In den Jahren 1991, 1992 und 1993 weist mein Tagebuch sehr große Lücken auf, meist habe ich nur stichpunktartig das Wichtigste festgehalten und nun kostet es sehr viel Arbeit und Mühe, alles in vernünftige Sätze und Handlungen zu kleiden, aber wie gesagt, vergessen habe ich nichts von dem was ich erlebt habe, ... na schau` n wir mal weiter. - Im April 1991 gibt mir Udo freiwillig für uns beide, für Carlo und für mich etwas Geld, ich hoffe, es ist ihm dann doch etwas unangenehm weil ich gesagt habe, ich würde es mir am Geldtag holen. Der Opel ist wieder kaputt und bleibt es wohl auch, Udo schleudert mit dem Rad zur Arbeit, jeden Tag habe ich Angst, er könnte es mit seiner Trinkerei wieder auf die Spitze treiben und entlassen werden. Über meinen Geburtstag 1991 steht nichts in meinem Tagebuch, sicher ist er sang und klanglos an mir vorbeigezogen. Im Mai 1991 geschieht dann wieder etwas aus der Bahn werfendes, jedenfalls was die fernere Zukunft insgesamt betrifft. Udo kommt von der Arbeit nach Hause und sagt: „Morgen fahren wir alle nach dem Westen, ... nach Lübeck, ich habe eine Überraschung für Dich“. Ungläubig frage ich: „Eine Überraschung?, ... was soll das sein?, ... und Carlo?, was ist mit Carlo?“. „Der kommt natürlich auch mit“, antwortet er, dann fügt er hinzu: „Aber wenn ich es sage, dann ist es keine Überraschung mehr“. Ich wundere mich darüber, frage aber nicht weiter nach, sondern warte den nächsten Tag ab. Wir fahren mit dem Bus nach Wiesenstadt und von da aus weiter nach Lübeck. Als wir im Zug sitzen frage ich: „Hast Du die Rückfahrt gleich mit gelöst?, ... Du weißt ja sicher, es ist dann etwas billiger“. „Nein, ... habe ich nicht, ... weil wir mit dem Auto nach Hause fahren werden!“. „Wieso mit dem Auto?, ... mit welchem Auto?, ... was hast Du vor?“, erkundige ich mich etwas verwirrt. „Ich habe Dir doch gesagt, ich habe eine Überraschung, ich habe telefonisch alles klar gemacht, wir brauchen den Vertrag nur noch zu unterschreiben“ . „Du willst ein Auto kaufen?, ... ja aber wovon soll das denn bezahlt werden, wir haben doch kaum Geld und kommen nur eben geradeso über die Runden, es reicht knapp zum leben und ab und zu dafür nach Seelstein zu fahren, ... ich bin froh, ... ich habe alles soweit gebracht, dass genug zu essen da ist und auch das übrige wieder alles einigermaßen ins Gleis gekommen ist“, befürchte ich. „Was machst Du Dir den Kopf?, ich arbeite bei Messerstein, Du fängst bei Vogenschmidts wieder an und machst zusätzlich noch das „My Way- Geschäft“, ... es wird mit Raten finanziert über die Bank, das ist schon alles klar gemacht mit dem Autohaus!“. „Na, ich weiß nicht, ... das sollten wir vielleicht lieber bleiben lassen, ich habe kein gutes Gefühl dabei, ... und dieses „ My Way“ , das bringt doch so gut wie nichts ein, das kann man doch nicht als Einnahme bezeichnen, ich denke, ich werde es sowieso nicht weitermachen, ... die Sachen sind zwar gut, aber sehr teuer und die meisten Leute haben kein Geld dafür, ... und ich habe gemerkt, es liegt mir nicht, jemanden etwas zu verkaufen“. Indessen sind wir am Bahnhof in Lübeck angekommen. „Na, ... nu, ... das wird schon, Du musst mit unterschreiben, sonst wird das nichts mit der Finanzierung durch die Bank“. „ ... Und ein nagelneues muss es doch nicht sein, wenn, ... dann reicht doch auch ein gebrauchtes Fahrzeug, ... Udo, ich finde das nicht gut, ich finde auch nicht gut, dass du das alles hier allein entscheidest! ... sage doch einfach, wir haben uns das anders überlegt, ... bitte!“, meine ich verzweifelt. Mittlerer Weile am Autohaus angelangt, zieht mich Udo unsanft hinter sich her. „Jetzt sind wir hier!, ... meinst Du ich blamiere mich vor dem Verkäufer, ... und morgen vor Herrn Messerstein?, ... ich gehe jetzt da hinein, ... und Du gehst mit!, verstanden?!“. Carlo ist unterdessen zu einem Geschäft nebenan gegangen und bestaunt die dort ausgestellten Motorräder. Als wir ins Büro des Autohauses kommen, werden wir begrüßt, als wären wir ein Kaiserpaar von ich weiß nicht woher und etwas ganz besonderes. Die Verträge liegen bereits auf dem Tisch, ... bereit zum unterzeichnen und ich bekomme einen riesengroßen Blumenstrauß. Wiedermal in meinem Leben kann ich mich nicht durchsetzen und unterschreibe etwas, was mir widerstrebt. Während wir nach Hause fahren und Udo eine Eloge auf das neue Auto herablässt, kann ich nur stets daran denken, wie und wovon die monatlichen Raten von über 300, - DM bezahlt werden sollen, es bleibt nur wenigstens die Hoffnung, Udos Verhalten in Bezug auf seinen Alkoholabusus würde sich zum Guten wenden. Wie geplant fange ich irgendwann im Mai wieder in der Gaststätte „Marktmitte“ bei Familie Vogenschmidt meine Saisonarbeit an. Zu den Aufgaben, die ich bisher bereits aus dem vergangenen Jahr kenne ist nichts neues dazugekommen, alles wie gehabt, ... ich kenne mich mit allem nun schon gut aus.
