Hank genoss die Fahrt mit der Rikscha sehr. Es rumpelte zwar die ganze Zeit über lautstark und als sie über das Geröll des Berges hinweg fuhren, wurde er kräftig durchgeschüttelt, aber irgendwie schien die Rikscha eine wirklich effektive Federung zu besitzen, denn bei größeren Kratern und Schlaglöchern, die ihn definitiv aus ihr hätten herausschleudern müssen, geschah dies keineswegs.
Hank war der Erste einer ganzen Touristengruppe von Rikschas. Wenn er hinter sich aus einem Sichtfenster aus durchsichtiger Plastikfolie blickte, konnte er die anderen sehen, die wie er von Führern nach oben gezogen wurden. Hank kam sich ein klein wenig vor wie Caligula in seinen letzten Jahren. Das schmeichelte auch seinem Ego, da er sich endlich wichtig und ernst genommen vorkam. Wenn doch nur Old Bob und Johnny seine inneren Werte erkennen würden! Er hatte doch bisher so vieles zu diesem Unternehmen beigetragen, zu dem zum Beispiel die bahnbrechende Entdeckung zählte, dass Carl, der Weltraumbandit, sich fünfzig Mal geklont hatte.
Die heiße Nachmittagssonne knallte auf die Touristengruppe. Hank hoffte, dass sich der Eingeborene beeilen würde. Er selbst fächelte sich mit der Broschüre, die eine Abhandlung über den großen Argh enthielt, Luft zu. Als der Eingeborene das über seine Schulter hinweg sah, grinste er und klappte einen kleinen Baldachin aus, der Hank den herbeigesehnten Schatten spendete.
So konnte Hank das kurze Stück bis zum Gipfel aushalten. „Wir danken Euch!“, sagte er in bester, blasierter Römer-Manier zu dem Führer und winkte gen Gipfel. „Wir haben noch viel vor uns und nur so wenig Zeit. Also, husch, husch!“
Als der Albino noch einmal nach hinten guckte, hätte Hank sehen können, wie das Grinsen mit einem Mal vom Gesicht des Führers verschwand und es einem verärgerten, dann einem vernichtenden Blick wich. Doch Hank hatte die Augen geschlossen und träumte einen wunderschönen Tagtraum.
Mit einem letzten Rumpeln erreichte die Reisegruppe schließlich den Gipfel des Mount Argh, wo angeblich der große Vulkangott herrschte. Es wuchs hier nicht ein einziges Grasbüschel. Auf einem nicht ganz zwei Meter breiten, schrägen Pfad konnte man bequem mit einer Rikscha um den Krater des großen Argh herumfahren.
„Wir halten jetzt hier an, damit Sie sich die Füße vertreten und ein paar letzte Bilder schießen können“, lachte der Albino mit gehässiger Stimme.
Hank erhob sich stöhnend und gespielt mühevoll von seinem Lager und humpelte dann steif auf den Rand des Vulkans zu. ,Lieber schlecht gefahren als gut gelaufen‘, dachte er sich, dann blickte er voller Bewunderung in den Krater des unheilvollen Argh hinein und fragte sich, warum er nicht eine Kamera mitgebracht hatte. Hank mochte die Natur sehr und das nicht nur, weil er die letzten zehn Jahre allein in einem Nationalpark verbracht hatte. Nein, er liebte sie schon ein Leben lang.
Er trat wagemutig vor bis an den Rand des Kraters und sah in die Tiefe. Die blubbernde, orange-goldene Lava war ein absolut fantastischer sowie fesselnder Anblick. Die aufsteigenden Dämpfe und seine plötzlich wieder auftretende Höhenangst versetzten ihn ein klein wenig in einen schummrigen Zustand, sodass er sofort einen Schritt zurücktrat. Wirklich übelriechend waren die Dämpfe jedoch nicht.
Zu gerne hätte Hank in diesem Augenblick ein paar Bilder von dem Anblick der Lava gemacht. Eines hätte er sich vergrößern lassen und dann an seiner Eingangstür in der Hütte aufgehängt. Das hätte Bären und anderes Gesocks im Park garantiert ferngehalten, glaubte Hank zumindest.
Neben ihm trat ein absolut typischer Tourist auf den Krater zu. Da merkte Hank, dass es der Dicke, den er vorhin im Theater gesehen hatte, war und der nun ebenfalls wieder ununterbrochen die Umgebung fotografierte. Er schien auch das Innere des Vulkans als Bildserie festhalten zu wollen.
