter in die Nase, hüllte ihn dicht wie eine Wolke ein. Er hustete, bis ein Windhauch die Dämpfe vertrieb. Unruhe entstand im Inneren des Hauses, Stimmen wurden laut. Die Tür sprang auf; ein junger Schüler stürmte an ihm vorbei, rannte durch den Spalt zwischen zwei Häusern und verschwand. Ein Meister der Gilde der Zauberwirkenden wankte hustend zur Türschwelle und lehnte sich gegen den Türrahmen. Weißlicher Rauch kroch gleich einem feinen Nebel bis auf seine Kniehöhe aus dem Inneren nach außen.
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