Im Laufe des Monats September verfällt Udo wieder in sein altes Verhaltensmuster, nachdem sich bis dahin die Alkoholeskapaden leicht in Grenzen gehalten haben. Ich kann sagen und machen was ich will, es interessiert ihn nicht. Fast provokatorisch macht er sich ein Bier auf, unmittelbar bevor er zur Arbeit fährt, trinkt es aus, ... und steigt ins Auto. Ich bin machtlos dagegen, ... er ist unbelehrbar, wird höchstens noch grob. Ich kann nicht mal sagen, ob ich es mir wünschen sollte oder nicht, dass die Polizei ihn erwischen möge. Mitte September ist die Saisonarbeit bei Vogenschmidts wieder beendet, es bleibt mir das Taschengeld für die Backerei, sowie für die Blumen, die ich bis in den Oktober hinein zur Gaststätte bringen kann. Nun weiß ich ja auch, ich muss umgehend zum Arbeitsamt laufen und meine Unterlagen dort abgeben. Im Oktober hat Carlo Herbstferien, wir fahren wieder nach Seelstein, Carlo und ich. Ich bin natürlich froh, als Udo meint, er möchte nicht mitkommen, ... also können wir die Zeit unbeschwert genießen. Das Wetter ist noch recht schön, auch wenn es gegen Abend kühl wird. Wir sind noch viel am Steiger und machen ihn an den letzten Tagen unseres Besuches winterfest. Die Gespräche zwischen meinen Eltern und mir verlaufen wie bei jedem Besuch bei ihnen stets schablonenmäßig ab.
Wieder in Domstedt angekommen, mache ich mich gleich daran, auch hier den Garten für die Winterpause herzurichten, ... natürlich allein, ... jeglicher Kommentar ist überflüssig. Ich gebe noch Tulpenzwiebeln in die Erde, die ich aus Seelstein mitgebracht habe. Nun ist es am Abend schon ziemlich kalt, ich heize den Badeofen, wie immer hole ich die Kohlen dafür selbst aus dem Schuppen. Am nächsten Tag macht Udo keine Anstalten, um sich für den Gang, bzw. Fahrt zur die Arbeit fertig zu machen. „Musst Du nicht langsam los?“, frage ich nach. Erst erhalte ich keine Antwort, sondern höre nur das abstoßende, zischende Geräusch einer Büchse Bier, die gerade geöffnet wird. Er bleibt im Sessel kleben, auf dem Tisch steht noch eine Flasche Schnaps. „Sag` mal hast Du mich nicht verstanden?, oder warum antwortest Du mir nicht?, ich finde man braucht am Vormittag, überhaupt wenn man gleich zur Arbeit muss, nicht auch noch Schnaps trinken, es reicht doch wohl schon, wenn Du noch kurz vorher ein Bier aufmachst?“, frage ich erneut in Erwartung einer Reaktion von ihm. „Ich gehe nicht zur Arbeit“, nuschelt er und setzt das Bier an, welches er wie üblich nicht einmal in ein Glas füllt. „Ach so?, ... und warum nicht, wenn ich fragen darf?“. „Na der Messerstein hat mich entlassen“, meint er als wäre es das normalste auf der Welt. „Entlassen bist Du also, ... warum brauche ich ja nicht zu fragen, ... oder?“. Ich bekomme keine Antwort und bringe selber im Moment nichts anderes als ein „na ja“ hervor. Er ist bereits so betrunken, es ergibt ohnehin keinen Sinn, diese Unterhaltung fortzusetzen. Ich denke nur, bedauerlicher Weise recht behalten zu haben, was meine Zweifel in Bezug auf den Autokauf betreffen. Zum Glück finde ich wenigstens einen Käufer für den alten Opel, der noch immer herumsteht, ein Bastler nimmt ihn für 500, - DM. Udo ist gerade irgendwo unterwegs, ich stecke das Geld weg, damit zu Weihnachten nicht wieder die gleiche Misere eintreffen kann wie im letzten Jahr. Dem Udo fällt nicht einmal auf, dass das Auto weg ist, erst mehrere Wochen später bemerkt er, dass es nicht mehr an dem Platz steht, wo es viele Wochen zugebracht hat. Ich liege Udo jeden Tag in den Ohren, weil es mit ihm nicht so weitergeht, er mit der Trinkerei aufhören müsse und dass er sich um Arbeit zu kümmern hat, … und unbedingt das Arbeitsamt aufsuchen muss. Ich hingegen mache mir Gedanken, wie ich es anstellen könnte, wieder eine Tätigkeit im Gesundheitswesen aufzutreiben und es kehrt die Überlegung zurück, es wäre sicher gut und hilfreich, wenn ich nochmal Anlauf nehme und den Führerschein mache. Ich bekomme jetzt regelmäßig Arbeitslosengeld, ... wenn etwas da ist, kann man auch etwas einteilen, auch wenn es sehr lange dauert bis es zum Erfolg führt. Udo gibt mir von sich aus zur Zeit überhaupt keinen Pfennig, also gehe ich, und hole seine Papiere von Messersteins ab, fülle sie bis auf seine Unterschrift aus und gebe alles beim Arbeitsamt ab. Ich bestehe darauf, dass Udo mir für alle anfallenden Kosten im Haushalt entsprechend Geld abgibt. Erst habe ich überlegt, wie man das unliebsame Auto wieder loswerden könnte, aber dann fällt mir wie gesagt das Ganze mit dem Führerschein ein und dass, wenn dieses Auto nun schon mal da ist und ich ja auch meinen Anteil zahle, ob ich will oder nicht, dann ebenso das Recht habe, ebenfalls mit diesem Auto zu fahren. Es wird wie gesagt eine geraume Weile dauern, bis das Geld zum Führerscheinerwerb endlich beisammen gekratzt ist, aber irgendwie muss es gehen.
