Ließ sich die Trübsinnigkeit seines Daseins denn wirklich allein mit dem Schicksal begründen? Gab es denn ausschließlich Dinge, denen man sich anzupassen hatte? Könnten sich Probleme im Umgang mit anderen Menschen von selbst lösen? Wohl kaum!
Grimos bemerkte, wie sich allmählich seine bisherige Sicht zu verschieben begann. Natürlich, sein Gemüt mag die anderen stets dazu veranlasst haben, ihn als denjenigen, der er war, zu missachten. Vielleicht, so besann er sich, war es aber auch nicht wirklich schwer gewesen. Aber wie sah es bei den anderen aus, lebten die eigentlich wesentlich zufriedener, als Grimos es war?
Der Fischhändler Maranius Schlipp zum Beispiel war, seit Grimos ihn kannte, noch nie freundlich gewesen. Sah oder dachte man an ihn, so hatte man stets eine adrette und ausgesprochen elegant gekleidete Person vor sich, die zwar nicht durch ihre körperliche Größe als auch schmächtige Figur bestach, dafür aber umso mehr mit einem ausgeprägt vorhandenen Selbstbewusstsein alles andere verbal unterzuordnen verstand – jegliche Zweifel gnadenlos niederwalzend. Sein Blick und Gesichtsausdruck selten freundlich und noch nie hatte er ihn wirklich lächeln sehen. Ging das überhaupt? Ein sich freuender Maranius? – Nein, in diesem Augenblick kam Grimos diese Vorstellung sowas von weit hergeholt vor, dass er schmunzeln musste. Ein zufrieden dreinschauender Maranius war tatsächlich aus der Luft gegriffen. Aber genau das bedeutete im Umkehrschluss, dass jemand, mit dem ein finsterer Blick, der alles andere um ihn herum einzuschüchtern versuchte, verwachsen war, nicht ein lebenslustiges Dasein führen würde! Verheiratet war er nicht, also gab es niemanden um ihn herum, den er aufrichtig liebte. Wieder waren es die Gefühle, die eine Rolle spielten – auf eine Art. Sein außerhalb des Dorfes liegendes Anwesen zeugte von luxuriösem Ambiente und Grimos durchzuckte eine Ehrfurcht, wenn er allein an das mit Marmorstufen als auch Säulen ausgestattete Portal dachte. Etliche Bedienstete hielten den parkähnlichen Garten sowie die Villa in Schuss. Naja – Geld halt, schoss es Grimos durch den Kopf. Glücklich machte es diesen eigenartigen Mann zumindest nicht, soviel stand fest. Und wenn er weiter dachte, daran, was man über den Geschäftsmann munkelte, legte sich etwas Befremdendes über ihn. Wobei, das musste man schon zugeben, die Leute redeten immer gerne. Besonders jedoch über das, was sie neideten. So unterstellte man ihm, der auch als Kind hier aufgewachsen war, dass er in den Jahren, die er zum Studieren fortgewesen war, seinen Reichtum auf eher zweifelhafte Weise angesammelt haben sollte. Es war nicht schwer, ihm etwas illegal Anmutendes nachzusagen – sein Auftreten schien das förmlich unterstreichen zu wollen!
