Umständlich machte ich mich in meiner riesigen Handtasche auf die Suche nach Neles Slip. Wo war denn bloß das blöde Höschen? Das konnte doch nicht wahr sein! Ich hatte es ja vor kurzem erst hinein gestopft. Warum musste ich auch immer so riesige Handtaschen mitschleppen? Ich konnte doch hier nicht den Inhalt meiner Tasche komplett entleeren. Das würde viel zu viel Zeit in Anspruch nehmen.
Endlich! Da hatte ich es. Triumphierend hielt ich das getigerte Dingsda in die Höhe. In diesem Moment hörte ich hinter mir ein Räuspern. Ich drehte mich um und wäre in diesem Augenblick am allerliebsten im Erdboden versunken oder hätte mich in Luft aufgelöst oder auf den Mars gebeamt. Hinter mir stand Jan im Türrahmen.
„Was machen Sie denn da, Frau Geiger?“, fragte er.
Was sollte ich jetzt bloß sagen? Verdammt, irgendetwas musste mir jetzt einfallen, wenn ich hier ungeschoren davon kommen wollte. Doch was? Ich räusperte mich, um Zeit zu gewinnen.
„Frau Geiger, ich frage Sie noch einmal: Was machen Sie da?“, bohrte Jan nach.
„Ich … ich … also ich … ich…“ Verdammt, jetzt stotterte ich schon genauso wie Heinz. Irgendetwas musste ich jetzt sagen, sonst war es mit Jans Contenance vorbei.
Und weil mir partout keine plausible Ausrede einfallen wollte, stotterte ich: „Ich … ich … ich hab mich wohl in der Tür geirrt. Ich … ich wollte eigentlich aufs Klo gehen.“
Einen Augenblick starrte mich Jan mit weit aufgerissenen Augen an, und dann begann er schallend zu lachen, zeigte auf das, was ich in der Hand hielt, und sagte: „Und unterwegs dorthin haben Sie Ihr Höschen gleich ausgezogen. Das ist ja wirklich ausgesprochen effizient.“
Wenn ich vorher rot wie eine Tomate war, so war ich jetzt sicher purpurrot wie dunkler, schwerer Rotwein. Zu allem Überfluss hatte Jans schallendes Gelächter meine Tochter angelockt. Als sie sah, dass ich in Jans Zimmer stand, rollte sie die Augen, strich sich eine Lockensträhne aus dem Gesicht und sagte:
„Was ist denn da los?“
Und als sie erkannte, was ich in meiner Hand hielt, die noch immer triumphierend in die Höhe ragte, brauchte sie nur wenige Sekunden, um zu begreifen, was hier gespielt wurde.
„Mama, du bist so was von peinlich!“, fauchte sie mich an. „Jetzt verstehe ich, warum du unbedingt Osterhase spielen wolltest! Das ist ja richtiggehend hinterlistig! Wie ich deinen Einfallsreichtum kenne, hast du mir dein Packerl einfach schnell unter mein Kopfkissen geschoben und dann meinen Schrank durchwühlt.“
Zornig schüttelte sie den Kopf. „Ich kann es einfach nicht fassen, dass du dich für so etwas hergibst! Dabei tust du immer so, als wärst du besonders seriös und reif, und weist bei jeder nur denkbaren Gelegenheit auf deine angebliche Lebenserfahrung hin.“
So wütend hatte ich meine Tochter noch nie zuvor erlebt.
„Ich glaube, es ist am besten, du gehst jetzt“, knurrte sie böse, machte auf dem Absatz kehrt und ließ mich stehen.
Ich kam mir vor wie ein Schulkind, das beim Schummeln erwischt worden war. So elend hatte ich mich in meinem ganzen Leben noch nicht gefühlt. Ich war zwar schon in so manchen Fettnapf getreten, aber das, was ich heute hier geliefert hatte, toppte wirklich alles.
Ich schnappte meine Tasche, die noch auf dem Boden in Jans Zimmer lag, und flüsterte beschämt:
„Schönen Tag noch.“
Dann stolperte ich zur Türe, öffnete sie und huschte die Treppe hinunter. Als ich bereits im zweiten Stock angekommen war, rief mir Nele nach: „Dein Vitaminsackerl liegt noch bei mir in der Küche. Das nimmst du schön mit! Oder glaubst du, nach dieser bescheuerten Aktion entsorge ich vor lauter Dankbarkeit deinen Biomüll auch noch?“
Am Montag war der Rollmops wieder mein letzter Patient. Es war an diesem Tag so viel zu tun, dass er eine dreiviertel Stunde warten musste, bis ich mich um ihn kümmern konnte.
