Da ich mit einer erfolgreichen Auflage rechne, habe ich mir in den letzten Tagen vorsorglich eine gesonderte Bankverbindung zugelegt. In Luzern, in der Schweiz: dort werde ich nicht unter meinem Namen geführt, sondern bin als 84853-24197354-62 registriert. Man hat ja schließlich seine Sorgfaltspflichten, vor allem dem Finanzamt gegenüber.
Außerdem, was ist ehrenrührig an einem Nummernkonto?
CHRONISCHES VON HEIM UND HERD
Besser eine Familie, als gar keinen Spaß.
Mein Großvater
Die Zeiten haben sich geändert seit der Erschaffung des Menschen. Das ist beispielsweise das Herstellungsverfahren, bei dem Lehm und Wasser nur noch selten eine Rolle spielen. Durchaus eine angenehme Entwicklung übrigens, wenngleich häufig mit schwerwiegenden Folgen verbunden: Ehe und Familienleben.
Ich war immer ein überzeugter Junggeselle, zumindest bis zu meiner Heirat. Meine ehemalige Verlobte behauptet gar, das sei ich auch jetzt noch. Sie muss wissen, wovon sie redet, denn schließlich sind wir seit mehr als zwanzig Jahren gesetzlich liiert. Zu meiner Entlastung darf ich jedoch geltend machen, dass mein Eintritt in den Stand der Ehe nicht ganz freiwillig erfolgte.
„Mein Schatz“, so sprach eines schönen Oktobertages vorerwähnte Verlobte zu mir, „wir müssen heiraten.“
Ich war wie vom Donner gerührt. Wie konnte das geschehen? Eigentlich war meine Liebste penetrant genau und sehr verlässlich in solchen Dingen.
Obwohl, es kann natürlich etwas passieren, wenn es einmal passiert (oder auch öfter). Darüber hinaus sind wir nicht die ersten, die zunächst guter Dinge und dann guter Hoffnung waren (und die letzten schon gar nicht). Und außerdem, wir kannten uns mehr als drei Jahre, was also war beklagenswert daran?
Nun, ja, wir sahen uns maximal drei oder vier Mal in der Woche. Dies wiederum bedeutete, dass wir uns drei bis vier Tage in der Woche nicht sahen, und diese Zeit waren ungetrübtem, freiem Junggesellentum vorbehalten. Aus und vorbei.
Wie dem auch sei, es war nicht zu ändern. Und man konnte das auch positiv sehen: Ich als Vater, eine tolle Sache.
Zärtlich nahm ich meine Zukünftige in die Arme. „Und wann ist es soweit?“
„Am 10. Dezember“, antwortete sie prompt.
„Kann man das auf den Tag vorhersagen?“, fragte ich überrascht.
„Natürlich“, ihre Bestimmtheit schloss jeden Zweifel aus. Sie ist sehr präzise in diesen Dingen, ich sagte es bereits. „Aber vorher müssen wir noch renovieren“, ließ sie mich dann unvermittelt wissen.“
Ich verstand nurmehr Bahnhof. „Was müssen wir?“, fragte ich entgeistert.
„Na, renovieren. Es ist nämlich keine Neubauwohnung, aber trotzdem ein schnuckeliges, kleines Nest. Mit etwas Farbe, Kleister und Tapeten richten wir uns das herrlich ein. Du wirst sehen.“
Ich hatte den Eindruck, dass der Zug ohne mich abfuhr. „Ich meine, wann das Baby kommt?“, startete ich einen letzten Versuch der Verständigung.
Meine über alles Geliebte sah mich an, als hätte ich meine goldene Uhr – ein Geschenk von Onkel Ewald – gegen eine ungültige Kinokarte umgetauscht. „Bist du verrückt geworden?“, erkundigte sie sich spitz. „Wer hat von einem Kind gesprochen?“
„Aber hattest du nicht gesagt“, wandte ich ein, „wir müssten heiraten?“
Sie war plötzlich wieder oben auf. „Natürlich, aber nur deshalb, du Schaf, weil wir die Wohnung sonst nicht kriegen. Am 10. Dezember ziehen wir ein. Und heiraten werden wir am 5.“ Sie war sehr präzise und zielstrebig in diesen Dingen, ich habe das schon mehrfach ausgeführt. Auf jeden Fall war ich geschlagen (ein Gefühl, das mir später noch des Öfteren zuteil werden sollte).
Flittern konnten wir damals nicht. Dazu fehlte das Geld, das wir dringend für die Einrichtung der Wohnung brauchten und obendrein die Zeit, die wir ebenfalls für die Einrichtung der Wohnung benötigten.