Aber hat das mit Respekt und Achtung zu tun? Grimos musste nicht lange überlegen. Sich mit dem Ruf von etwas Anrüchigem zu umgeben, um denen, mit denen man es zu tun hatte, den Wind aus den Segeln zu nehmen … damit sich niemand auflehnen würde … war keine Leistung, die eine ehrwürdige Anerkennung verdiente! Auch wenn die gültige Meinung über Maranius vermutlich nicht auf seinem eigenen Mist gewachsen war, so hatte er doch nichts unternommen, um dem entgegenzuwirken, sondern eher noch seine Bemühungen darauf konzentriert, diese Ausstrahlung nachhaltig zu festigen. Ob das nun etwas damit zu tun hatte, einem Ansehen gerecht zu werden oder es überhaupt verdient zu haben, ließ Grimos mal dahingestellt sein …
Noch einmal liebkoste er das verletzte Tier, bevor er dann, völlig erschöpft und von der Kälte der Nacht durchgefroren, seine Koje aufsuchte. Für heute war es genug! Genug an Erkenntnissen, vor allem aber an geistiger Arbeit, die nicht nur aufbaute, sondern im Grunde genommen das Selbst erheblich strapazierte. Ganz einfach, weil es anstrengend war, den ungeschminkten Blick in das eigene Spiegelbild zu ertragen …
Die Aufregung des vergangenen Tages noch in den Knochen spürend, war der Fischer bei Sonnenaufgang an Deck gekommen, um nach dem Delfin zu sehen, der ihn freudig plappernd begrüßte. Welche Macht hinter all dem stand, konnte er aufs Neue wieder fasziniert feststellen. Kraftvoll hatte das Tier in dem Trog mit der Schwanzflosse zu schlagen begonnen und wild schnatternd seinen Kumpel gerufen, welcher umgehend antwortete.
„Mensch, du siehst ja gut aus!“ Grimos nickte anerkennend auf ihn runter und zögerte nicht lange. Nur wenige Augenblicke später war die Schlaufe des Krans um den mächtigen Leib geschlungen und das durchdringende Surren der Winde schien in dieser frühen Stunde störend. Ein paar Möwen hatten sich auf dem Mast niedergelassen und motzten gegen das viel zu laute Geräusch gegen an. Doch die Aufregung der Tümmler überdeckte alles. Während der eine rücklings durch die Strömung tobte, seine Freude kaum zu zügeln wusste, bemühte sich der andere, den nahenden Geruch von Freiheit, nicht allzu ungestüm herbeizusehnen.
„Ruhig – nicht so rumhampeln, du fällst sonst runter, mein Freund!“ Angesteckt von diesem überaus lebensbejahenden Geschnatter konnte Grimos nicht anders, als lächelnd mit dem Kopf zu schütteln. Pure Energie als auch Freude am Dasein überlagerte selbst die maulenden Möwen, welche sich auf der Suche nach Fisch eilig verzogen. Endlich wieder das Meer um sich herum, stob das Tier förmlich aus der Schlaufe heraus und tauchte unter, um kurz danach mit einem riesigen Satz und Drehungen, die einfach nicht enden wollten, die Wellen zu durchbrechen. Beide sprangen voller Übermut, sich gegenseitig umkreisend wieder und wieder in die Luft. Tanzten vor überschäumendem Glücksgefühl ob dieses Wiedersehens umeinander und sangen Grimos ein Lied voller Dankbarkeit – so schien es und so kam es ihm vor und als solches wollte er es auch tief in sein Gedächtnis einbrennen! Schade eigentlich, dass es nun vorbei sein würde … leicht traurig wand er den Kopf Richtung Küste, die immer noch weit außerhalb seines Blickfeldes lag – Gott sei Dank! Noch reizte ihn absolut gar nichts, dorthin zurückzukehren – später, dachte er bei sich! Wie, als könne er sich nicht losreißen, waren seine Augen dann den schnellen Bewegungen der Tümmler unermüdlich gefolgt. Tief atmete er die salzige Luft ein und verlangte vollste Konzentration von sich – um ja keinen noch so kleinen Moment dieser vor Kraft strotzenden und gleichfalls anmutigen Vorstellung zu versäumen. Die geschah, als Anerkennung für sein Handeln … allein dafür lohnte es sich, hier noch zu verweilen, es sacken zu lassen, das Abenteuer, das er gestern unverhofft angetreten hatte und von dem er noch nicht sicher war, wo es ihn hinführen würde … eines Tages!
Und weil diese Ahnung immer stärker in ihm wurde, dass sein Leben von nun an in anderen Bahnen verlaufen würde - sich das Gefühl, strudelnd und ohne eigenen Willen wie ein Stück Treibholz im Fluss des Lebens gefangen zu sein, aufzuheben begann, setzte er sich erschöpft auf seinen Klappstuhl und schaute Pfeife rauchend in die Ferne … dahin, wo die zwei Delfine entschwunden waren …
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.