Hank trat zu ihm heran. Er witterte eine Chance, sein Foto doch noch zu bekommen. „Entschuldigen Sie, bitte“, begann Hank mit der sanftmütigsten Stimme, die er hatte. „Würden Sie vielleicht die Güte besitzen, mir eines der Bilder des großen, unheilvollen Argh per E-Mail zuzuschicken?“ So höflich war er in letzter Zeit noch zu niemandem gewesen und er hoffte, so zu seinem Bild zu kommen.
Der Dicke im Hawaiihemd sah kurz von seiner Kamera auf. „Was? Sie hier?“, entrüstete er sich prompt und schnaubte. „Sie sind Schuld, dass das Cranberry-Island-History-Drama so nonchalant endete!“
„Ich weiß.“ Hank winkte beschwichtigend ab. „Aber das war ja wirklich ein langweiliger Haufen Scheißdreck. Aber das hier ...“ Hank klopfte dem Dicken wohlwollend auf die Schulter und deutete in den Schlund des Vulkans.
„Nein, Ihnen schicke ich kein Bild.“ Der Dicke schüttelte den Kopf und auch gleichzeitig seinen massigen Körper. Körperbeherrschung schien für ihn ein absolutes Fremdwort zu sein.
„Doch. Bitte! Geben Sie sich einen Ruck!“, meinte Hank weiterhin gutmütig. „Einfach zu Hank.Johnson@Eremit.com schicken. Dann bin ich glücklich und Sie mich los.“
„Was? Ich bin doch nicht verrückt“, schimpfte der fette Tourist erbost und hörte kurz auf zu fotografieren. „Eremit.com, so eine Adresse gibt’s doch gar nicht!“
„Doch, natürlich.“ Hank dachte kurz nach. „Ich habe zwar seit zehn Jahren die Seite nicht mehr überprüft, aber sie sollte noch existieren.“
„Nein!“ Der Dicke schüttelte widerwillig den Kopf. „Ihnen werde ich gar nix schicken, Sie Kretin!“
„Herrgott, geben Sie mir endlich die blöde Kamera!“, zischte Hank plötzlich angriffslustig, da er seinen Willen nicht bekam, obwohl er sich wirklich für eine ganze Minute Mühe gegeben hatte, nett zu sein. „Ich will ein Bild des unheilvollen Arghs haben!“
Der dicke Tourist wehrte sich verzweifelt gegen Hanks Übergriff. Ein Handgemenge entstand zwischen den beiden. Die Führer sahen den beiden belustigt zu, bis der Albino urplötzlich verkündete: „Und nun ist es an der Zeit, dass der große, unheilvolle Argh Ihre Bekanntschaft macht, indem wir Sie ihm opfern werden! Na, das ist doch bestimmt der beste Augenblick in Ihrem unerfüllten Leben, denn wäre es erfüllt, wären Sie bestimmt nicht hier auf dieser Tour!“ Der Albino legte eine dramatische Pause ein, in der er sich amüsiert die Hände rieb und in die entsetzten Gesichter der anwesenden Touristen blickte. Nur Hank und der Dicke bekamen davon nichts mit. „Ach ja“, fuhr der Albino fort, „für alle Begriffsstutzigen: Damit endet unsere einmalige Tour.“
Sämtliche Touristen, die mit Hank und dem Dicken zum Krater heraufgekommen waren, schrien lautstark los, während Hank sein Bein vehement dem Dicken auf die Brust drückte und mit beiden Händen an dessen Kamera zerrte.
Panik brach um die beiden herum aus.
Hank bekam von dem Dicken zwei ordentliche Backpfeifen, die ihn rückwärts zu Boden gehen ließen. Hank sprang unglaublich behände wieder auf die Beine und versuchte, dem Fetten ein Bein zu stellen, was jedoch schon im Ansatz scheiterte und ihm nur noch mehr Schmerzen einbrachte, als der Bullige ihm resolut gegen das Schienbein trat. Hank strauchelte.
Der Albino-Touristenführer begann mit einigen Helfern, die Touristen einzufangen und in den Vulkan zu schubsen. Die fallenden Opfer schrien um ihr Leben oder handfeste Verwünschungen.
Hank hatte endlich die Kamera des Dicken in die Finger bekommen und versuchte, sie ihm endgültig zu entreißen.
Der Touristenführer und seine Helfer fuhren fort, die Touristen um sie herum in den Schlund des unheilvollen Argh zu werfen. Die Reihen ihrer Opfer lichteten sich.
Da hatte es Hank endlich geschafft. Das Halteband der Kamera riss in dem Moment ab, als die Helfer des unheilvollen Argh den Dicken packten und in den Vulkan schmissen. „Haltet den elenden Kamera-Dieb!“, rief er noch, dann platschte er in die Lava und verbrannte.
Читать дальше