Die Nachricht, dass Heinz seine Sprechstundenhilfe zu ehelichen gedachte, hatte meine Eltern noch nicht ereilt. Mein Vater hatte sich überhaupt nicht dazu geäußert, sondern war aufgestanden und hatte ostentativ den Raum verlassen (er hatte Heinz nie gemocht), und meine Mutter hatte gemeint, das sehe meinem Ex ähnlich und ich solle mir doch auch endlich wieder jemanden suchen, was ich natürlich vehement abgelehnt hatte.
„Ach, Kindchen“, hatte sie besorgt geäußert (sie sagte doch tatsächlich noch „Kindchen“ zu ihrer 56jährigen Tochter!), „es ist nicht gut, wenn man im Alter allein ist. Du solltest dich wirklich wieder auf dem Markt nach einem Neuen umsehen.“
Aus meinen Erinnerungen an den gestrigen Sonntag wurde ich erst gerissen, als ich bemerkte, dass ich gleich an meinem Ziel war.
Ich stellte meinen Smart auf dem Parkplatz vor der Praxis ab, stieg aus und freute mich, dass der Regen eine kurze Pause eingelegt hatte. Hinter mir bog die Siharsch mit ihrem schwarzen Polo in die Einfahrt. Also sputete ich mich, um in meine Praxisräume zu gelangen, ohne ihr vorher begegnen zu müssen.
Kaum hatte ich meinen Mantel abgelegt, bewegte sich auch schon meine Türschnalle, und die Siharsch steckte, ohne vorher angeklopft zu haben, ihren Kopf in meine heiligen Hallen.
Ihre Lippen waren wie jeden Tag dick mit rotem Lippenstift beschmiert, ihre dunklen Haare wie immer perfekt gestylt. Und ebenfalls wie immer trug sie unter ihrem weißen Kittel, den sie nie zuknöpfte, eine knallenge schwarze Hose, ein schwarzes Shirt und dazu neonfarbene Schuhe; heute waren sie neongelb. Aber sie besaß solche Schuhe in allen nur denkbar möglichen Neonfarben.
„Heinzi hat gesagt, ich soll Ihnen mitteilen …“, fing sie mit gespitztem Mund zu sprechen an.
Aber ich unterbrach sie, indem ich sie so freundlich anlächelte, als wäre sie meine allerbeste Busenfreundin, und flötete: „Ich wünsche Ihnen auch einen wunderschönen guten Morgen, Frau Si‘arsch“, (das H in ihrem Namen ersetzte ich absichtlich durch einen Knacklaut), „und Sie müssen mir gar nichts mitteilen, denn Doktor Geiger hat den Termin für heute Mittag schon eingetragen. Ich weiß also Bescheid.“
Heinz und ich hatten das so abgemacht: Sollte noch ein Patient eine physiotherapeutische Behandlung brauchen, wenn ich die Praxis bereits verlassen hatte, so suchte er auf meinem Terminkalender einen freien Platz und trug den Neuen ein.
Am Freitag zuvor war ich bereits um zehn Uhr mit der letzten Behandlung fertig gewesen und hatte mich auf den Heimweg gemacht, während Heinz seine Ordination immer bis Mittag offen hatte. Irgendwann im Laufe des späteren Vormittages musste er mir einen Herrn Magister Jodok Fürst für heute Mittag eingeschrieben haben.
„Ja, ich wollte nur sicher gehen …“, versuchte sie ihr unerwünschtes Erscheinen zu erklären und blinzelte dabei, als ob sie mit jemandem flirten wollte.
Aber ich unterbrach sie abermals, nun mit einem drohenden Unterton in der Stimme und ohne sie freundlich anzulächeln: „Frau Si’arsch“, (das H in ihrem Namen ersetzte ich wieder absichtlich durch einen Knacklaut), „nun können Sie ja sicher gehen, dass ich im Bilde bin. Und jetzt habe ich zu tun! Also verlassen Sie bitte umgehend meine heiligen Hallen und machen Sie Ihre eigene Arbeit! Sonst werde ich ungemütlich.“
Damit war ihre Mission erfüllt und ich wieder allein. Ich fuhr zuerst meinen Computer hoch und sah dann meine Post durch, die mir Heinz am Freitag offenbar noch auf den Schreibtisch gelegt hatte.
Danach stand ich auf, schlüpfte in meinen weißen Mantel, knöpfte ihn im Unterschied zur Vorzimmertussi auch zu (!) und stellte nach einem Blick auf den Terminkalender fest, dass an diesem Vormittag acht Behandlungen anstanden. In zehn Minuten würde es losgehen.
Da klopfte jemand an meine Tür.
„Ja, bitte“, sagte ich, und Heinz kam herein.
