Peter legt die Hand auf Juttas Arm und sagt: „Bitte machen Sie mir eine Freude und seien Sie heute mein Gast.“
Jutta will sich widersetzen, als der Kellner mit der Rechnung kommt um abzukassieren. Peter hat schnell einen Schein bei der Hand und drückt ihn dem Kellner in die Hand. Wieder bleibt Jutta nichts anderes übrig als zuzusehen wie Peter ein großzügiges Trinkgeld gibt.
Ist er ein Aufschneider oder kann er tatsächlich auf großem Fuß leben. Jutta ist sich unschlüssig, was sie glauben soll.
„Vielen Dank“, sagt sie schließlich.
Sie erheben sich und gehen in Richtung Forum zurück. Diesmal erlaubt sich Peter Jutta am Ellbogen zu halten. Sie wehrt sich nicht. Im Gegenteil, es ist ihr angenehm.
Es darf nicht sein, sagt sie sich immer wieder, aber sie wehrt sich trotzdem nicht. Zu einsam fühlt sie sich seit einiger Zeit.
Nach einem Spaziergang an den Geschäften vorbei, die sie vorhin besucht haben kommen sie im Restaurant Mylord an. Sofort werden sie in Empfang genommen und an einen Tisch für zwei Personen geführt.
Jutta setzt sich auf die Bank. Peter ihr gegenüber auf den Stuhl. Lächelnd blickt er ihr in die Augen. Der Chef des Hauses, der nach Juttas Empfinden wie ein Süditaliener aussieht, reicht ihnen die Speisekarten. Die Auswahl ist groß und Jutta hat Mühe eine Entscheidung zu treffen. Diesmal will sie wirklich ihre Zeche selbst bezahlen. Sie möchte sich nicht von diesem Fremden aushalten lassen. Wer weiß, welche Rechnung er ihr hinterher präsentiert.
Sie entscheidet sich für ein Lachscarpaccio und im Anschluss für Tagliatelle mit Meeresfrüchten. Wieder trifft Peter die gleiche Entscheidung wie sie, obwohl sie sich nicht abgesprochen haben. Auf einen Aperitif verzichten sie.
„Darf ich dich, ich darf doch du sagen“, erkundigt sich Peter vorsichtig, „zu einem Glas Wein einladen?“
„Nein, lieber nicht.“
Peter zieht die rechte Augenbraue fragend hoch und hakt nach: „Nein, lieber nicht zum Du, zum Wein oder zu beidem?“
„Zum Wein“, klärt Jutta ihn auf. Zum Du äußert sie sich nicht. Er wird daraus schließen, dass sie nichts gegen dieses Du einzuwenden hat. Obwohl es ein weiterer Schritt der Annäherung ist, die sie nicht möchte, wehrt sie sich nach wie vor nicht. Heute ist ihr Geburtstag. Sie wird fünfundvierzig. Da darf man schon einmal mit dem Feuer spielen, sagt sie sich und muss über sich selbst schmunzeln.
„Wie schön du bist, wenn du lächelst“, nimmt Peter sofort ihre Stimmung auf. „Darf ich fragen worüber du schmunzelst?“
Jutta muss sich schnell eine sinnvolle Antwort einfallen lassen. Und so erklärt sie: „Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich meinen Geburtstag mit einem fremden Mann verbringe. Das ist doch verrückt und unwirklich.“
„Verrückt ist tatsächlich, dass wir uns gerade heute begegnet sind. Doch so wildfremd bin ich doch gar nicht mehr. Schließlich haben wir bereits“, er schaut auf eine offensichtlich teure Armbanduhr und lächelt sie wieder an, „mehr als drei Stunden zusammen verbracht.“
„Stimmt, das ist für eine erste Begegnung schon ziemlich lange.“ Jutta lächelt wieder, „aber trotzdem.“
„Nichts, aber trotzdem“, mit der rechten Hand macht er eine Bewegung als wolle er ihre Bemerkung wegwischen. „Ich habe dir schon meine Untat in der Schule gebeichtet.“
Jutta lacht. Der Kerl muss verrückt sein. Kein normaler Mensch benimmt sich so locker und naiv. Oder dient alles nur dazu sie zu umgarnen? Natürlich will er sie um den Finger wickeln. Wo soll das nur enden?
Der Wirt kommt um die Bestellung aufzunehmen. Peter schaut sie nochmals an: „Also wirklich keinen Wein?“
Jutta schüttelt den Kopf. Peter gibt die Bestellung auf und bittet um eine große Flasche Wasser mit zwei Gläsern.
„Tanzt du gerne?“, will er aus heiterem Himmel wissen.
