„Ein verdienter Archäologe!“, wandte Dr. Reinders pflichtschuldig ein. „Einer der Besten!“
„Das will ja auch keiner in Frage stellen!“, herrschte Schedel ihn an. „Aber er scheint mir so sehr Archäologe zu sein, dass er den Kontakt zur Gegenwart verloren hat,“ fügte er versöhnlicher an.
„Er ist also nicht interessiert, auf Kreta nach arischen Spuren zu graben?“
„Er ist nicht interessiert; und wir sind nicht mehr daran interessiert, ihn dafür zu interessieren.“
„Interessant!“ Dr. Reinders merkte mehr und mehr, dass Schedel etwas von ihm wollte, und glaubte sich in einer starken Position. „Sir Evans hat dort drüben bereits viel entdeckt,“ gab er noch rasch zu bedenken.
„Sir Evans ist Engländer, und er ist tot. Und nicht einmal Hörbinger nimmt das, was sich Evans zur minoischen Kultur ausgedacht hat, noch ernst.“
„Sir Evans sieht in den Minoern einen Einzelfall, das stimmt. Einen Vorläufer der hellenischen Kultur und gleichzeitig eine Ausnahme von ihr!“
„Eine bizarre, pazifistische Ausnahme! Aber diese Theorien und auch Sir Evans sind uns egal. Er ist tot und wird uns nicht weiter behindern.“
„Sie fahren also nach Kreta?“ fragte Reinders voll unverhohlenem Neid.
„Nicht ich selbst! Ich bin leider nicht vom Fach. Aber wir wollen, dass sich dort ein Archäologe umschaut, das von Sir Evans bereits ausgegrabene Material sichtet, gegebenenfalls selber noch ein bisschen buddelt und dann den Beweis dafür erbringt, dass Knossos wie schon Mykene eine Gründung des einzigen kulturtragenden Volkes, nämlich der Arier ist!“
„So weit ich weiß befinden sich die wichtigsten von Sir Evans ausgegrabenen Stücke in Oxford.“
„Nicht mehr lange!“ Schedel lächelte siegesgewiss. „Aber ich denke, auf Kreta liegt noch genug herum, was vorerst als Beleg für unsere These dienen kann!“ Er blickte Reinders prüfend an. „Meinen Sie nicht?“
„Doch doch!“, beeilte sich Dr. Reinders, ihm zu versichern. „Man könnte entsprechende Grabungen vornehmen. Wenn man von einer engen kulturellen Verwandtschaft zwischen Mykenern und Minoern ausgeht, müsste es auch auf Kreta Spuren von Befestigungen oder überhaupt militärischen Anlagen geben. Nach denen hat Sir Evans vielleicht gar nicht gesucht.“
„Ausgezeichnete Idee! Der wehrhafte Charakter, das zeichnet den Arier vor allem aus. Das und ein hoher Ehrbegriff und mit Swastikas geschmückte Kultgegenstände! Wer mir von denen ein oder zwei besorgt, hat seine Mission erfüllt und darf sich guten Gewissens für ein paar Tage an den Strand hauen und sich die kretische Sonne auf seinen nordischen Pelz brennen lassen.“
Dr. Reinders musste schlucken. Hier tat sich anscheinend die Chance auf, dem Assistentendasein zu entkommen und endlich einmal selbst eine Grabungskampagne zu leiten. „Ich könnte das schon für Sie erledigen. Dort Grabungen vornehmen, meine ich. Professor Hörbinger müsste mir halt freigeben. Im Moment katalogisiere ich noch seine Kapitelle.“
„Lassen Sie Hörbinger mal unsere Sorge sein! Der hat Ihnen gar nichts zu sagen. Schließlich sind Sie wehrtauglich. Wir könnten Sie einfach einziehen und nach Kreta abkommandieren.“
„Um Gottes Willen!“ Dr. Reinders wedelte panisch mit den Händen. Er empfand seine UK-Stellung als Auszeichnung und als Beweis dafür, dass auch das Katalogisieren von Kapitellen von Bedeutung war. „Ich darf es mir mit Professor Hörbinger nicht verscherzen. Ich habe ihm viel zu verdanken.“ Am meisten Dank schuldete Reinders dem Professor dafür, dass dieser ihm aus allerdings nicht ganz uneigennützigen Gründen in seinem Keller Asyl gewährt hatte, nachdem Reinders aus Syrien geflüchtet war und seinen Ruf als Archäologe gründlich ruiniert hatte.
