»Was? Ihr erwartet von mir, dass ich ohne Hilfe des Tempels solch eine Reise antrete?«
»Nein, wie ich sagte, ich werde dir helfen. Ich gebe dir Geld, für die Ausrüstung und die Reise. Geh in die Stadt, kaufe, was du benötigst. Kaufe nur gute Sachen, beste Ausrüstung und gute Pferde. Erzähl niemanden, warum, außer…. Traust du deinen Freunden?« Raschids Blick in Uhras Augen war intensiv und schien bis weit hinter seine Augen, in sein Herz zu reichen.
Uhra antwortete nicht sofort, sagte dann aber: »Wir sind bestimmt nicht immer einer Meinung, leider nicht mal im Glauben, doch mein Leben würde ich jedem von ihnen anvertrauen, ohne zu zögern!«
»Gut so, denn dies werden deine Gefährten sein auf dieser Reise. Ich, Raschid al Degarus, Hohepriester Artemeseas, verfüge hiermit, dass du, Uhra Fahril, zusammen mit dem Nordländer Hagen, seiner Gefährtin der Magierin Gwendolin, dem Halbelf Nyander und dem Elfen Adderlin das Artefakt erhältst und es sicher nach Baskyton bringen wirst.«
Raschid hatte sich erhoben und segnend seine Hände auf den Kopf des jungen Mannes gelegt.
»So sei es. Ich werde alles mir Mögliche und mehr versuchen, um diese Aufgabe zur Zufriedenheit unserer Göttin zu erfüllen. Ich würde mein Leben dafür geben!«
»Nein! Sag so etwas nicht! Ich weiß, dass du alles in deiner Macht tun wirst, aber bitte sprich nicht vom Tod! Ich verbiete dir, zu sterben, nicht heute und nicht für diese Aufgabe, Artemesea hat so zu mir gesprochen!«
Uhra konnte darauf nichts erwidern. In seinem Kopf waren die Gedanken immer noch durcheinander.
»Schnell jetzt, ich habe tief in mir das Gefühl, dass wir keine weitere Minute verschwenden sollten. Hier nimm dies und beeil dich.« Raschid begab sich zu seinem Sekretär, eine verborgene Lade wurde geöffnet, und in seiner Hand erschienen ein kleiner schwarzer Lederbeutel, ein rotes Stoffsäckchen und zwei gläserne Violen mit blauem Band. Er stellte die Sachen vor Uhra auf den Tisch.
»Nimm dies, es müsste genug Geld sein, um euch auszurüsten, Unterkunft zu zahlen und Essen zu kaufen. Geh zu keinem der üblichen Händler hier in Calaman, suche welche, die sonst keinen Kontakt mit dem Tempel pflegen, und dich und deine Freunde nicht kennen.«
»Glaubt ihr wirklich, dass es so schlimm ist?«
»Ja, es ist arg, und wir müssen auf das Schlimmste gefasst sein. Tu meinen Rat nicht als überempfindlich ab, geh und suche deine Freunde, überzeuge sie, dich zu begleiten und brecht noch heute auf. Ich werde jetzt zu der Versammlung der Oberpriester gehen. Ich werde eine Entschuldigung finden, warum du nicht dabei bist. Es wird dir ein wenig Zeit geben, nutze sie.«
»Gut, ich habe verstanden, aber was ist mit dem Bogen?« »Natürlich, der Bogen, ich werde ihn holen und dir geben. Warte hier!«
Noch ehe Uhra etwas erwidern konnte, war der Hohepriester auf einen Abschnitt der Wand zugetreten, hatte eine Hand links daneben auf ein goldenes Ornament gelegt. Die Wand vor ihm wurde milchig, verschwand vollständig. Schnellen Schrittes machte der Hohepriester sich auf den Weg.
Uhra konnte nichts tun, als warten. Er begab sich zur Statue von Artemesea an der gegenüberliegenden Wand und kniete nieder. Er begann zu beten, still und intensiv. Er bat um Stärke, er bat um Schutz für seine Freunde, bat um Nachsicht für Raschid, weil dieser ihn einweihte.
Die Zeit verstrich, ohne das Uhra dies bemerkte. Er hatte sich tief in sein Selbst versenkt, um Kraft zu finden. Vorsichtig legte sich eine Hand auf seine Schulter
»Uhra, Uhra hörst du mich?« Raschid war zurück, musste den betenden Priester aus seiner tiefen Meditation holen.
»Ja, ich höre dich.« Er richtete sich auf. Raschid stand vor ihm, hielt einen Holzkasten in den Händen.
Das Holz war Nachtblau, drei Fuß lang und etwa einen halben Fuß breit, im oberen Teil gab es eine Schiebelade, mit einem Wachssiegel. Uhras Hände zitterten ein klein wenig, als er die Schatulle an sich nahm. Er konnte die Macht, die von dem Bogen ausging, durch das Holz spüren.