Die Arbeit lenkte mich wenigstens ab, denn ich genierte mich noch immer für das, was am Freitag bei Cornelia vorgefallen war. Ich hatte sogar auf das Samstag-Frühstück mit meinen Töchtern verzichtet und mich das ganze Wochenende kaum auf irgendetwas Sinnvolles konzentrieren können, weil mir der Gedanke an meinen Auftritt in Jans Zimmer noch immer die Schamesröte ins Gesicht trieb.
Der Rollmops trug heute Jeans und ein T-Shirt mit dem Aufdruck >ICH BIN NICHT ZU DICK, ICH BIN NUR ZU KLEIN<. Gewiss kam er wieder direkt von seinem wöchentlichen Treffen mit seinen Freunden Herbert und Max. Gleich bei seinem Eintreten erzählte er mir, dass er inzwischen zwei weitere Kilos abgespeckt hatte. Ansonsten war er ungewohnt ruhig.
„Was ist los mit Ihnen, Herr Magister?“, erkundigte ich mich. „Sie sind so schweigsam heute. Ist alles in Ordnung?“
„Gar nichts ist in Ordnung“, knurrte er grimmig und zog die Stirn kraus.
„Wollen Sie darüber reden?“, ermunterte ich ihn.
„Nun, das ist eine längere Geschichte“, meinte er, „aber wenn ich heute wieder Ihr letzter Patient bin, liebe Frau Geiger, haben Sie vielleicht Zeit, mit mir anschließend auf einen Kaffee zu gehen. Ich will Ihnen natürlich mit diesem Vorschlag nicht zu nahe treten, müssen Sie wissen, aber ich könnte Ihnen allerhand erzählen. Bei mir läuft momentan nämlich einiges schief.“
Ich zögerte. Sollte ich tatsächlich mit einem Patienten Kaffee trinken gehen? Das war mir noch nie zuvor in den Sinn gekommen, und es entsprach auch keineswegs meinen Prinzipien. Aber was war schon dabei? Natürlich war ich auch neugierig, welches Geschichterl er mir heute präsentieren würde.
Da ich für den Nachmittag nichts Besonderes vorhatte und auch meinen Plan, dem Gärtner bezüglich Vaterschaft auf den Zahn zu fühlen, vorerst auf Eis gelegt hatte, stimmte ich schließlich zu.
Ich behandelte Herrn Magister Fürst ohne noch etwas zu sagen fertig, er ließ die Prozedur stillschweigend über sich ergehen, dann schloss ich meine Praxis und wir setzten uns in das kleine Café gegenüber der Ordination und bestellten zwei Cappuccino.
„Mein Sohn ist hin“, fing er das Gespräch an.
Hatte ich richtig gehört?! Mir kippte die Kinnlade nach unten und ich sah ihn an, als sei er soeben einem Ufo entstiegen.
„Also die Wachsfigur von meinem Sohn, natürlich“, stellte er klar, als er mein Entsetzen bemerkte. „Es fing alles gestern Abend so gegen neun Uhr an. Da läutete jemand Sturm bei mir. Normalerweise bekomme ich um diese Zeit keinen Besuch mehr, müssen Sie wissen. Ich bekomme, um ehrlich zu sein, überhaupt nur selten Besuch.“
Er räusperte sich, ehe er fortfuhr: „Ich öffnete also die Tür und stellte fest, dass meine Schwiegertochter davor stand. Mich wunderte, weshalb sie zu so später Stunde gekommen war. Normalerweise ist Lydia, so heißt sie, eine absolut sanftmütige Frau, müssen Sie wissen, aber gestern bemerkte ich gleich, dass etwas nicht stimmte. Sie begrüßte mich nämlich nicht einmal, was überhaupt nicht zu ihr passt. Stattdessen brüllte sie: >Wo ist das Schwein? < Und da bemerkte ich natürlich sofort, dass sie ziemlich betrunken war. >Welches Schwein? <, fragte ich irritiert nach, >ich habe kein Schwein. < Da schubste sie mich einfach zur Seite und stürmte ins Innere des Hauses. >Dein Sohn ist ein Schwein! Genauso wie seine Mutter! <, schrie sie nun noch lauter als zuvor. >Ich bring ihn um! Dein Sohn und deine Exfrau, die gehören beide ausradiert! < Und dann riss sie jede Tür in meinem Hause auf, und als sie die Figur endlich entdeckte, war sie nicht mehr zu halten. Sie fiel wie eine Furie über meinen Sohn her und zerlegte ihn in kleinste Stücke. Und jetzt ist er hin.“
„Das tut mir leid“, sagte ich, um auch einen Beitrag zum Gespräch zu leisten. „Aber so schlimm ist das doch nicht, Sie können sich ja eine neue Wachsfigur von Ihren Freunden anfertigen lassen.“
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