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Fast im Laufschritt stürmt er auf sie zu. Zur Begrüßung legt er die Hände auf ihre Schultern und küsst sie rechts und links auf die Wange.
„Bitte entschuldige“, sagt er dann. „Es ist mir unangenehm, dass du warten musstest. Weshalb bist du nicht eingetreten?“
„Grüß dich“, beginnt Jutta erleichtert, „ich gehe nicht gerne alleine in ein Restaurant. Außerdem möchte ich vorher klären, dass ich heute Abend bezahle.“
„Aber ich habe dich angerufen und dich eingeladen.“
Jutta schüttelt den Kopf. „Du hast mich angerufen und wir haben uns verabredet. Von Einladung war nicht die Rede.“
„Ich möchte mich nicht mit dir streiten, Jutta. Gut, du bezahlst das Essen. Ist das okay?“
„Gut“, sie nickt.
Er nimmt ihren linken Ellbogen und schiebt sie auf das Restaurant zu. Sie treten ein und werden an den Tisch geführt, den Jutta am Vortag reserviert hat.
Die Speisekarte wird ihnen vorgelegt. Sie entscheiden sich für Buchweizengalettes mit einem halben Liter Cidre brut. Als Nachtisch essen sie jeder eine Crêpe. Wieder haben sie, ohne sich abzusprechen, das gleiche Gericht ausgewählt.
„Du weißt gar nicht, wie sehr ich mich freue, dass du heute Zeit für mich hast“, erklärt ihr Peter freudig.
„Nun ja, mein Sohn war heute da um seine Wäsche abzuholen, gerade als ich gehen wollte.“ Absichtlich erwähnt sie Johannes. Peter soll bewusst werden, dass sie nicht nur eine verheiratete Frau ist, sondern auch noch Familie hat.
„Wie viele Kinder hast du?“, gibt sich Peter interessiert.
„Zwillinge, Junge und Mädchen.“
„Wie alt?“
„Zwanzig.“
„Oh, dann bist du aber jung Mama geworden“, schmeichelt Peter.
Jutta lächelt. „Danke für die Blumen“, bedankt sie sich, „ich weiß nicht, ob man mit fünfundzwanzig eine sehr junge Mutter ist.“
Peter blickt sie erstaunt an und schüttelt dann ungläubig den Kopf. „Ich denke, das ist ein normales Alter für eine Frau. Aber du siehst jung aus. Ich kann es gar nicht glauben, dass du schon so große Kinder hast.“
„Ja, Peter, ich bin um einiges älter als du.“ Uff, jetzt ist es endlich gesagt. Lange genug hat sie dieser Gedanke gequält.
Sie erhalten die Getränke und stoßen mit einer Schale Cidre an.
Ihr Gegenüber legt den Kopf schief und lächelt sie an. Man sieht ihm an, dass er überschlägt, wie groß der Altersunterschied ist. Lange lässt er sie nicht auf das Ergebnis seiner Berechnungen warten.
„Gut, ich bin zweiunddreißig. Ich finde dreizehn Jahre sind kein Altersunterschied, der einem Angst machen sollte.“
Jutta wird heiß und sie fühlt, wie sie rot wird. Und das kommt nicht vom Cidre. Diese Antwort hat sie nicht erwartet. Im Gegenteil für sie war klar, dass er sich nach dem Abendessen verabschiedet. Das wäre die einfachste Lösung für beide gewesen. Aber nein, er findet es nicht schlimm.
Sie atmet tief durch und sagt schließlich: „Der Altersunterschied spielt doch gar keine Rolle. Du bist verlobt und ich bin verheiratet. Also was soll’s. Ich hätte auf dieses Treffen gar nicht eingehen sollen. Was meinst du, was mein Sohn von mir denkt, wenn ich ausgehe, wo sein Vater jetzt gerade in Chile ist.“
Während sie spricht nickt Peter immer wieder verständnisvoll. Er nimmt sie nicht ernst, das ist ihr Eindruck.
Die Bedienung bringt die Galettes mit Fleisch, Gemüse und Käse.