Er entschuldigte sich umständlich dafür, mir nicht persönlich, sondern am Telefon mitgeteilt zu haben, dass er sich wieder zu vermählen gedachte.
In dem Moment musste ich laut auflachen, weil mir mein Traum, den ich in der Nacht von Samstag auf Sonntag gehabt hatte, einfiel: Heinz und eine tonnenschwere, halbnackte, amerikanische Prostituierte auf der einen Seite und die Siharsch und der ganzkörpertätowierte Stanscheißer Koarl auf der anderen Seite werden von einem lüsternen Gärtner in New Orleans getraut. Es war ja zu komisch! Ich konnte mich kaum beruhigen!
Etwas irritiert blickte mich mein Ex an und fragte: „Was ist daran so lustig?“
„Ach, nichts“, entgegnete ich, „ich hatte nur einen ziemlich bescheuerten Traum, der mir soeben eingefallen ist.“
„Von der Hochzeit?“ fragte er ungläubig. – Ich nickte.
„Da wäre noch etwas“, fing Heinz ganz zögerlich wieder zu reden an und stieg dabei – wie immer, wenn ihm etwas unangehm war – verlegen von einem Bein aufs andere und kratzte sich am Kopf.
„Ist die Siharsch vielleicht schwanger?“, fragte ich ihn nun ganz direkt.
„Nein, das nicht; also …. also die Tanja ist nicht schwanger“, winkte er ab und fuhr dann fort: „Aber jetzt …. also…. also …. wenn wir heiraten …. also …. dann ist sie ja meine Frau. Und wenn sie meine Frau ist …. also …. also …. dann ist sie offiziell …. also …. dem Gesetz nach…. also …. also…. die Stiefmutter von Maggy, Nele und Sunny. Und da hab ich mir gedacht …. also …. du könntest dir …. also …. vielleicht doch ein wenig Mühe geben, …. also …. also …. mit ihr besser auszukommen, und …. also …. also …. ein klein wenig freundlicher zu ihr sein.“
„So so, unsere Töchter bekommen jetzt eine Stiefmutter. Na, da werden sie sich aber mordsmäßig freuen. Müssen sie dann auch Mutti zu ihr sagen?“, fragte ich ihn mit einem ziemlich sarkastischen Unterton in meiner Stimme, und weil ich so schön in Fahrt war, machte ich gleich munter weiter:
„Merkst du eigentlich gar nicht, wie du dich vor mir und vor aller Welt zum Affen machst, wenn du diese renommégeile Tussi heiratest? Glaubst du ernsthaft, dass sie dich so liebt, wie sie tut, wenn sie >Heinzi hin< und >Heinzi her< sagt? Die Frau ist doch nur hinter deiner Kohle und deinem Ansehen her! Bist du dir eigentlich bewusst, dass sie deine Tochter sein könnte? Sie ist gerade einmal drei Jahre älter als Nele.“
„Als Maggy“, besserte Heinz mich aus. Sonst sagte er nichts mehr. Er schaute mich nur mit traurigen Dackelaugen an.
Also forschte ich noch weiter: „Übrigens: Weißt du eigentlich, dass deine Tochter schwanger ist? Du wirst Großvater.“
Heinz nickte betreten, weil er mich gut genug kannte, um zu wissen, wie sehr es mich verletzte, dass er diese Neuigkeit vor mir erfahren hatte: „Ja, Nele war am Donnerstag bei mir zum Abendessen und hat es mir erzählt.“
Das saß tatsächlich! Ich schluckte meinen Groll hinunter und verkniff mir eine weitere sarkastische Bemerkung diesbezüglich und vor allem auch die Frage, ob es denn die Siharsch auch schon wisse. Dann wollte ich mich noch erkundigen, warum er am Telefon gesagt hatte, er müsse die Siharsch heiraten, kam aber nicht mehr dazu, weil mein erster Patient anklopfte.
Wenn viel zu tun ist, vergeht die Zeit für mich immer besonders rasch, und deshalb hatte ich das Gefühl, soeben erst gekommen zu sein, als um halb zwölf Uhr mein letzter Patient, Herr Magister Jodok Fürst, in meine Praxis kam – oder besser gesagt, rollte. Herr Fürst war nämlich ziemlich dick, sodass ich ihn – natürlich nur in meinen Gedanken – Rollmops nannte.
Der Rollmops rollte also wie ein bunter Ball herein, ließ sich unaufgefordert in einen Sessel plumpsen und grinste dabei über das ganze Gesicht. Seine kühne Aufmachung amüsierte mich: Er trug eine gelb-blau karierte Hose, ein gelbes Poloshirt und ein rotes Schirmkapperl mit der Aufschrift „Muttis Liebling“.
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