Mit großen Augen schaut Jutta ihn an. Was soll das nun wieder? Ja, natürlich tanzt sie gern. In Gedanken versucht sie nachzurechnen, wann sie das letzte Mal getanzt hat. Sie erinnert sich nicht. Es muss schon Jahre her sein.
„Peter an Station Jutta!“ Peter winkt mit seiner rechten Hand vor ihren Augen und wiederholt die Frage: „Tanzt du gerne?“
Er hat Juttas Aufmerksamkeit wiedererlangt. Sie lächelt ihn traurig an. „Ja, ich habe gerne getanzt, aber das ist so lange her, dass ich es gar nicht mehr kann.“
„Quatsch, das verlernt man nicht. Das ist wie Schwimmen oder Radfahren. Wenn man es einmal kann, kann man es immer.“
Jutta schüttelt den Kopf: „Da wäre ich mir nicht so sicher.“
Peter streckt seine linke Hand aus und legt sie auf Juttas rechte, an der immer noch ihr Ehering steckt. „Dann lass es uns heute versuchen“, schlägt er vor.
„Nein, Peter, nach dem Essen verabschieden wir uns. Jeder geht dann seinen Weg. Es ist nett, dass du diesen Tag mit mir verbringst, aber mehr ist da nicht.“
„Was hat das bitte mit Tanzen zu tun?“, ungläubig schaut er sie an. „Du tanzt gerne, ich tanze gerne; weshalb sollen wir nicht tanzen gehen?“
„Ich bin eine verheiratete Frau“, glaubt Jutta ihn auf den Boden der Tatsachen zurückholen zu müssen.
„Das habe ich gesehen“, bestätigt er schlicht. „Aber trotzdem bist du an deinem Ehrentag alleine.“
„Das hat nichts zu sagen“, rechtfertigt sie sich, „mein Mann ist auf Montage im Ausland.“
„Und du meinst jetzt, er hat etwas dagegen, wenn du mit mir zum Tanzen gehst?“
„Nein, das nicht.“
Ein Kellner bringt die Flasche Wasser und zwei Gläser. Er gießt ein. Peter ergreift sein Glas und prostet Jutta wieder zu.
„Auf deinen Ehrentag. Es freut mich, ihn mit dir verbringen zu dürfen.“
Sie stoßen an und trinken einen Schluck. Ein kurzes Schweigen tritt ein, dann sagt Peter:
„Ich habe selten Gelegenheit Tanzen zu gehen. Du offensichtlich auch. Weshalb sollen wir uns also nicht zusammentun?“
Das hört sich logisch an, muss Jutta sich selbst eingesehen. Trotzdem kann sie sich nicht mit dem Gedanken anfreunden. Und so fragt sie:
„Hast du keine Freundin, Frau, Lebensgefährtin mit der du Tanzen gehen kannst?“
Traurig schüttelt Peter den Kopf: „Das ist nicht so einfach“, gesteht er. „Seit fünf Jahren bin ich mit Anita zusammen. Vor einem halben Jahr hat sie einen guten Job in München bekommen. Seither läuft es nicht mehr rund zwischen uns. Ich kann es nicht erklären. Ich spüre es einfach.“ Dann lächelt er. „Aber das hat doch nichts mit uns zu tun. Wir können doch unser Zusammensein trotzdem mit einem Tänzchen ausklingen lassen.“
Über so viel Ehrlichkeit und Jutta geht davon aus, dass er ehrlich ist, hat sie nicht gerechnet. Ja, weshalb soll sie nicht wieder einmal tanzen gehen. Gefahr scheint von diesem jungen Mann keine auszugehen.
„Ja, vielleicht ist es gar keine schlechte Idee“, gibt sie zu.
„Das ist ein Wort!“ Peter zeigt sich erfreut.
Die Vorspeise wird serviert und sie wünschen sich einen guten Appetit. Die Vorspeise, wie auch das Hauptgericht schmecken vorzüglich. Jutta sagt das Peter auch. Die Wahl des Restaurants war gut.
„Noch einen Nachtisch“, erkundigt sich der Wirt. Jutta will den Kopf verneinend schütteln, als Peter schon um die Karte bittet.
„Peter, ich kann nichts mehr essen.“
„Nichts da, du wirst sehen, der Nachtisch schmeckt genauso gut.“
„Das mag ja sein, aber ich bin satt und mag kein Blatt mehr“, lacht sie.
Peter hört nicht auf sie und studiert die Karte. „Hier, die Variationen sind hervorragend. Ich kann sie nur empfehlen.“
„Wirklich nicht“, winkt Jutta etwas energischer ab.
„Gut“, sagt Peter ohne auf ihren Einwand einzugehen. „Wir bestellen eine Portion mit zweimal Besteck. „Dann kannst du ein wenig versuchen. Ist das ein Wort?“
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