Wir zogen planmäßig ein. Neun Monate später war ich Vater. Sie wissen schon: meine liebe Gattin ist äußerst genau in diesen Sachen.
Der liebe Gott wird gewusst haben, warum er Adam und Eva aus dem Paradies vertrieben hat. Mann und Frau alleine, gut. Aber Kindergebrüll?Aus wäre es mit der himmlischen Ruhe. Es ist nun einmal erwiesen, dass ältere Herrschaften sensibel auf Geräusche reagieren oder schlechthin allergisch sind gegen Kinderlärm (ausgenommen natürlich bei den eigenen Enkeln).
Unsere Erst- und Einziggeborene war eigentlich ein pflegeleichtes Kleinkind. Gut, sie schrie, wenn sie Hunger hatte, wenn sie nass war, wenn sie sich einsam fühlte oder wenn ihr etwas nicht passte. Aber das war selten der Fall; im Durchschnitt gab sie drei bis vier Stunden pro Tag Ruhe. Wir hätten nicht unzufrieden sein müssen.
Unsere kleine, schnuckelige Wohnung befand sich in einem Zweifamilienhaus. Die Vermieter waren nette ältere Leute, allerdings etwas lärmempfindlich, wie sie uns bei Unterzeichnung des Mietvertrages wissen ließen.
In den ersten neun Monaten nach unserem Einzug lief alles recht glatt, wobei wir uns Mühe gaben, Geräusche zu vermeiden. Oberbetten und Kopfkissen wurden morgens nicht ausgeschüttelt, weil das ein leichtes dumpfes Knallen erzeugte. Wir entschieden uns für tägliches Wechseln der Bettwäsche, auch hygienische Gründe sprachen dafür.
Zum Frühstück aßen wir ausnahmslos Schnittbrot, denn eine Schneidemaschine sorgt doch für eine höhere Phonzahl und selbst die Benutzung eines Messers, zumal in ungeschickten Händen, verursacht unangenehme Geräusche. Gleiches gilt beispielsweise für ausgiebiges Zähneputzen (mit anschließendem Gurgeln) und für viele andere unnütze Angewohnheiten des täglichen Lebens.
Kurzum, wir waren die idealen Mieter, und es wäre alles störungsfrei und friedlich weiter gelaufen, hätten wir nicht Nachwuchs bekommen. Natürlich freuten sie sich mit uns die Vermieter; sehr süß die Kleine und so lieb – und so ruhig. Kunststück, unsere Tochter schlief, als wir sie ins Haus trugen.
Das Drama begann etwa zehn Minuten später, als sie aufwachte. Hunger, nasse Windeln, Einsamkeit, die ungewohnte Umgebung? Wir wussten es nicht, aber es war auch gleichgültig.
Das arme Kind hatte kaum den Mund aufgemacht, da läutete es. Draußen stand der Vermieter, zornesrot im Gesicht. Ob es denn nicht etwas leiser ginge? Seine Frau habe sich gerade hingelegt und jetzt dies. Man könne ja schließlich Rücksicht erwarten. Dann dampfte er ab.
Die Besuche an unserer Wohnungstüre häuften sich und unsere Beziehungen kühlten merklich ab. Der Fall eskalierte. Unsere Tochter konnte gar nicht so schnell plärren, wie geklingelt wurde.
Es war ein abwechslungsreiches Spiel. Mal brachte er, der Vermieter die Proteste vor, mal seine Frau. „Die bleiben“, so mutmaßte mein Eheweib, „bestimmt im Flur stehen, damit sie sofort reagieren können.“
Die Vermutung erwies sich als annähernd zutreffend. Das Vermieterpaar hatte sich organisiert; einer von beiden befand sich immer auf Horchposten, direkt vor unserer Wohnungstür, ausgerüstet mit Klappstuhl, Klapptisch, Kofferradio und Warmhaltekanne.
Das Ganze bekam also System. „Reine Schikane“, befand meine Gattin, „die wollen uns raus ekeln, weil sie uns nicht kündigen dürfen.“
Aber was sollten wir dagegen unternehmen? Wir erwogen gerichtliche Schritte, etwa gegen Verletzung der Intimsphäre. Jedoch, war das eine Lösung? Die Wohnung war uns zu wichtig, wir brauchten sie und wollten sie behalten.
Wir beschlossen zu kämpfen. Als es das nächste Mal klingelte, blieben wir standhaft. „Die sollen schellen, bis sie schwarz werden“, entschied ich. „Wir öffnen einfach nicht mehr. Vielleicht geben sie auf oder es trifft sie der Schlag.“
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