Im Juni 1991 habe ich den kleinen Garten hinterm Haus vollkommen fertig, aus einer Wüste eine gemütliche Ecke geschaffen. Außerdem tapeziere ich das Schlafzimmer und gestalte das Bad neu. Trotz Arbeit bei Vogenschmidts mit Kuchen backen inklusive, dem Haushalt, den Renovierungsarbeiten und dem Garten findet sich noch genug Zeit für Carlo, um bei schönem Wetter zum Strand zu gehen. Im Juli habe ich trotz Saisonarbeit von Vogenschmidts ein paar Tage frei bekommen, damit ich zu Papas Geburtstag dabei sein kann. Ich fahre mit Carlo allein, Udo muss arbeiten, ... ich kann es nicht bedauern, … er muss dableiben, Miss. Elli nehmen wir mit. Es sind wie immer schöne Tage in der Heimat, besonders weil Udo nicht dabei ist und ich deshalb ohne Blamierungsängste diese Tage genießen kann. Henny ist auch da, wir sind viel im Garten, dann ist auch gerade „Vogelschießen“, wir lassen es uns nicht nehmen, die Festwiese zweimal aufzusuchen um alte Freunde zu treffen. Ich hege den Wunsch, eventuell Jonas wiederzusehen, aber er erfüllt sich nicht, wer weiß, vielleicht ist er gar nicht mehr hier und wie ich woanders hingezogen.
Im August freue ich mich über einen großartigen Blumenertrag in meinem Garten, er ist so reichlich, ich kann die Gaststätte regelmäßig mit frischen Blumen versorgen, es ist ein zusätzliches kleines Taschengeld. Herr Vogenschmidt macht noch immer gern Späße und er foppt seine Frau wie eh und je mit den abgezählten Pimentkörnern. Er ladet auch mich eines Abends zu einem kleinen Kollektivbeisammensein ein und bereitet ein tolles Essen. Anschließend präsentiert er seine neueste Errungenschaft. Er hat eine kleine Lokomotive gekauft, die steht hinter der Theke, ... man kann sie aufziehen, damit sie dadurch die entsprechenden typischen Geräusche einer Dampflok von sich gibt. Immer wenn sich seine Vogenschmidti, wie er sie auch öfter nennt ärgert, zieht er die Lokomotive ein paarmal hintereinander auf und alles lacht. Ja, ... ich weiß, ... es ist kindisch, aber das Leben ist so ernst, man sollte deshalb auch einmal über etwas blödes lachen, ... oder nicht? . Zu Monatsende renoviere ich die Küche und freue mich, denn alles sieht ein wenig freundlicher aus, zudem lenkt es vom eigentlichen Geschehen ab, besonders am 27. August, ... Hennys Geburtstag.
Im September hat Carlo bereits seinen 10. Geburtstag, bis dahin habe ich auch Carlos kleines Zimmer frisch gemacht, ... aber dann doch die Idee gehabt, eben diesen kleinen Alkoven mit dem kleinen Schlafzimmer zu tauschen, ich habe Carlo ohnehin meist zur Nacht ins Schlafzimmer geschickt, ... der Ruhe wegen, ... und jetzt habe ich alles so umgestaltet, dass das Schlafzimmer quasi im Alkoven ist. Man kommt nun zwar knapp zum Bad hindurch, es ist eng, aber Udo schläft ehedem Gott sei Dank öfter gleich in der Stube ein und bewahrt mich somit vor etwaigen total ekeligen Übergriffen. An Carlos Geburtstag sind auch Udos Eltern zum Kaffee eingeladen und gekommen, zu Mittag bin ich mit Carlo bei Vogenschmidts gewesen.
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