„Hörbinger wird Sie uns jedenfalls kaum verwehren können. Falls wir uns tatsächlich für Sie entscheiden! Wir hatten ja ursprünglich an Dr. Müller gedacht, nachdem dieser schon in Mykene so durchschlagenden Erfolg gehabt hat, aber der musste ja unbedingt in die Karpaten.“
„Er meint, dort Skythen-Gräber entdeckt zu haben. Sowas reizt ihn mehr als die vermeintlichen Hochkulturen, denn er ist eigentlich Vorgeschichtler. Er liest in einem germanischen Abfallhaufen wie andere im Herodot. Bewundernswert! Ich habe mir von ihm ein bisschen was abgeschaut. Das könnte sich auf Kreta bezahlt machen. Immerhin haben wir es dort mit einer Kultur aus der Bronzezeit zu tun, die kaum Schriftzeugnisse hinterlassen hat. Zumindest keine, die wir entziffern können!“
„Hauptsache, er hat Ihnen beigebracht, wie man Kelche voll Hakenkreuze findet!“
„Sehen Sie, das ist ja das Paradoxe: Eigentlich geht es dem Vorgeschichtler im Unterschied zu den klassischen Archäologen wir Professor Hörbinger weniger um die Sicherstellung einzelner Kunstobjekte als um die Interpretation des Gesamtfundes. Gezwungenermaßen, denn von den Germanen sind ja kaum nennenswerte Kunstobjekte überliefert!“ Dr. Reinders kicherte, wurde aber nach einem Blick auf Schedel, der bereits die Stirn runzelte, gleich wieder ernst. „Dass Müller in Mykene auf Schatzsuche geht, hat mich immer gewundert.“
„Er war erfolgreich; und nur das zählt. Rosenberg hält große Stücke auf ihn. Er will ihn zum Chef des Sonderstabs Ost machen. Da tun sich gewaltige Chancen auf.“
„Ich kann Ihnen versichern, falls man mir die Möglichkeit geben wollte, mich zu bewähren, ich würde …“
„Seit zwei Jahren Parteimitglied, richtig?“
„Hier in Athen ist man ein wenig abgeschnitten von den gesellschaftlichen Entwicklungen in der Heimat,“ verteidigte sich Reinders gegen den impliziten Vorwurf. „Daher dauerte es ein wenig.“
„Sie sind schon länger hier?“
„Bald fünf Jahre!“ Dr. Reinders seufzte, als wäre Athen für ihn ein Ort der Verbannung und nicht ein Versteck, in dem er seine Wunden leckte.
„Und die ganze Zeit nichts anderes als bröckelige Klamotten sortiert?“
„Ich habe in Göttingen über lokale Varianten der dorischen Säulenordnung promoviert und bin stolz, Professor Hörbinger insbesondere auf diesem Gebiet unterstützen zu dürfen.“
„Sagten Sie dorisch?“
„Ja ja, durchaus! Deshalb meine ich ja …“
„Sie sind Experte für Dorer?“
„Wenn Sie so wollen!“
„Sind Sie es oder sind Sie es nicht?“
„Doch doch, die Dorer interessieren mich sehr.“
„Und Sie könnten sich ein bis zwei Monate Zeit nehmen?“
„Drei Monate werden aller Erfahrung nach nicht reichen für eine ordentliche Grabungskampagne. Wir müssen Ausrüstung und Mannschaft zusammenstellen, wir müssen Informationen über mögliche Ruinenhügel sammeln, sichten und bewerten, dann die Überfahrt, erste Sondagen, Einrichtung eines Lagers, Rekrutierung lokaler Hilfskräfte: Da geht schnell ein Sommer ins Land, bevor man überhaupt das erste interessante Stratum freigelegt hat.“
„Sind Sie verrückt? Solche Flausen schlagen Sie sich besser gleich aus dem Kopf! Ich brauche Ergebnisse und keine Straten, und zwar spätestens in drei Monaten! Wir führen einen Krieg, auch wenn Sie davon in Ihrem so abgeschnittenen Athen vielleicht noch nichts mitbekommen haben. Wenn wir Sie nach Kreta schicken, dann nicht für irgendwelchen Firlefanz, sondern weil wir Munition brauchen, kapiert?“
„Natürlich!“ Dr. Reinders war errötet. „Sie wollen die Kreter zu Ihren Verbündeten machen; und ich soll dabei helfen.“ Er musste schlucken. Er wusste, dies war seine Chance, endlich aus dem Depot auszubrechen, in dem er gefangen war, und sich draußen zu bewähren und das, was geschehen war, vergessen zu machen. Auf Kreta gab es noch zahlreiche Orte, an denen es sich zu graben lohnte, da war er sich sicher. Sir Evans hatte sich auf seinen Palast konzentriert und dem Rest der Insel kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Und die Gelegenheit war günstig. Er würde sich nicht um die griechischen Behörden scheren müssen, die einem Archäologen sonst das Leben schwer machten; und kein Bauer würde es wagen, ihm das Betreten seines Ackers und das Graben in darauf befindlichen Ruinenhügeln zu verbieten. „Ich bin sicher, auf Kreta lassen sich arische Spuren ohne großen Aufwand nachweisen, wenn man nur danach sucht. Sir Evans hat das einfach nicht getan. Warum hätte er es auch tun sollen? Er war viel zu sehr in seiner eigenen Welt gefangen.“
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