„Bist du fertig?“, fragt er dann, schneidet sich ein Stück der Galette ab und schiebt es sich in den Mund. Als er den Mund leer hat, sagt er: „Hm, schmeckt gut“, und dann: „Also, erstens ich bin entlobt, wenn es das Wort überhaupt gibt. Sie hat die Verlobung gelöst. Nach München ist sie gezogen, weil sie sich in diesen Mann beim Vorstellungsgespräch verliebt hat. Das war vor sechs Monaten. Jetzt ist sie im dritten Monat schwanger und nicht von mir. Das zu diesem Thema. Zweitens, glaubst du wirklich, dass dein Mann die ganze Zeit alleine im Hotelzimmer sitzt, wenn er auf Montage ist. Sag doch ehrlich, wann hat er dich zum letzten Mal ausgeführt? Wann hat er dich das letzte Mal als die äußerst attraktive Frau gesehen, die du bist? Wann hat er dich das letzte Mal einfach nur verwöhnt? Und dein Sohn, lass ihn doch denken, was er will. Wohnt er noch bei dir zu Hause?“
Betreten schaut Jutta ihn an und bewegt hört sie ihm zu. Auch sie hat sich ein Stück der Galette in den Mund geschoben. Jetzt nur keine Tränen, sagt sie sich. Das ist das Letzte, was sie brauchen kann. Um sich zu beruhigen nimmt sie einen kleinen Schluck Cidre aus der Schale. Nach einem kurzen Schweigen und einem Seufzer sagt sie schließlich: „Tut mir Leid, mit deiner Verlobten. Du hattest ja angedeutet, dass es nicht ganz rund läuft seit sie in München ist.“
„Ja, deswegen bin ich auch nach München gefahren, als sie sich wieder aus irgendeinem Grund für ein Wochenende entschuldigt hat. Ich bezeichne es als Feigheit, dass sie mir nicht vorher die Wahrheit gestanden hat, aber so ist es eben.“
Als hätte Peter sie nicht unterbrochen, nimmt Jutta den Faden wieder auf. „Ich erlaube dir nicht, dich über meinen Mann oder meine Ehe zu äußern“, sagt sie schärfer als geplant.“
Inzwischen haben sie die Galletes fertig gegessen. Der Tisch wird abgeräumt.
„Ich nehme alles zurück.“ Peter sieht zerknirscht aus, „aber, Jutta, ich bin nicht blind.“
„Solltest du darauf anspielen, dass ich mir nur jemanden suche, um ein bisschen Abwechslung zu haben oder Ähnliches, so irrst du dich.“
Er legt seine rechte Hand auf ihre linke und schaut ihr tief in die Augen: „Nein, Jutta, du willst keine Abwechslung haben und ich biete dir auch kein Spielchen an, wenn du davor Angst hast. Was ich dir geben kann ist Freundschaft, ein bisschen Freude. Zum Beispiel Essen gehen oder tanzen. Was ist denn Schlimmes daran? Und ich verspreche dir nochmals, so etwas wie auf dem Parkplatz passiert nicht mehr.“
Die süßen Crêpe werden vor sie hingestellt.
Jutta entzieht ihm die Hand und schüttelt den Kopf. „Eine Freundschaft zwischen Mann und Frau, das glaubst du doch selbst nicht.“
„Dann nennen wir es Zweckgemeinschaft“, schlägt Peter grinsend vor. „Du fühlst dich manchmal einsam und möchtest Essen gehen oder Tanzen oder ins Theater. Dein Mann ist nicht da und alleine möchtest du das nicht unternehmen. Ich fühle mich einsam, habe aber keine Lust auf eine neue Beziehung, möchte aber auch nicht alleine ins Restaurant oder ins Theater oder zum Tanzen. Ist das ein Deal.“
„Ich weiß nicht“, zögert Jutta.
Ernst sagt Peter: „Du hast immerhin nicht kategorisch Nein gesagt.“ Er hebt die Schale, in der nun Wasser ist und stößt mit ihr an.
„Komm, lass uns bezahlen. Dann gehen wir Tanzen“, treibt Peter plötzlich zur Eile an.“
Hat er Angst, dass sie es sich anders überlegt? Jutta muss innerlich lächeln.
Peter ruft die Bedienung. Es dauert eine Zeit bis sie kommt und die Rechnung bringt. Jutta kann tatsächlich die Zeche bezahlen. Wenigstens das, sagt sie sich.
Als sie vor dem Restaurant stehen, schlägt Peter vor, dass sie eine Runde an der frischen Luft spazieren. Die Scheibe des Mondes ist fast rund und strahlt hell.
„Ja, warum nicht?“, gibt sich Jutta einverstanden. Wir könnten in Richtung Iller gehen.“
Zielstrebig schlägt sie den Weg ein. Sie möchte nicht mehr auf das Gespräch zurückkommen, das sie im Restaurant geführt haben. Doch Peter will offensichtlich nicht locker lassen.
„Jutta, was immer du auch von mir halten magst, ich bin kein Unhold, der dich flach legen will. Ich möchte dich auch nicht billig anbaggern und dich rumkriegen, wie man so schön sagt. Nein, daran liegt mir nichts. Sagen wir es so, wir sind zwei einsame Herzen, die einige gleiche Interessen haben. Das sollten wir ausnützen. Ohne irgendwelche Hintergedanken. Was hältst du davon?“
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