»Ich danke euch für das Vertrauen, welches ihr in mich setzt. Wisst ihr, wo ich meine Freunde finde?«
»Ja, sie sind im Gästebereich untergebracht, wartet« Raschid griff zu einer silbernen Glocke, ein feines Läuten war zu hören. Sekunden später öffnete sich die Tür ohne ein vorheriges Klopfen, und eine Novizin erschien.
»Carolina, bitte bringe den Priester zu den Gästen in den Besucherunterkünften, zur Meisterin Realonin.« An Uhra gewandt meinte er: »Geh und möge das Licht des Mondes mit dir sein!« Raschid machte das Zeichen des Mondes. »Und möge der Mond sein Licht über euch erstrahlen lassen. Bitte grüße Reywon von Bayn von mir, er ist der Hohepriester in Baskyton.«
Uhra machte sich sofort auf den Weg, seine Freunde zu finden, sie zu einer weiten Reise zu überreden, ohne ihnen die ganze Wahrheit sagen zu dürfen. Leicht würde es nicht werden, dazu kannten sie sich zu gut. Sie würden sich einen Teil zusammenreimen können, und er würde hoffentlich ihr Vertrauen nicht über die Maßen strapazieren müssen.
Der Bereich der Gäste war ruhig, es herrschte keine hektische Betriebsamkeit, wie in so vielen anderen Bereichen des Tempels. Seine Anwesenheit war unbemerkt geblieben, keine Glocke erklang und auch keine Quartiermeisterin erschien. Uhra bedankte sich bei der Novizin, schickte sie zurück zu ihrer Arbeit, und nutzte die eine Minute alleine, um ein wenig innere Ruhe zu finden. Er lehnte sich an die Wand, atmete tief durch, er wusste, dass die Zeit sein Feind war, dennoch musste er jetzt ruhig und besonnen handeln, andernfalls würde alles im Chaos versinken. Und er im Zentrum.
Uhra hämmerte gegen die Türen. Der Nordländer und der Elf traten heraus. Hagen blieb ein wenig verblüfft stehen und meinte: »Was ist los?«
Uhra stieß sich von der Wand ab und ging ein paar Schritte auf seine Freunde zu, schob sie zurück in ihr Zimmer. Die Tür fiel vernehmlich ins Schloss.
»Hey, was soll das. Kannst du nicht was sagen? Du musst mich nicht schubsen.« Hagen wollte zu einer weiteren Schelte gegen seinen Freund ansetzen, der Ausdruck, den er in Uhras Gesicht erkannte, ließ ihn verstummen.
»Entschuldige bitte Hagen, ich habe es nicht so gemeint! Aber wir haben keine Zeit für lange Erklärungen. Ich bitte euch inständig mir zu vertrauen und einfach zuzuhören. Und bitte erst mal keine Fragen!«
Da sein Ansinnen einen mehr als ernsten Unterton trug und die Freunde ihn gut genug kannten, um zu wissen, dass er es sehr ernst meinte, schwiegen sie und warteten.
»Wir müssen sofort aufbrechen.« Die ersten Worte führten dazu, dass er nun wirklich auf die ungeteilte Aufmerksamkeit aller zählen konnte. »Es ist von größter Wichtigkeit, dass wir so unauffällig wie möglich und so schnell wie möglich von hier verschwinden. Nicht nur aus dem Tempel, sondern auch aus Calaman. Ich habe dies hier – er klopfte auf die Schatulle – und muss es im Namen meiner Göttin nach Baskyton bringen. Schnell, so schnell wie möglich. Es muss unversehrt ankommen und sicher. Es ist eine Reise im Verschwiegenen und Verborgenem. Niemand soll unser wahres Ziel erfahren, niemand unseren wahren Grund erahnen. Ich kann euch nicht alles sagen. Ich bitte euch, mit mir zu gehen. Ich habe Gold genug für neue und gute Ausrüstung, aber ich werde es keinem nachtragen, sollte er diesmal nicht mit mir gehen wollen.«
»Was, willst du uns nicht dabei haben oder warum sagst du so etwas?« Nyander hatte für alle gesprochen.
»Nein, ich wäre stolz, wenn wir gemeinsam diese Reise machen, aber es wird gefährlich, ich habe da so eine Ahnung.«
»Ist es nicht immer irgendwie gefährlich?« Adderlin erhob sich, steuerte auf die Tür zu.
»Willst du gehen?«
»Hast du nicht gesagt, wir hätten keine Zeit? Ich habe mich entschieden und wollte jetzt los!« Uhra konnte nicht anders, er musste grinsen. Der Elf war manchmal seltsam, aber in Situationen, wie diesen, war er pragmatisch. Wenn er sich entschieden hatte, dann gab es nichts mehr zu besprechen. »Gut, wenn der Elf mitkommt, dann werde ich dir auch folgen.« Auch Nyander bewegte sich in Richtung Tür.
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