Udos Trinkerei ist einfach das Widerlichste was ich bisher erlebt habe, er schlägt vermutlich Carlos Vater damit noch um ein paar Längen. Ich verweile manchmal in der abstrusen Vorstellung, wer von den beiden beim Kampfgelage der Unterlegene sein würde. Ich ekele mich vor Udo, besonders dann, wenn er wie ein Wiedehopf stinkend „etwas von mir will“. Genauso hirnverbrannt wie damals vor Jahren die Annahme, die ich als junges Mädchen, bzw. Junge Frau hatte, nämlich, denjenigen auch heiraten zu müssen, mit dem man sich im Bett getroffen hat, bin ich zu der Zeit noch allen Ernstes der Meinung, dass man den sogenannten „ehelichen Pflichten“ nachzukommen hat. Nun werden wiederum einige Leser sagen: Na, also so etwas gibt es doch nun wirklich nicht, wie doof ist die denn, ... nein, ... das glaube ich nicht. Dennoch ist es leider so, so wahr ich hier sitze und es gerade aufschreibe, ... die Wahrheit. Es ist einfach nur widerlich und es lässt sich kaum beschreiben, wie es einem zumute ist, wenn man sich in so einer Lage befindet, ... wenn sich jemand etwas nimmt, was man selber nicht möchte. Man hofft eigentlich nur, derjenige ist so blau, dass man sich entziehen kann, weil man hofft, dass dieser für bestimmte Dinge nicht mehr in der Lage ist, bereits in der Küche oder in der Stube in sich selber zusammensinkt, einpennt und derartige Versuche unterlässt. Es ist eine furchtbare Demütigung, ... man hält still, lässt es über sich ergehen, schon deshalb weil man Angst hat, das Kind könnte aufwachen und es mitbekommen. Man fährt schon zusammen wenn sich diese polternden Schritte nähern, fürchtet sich vor den quälenden, plumpen und ungehobelten Zudringlichkeiten, die trotz ablehnender Haltung auf einen zukommen. Es schauert mich, wenn er bei dem Versuch mich zu küssen ekelhaft anfängt zu sabbern, ich denke jeden Abend oder jede Nacht, dass es mir hoffentlich erspart bleiben würde.
Alles kann nicht so weitergehen, er muss arbeiten, ich wälze Zeitungen, finde dabei eine Firma, die Fenster, Türen und dergleichen verkauft. Ich rufe in Udos Namen dort an, mache einen Termin und fahre zu dessen Vereinbarung mit Udo mit, ... das ist im Dezember 1991. Er wird angenommen, verstehen tue ich das eher nicht, aber ich bin froh, er muss nun wieder Auto fahren und zwar auch größere Strecken und nicht nur bis zur Strandgaststätte. Wieder hoffe ich auf Einsicht und einen Zusammenriss von Udos Seite. Gott sei Dank können wir zu Weihnachten zu meinen Eltern fahren, wir packen unsere Sachen, wieder bedauere ich, noch immer keinen Führerschein zu haben. Als ich noch ein paar Dinge lose in den Kofferraum des Autos lege, sehe ich, dass sich dort zwei große Beutel Bier befinden, die Udo offensichtlich bereits dort deponiert hat. Nee, ... denke ich, wenigstens soll er nüchtern, und wir heil ankommen, ... in einem günstigen Moment entferne ich das Bier bis auf drei Flaschen aus dem Auto. Die drei Flaschen reichen, die kannst du trinken wenn wir in Seelstein gelandet sind, spreche ich zu mir selber und frage mich, was wohl werden würde, wenn ich wie bei solchen Situationen nicht so auf diese Trinkerei aufpassen würde. Heute verstehe ich es nicht mehr, warum ich es überhaupt so lange getan und lieber alles ausgehalten habe, anstatt den Mund aufzumachen.
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