Unsere innere Stimme wurde zum Schweigen gebracht, das spontane Nein haben wir verlernt und nicht zuletzt den Willen zur Wahrheit. Den Blick für vieles, vor allem für das Leben und die Natur, haben wir verloren. Wo wir dachten nach vorwärts, sind wir rückwärts gefahren, sehenden Auges mit dem Blick entgegen der Fahrtrichtung. Keine guten Aussichten. Wir halten uns für frei, niemand scheint uns zu zwingen, unser Kerkermeister ist das, woran wir selbst glauben, weil wir niemals in Frage stellen, was uns gesagt wurde, wenn es nur Wissenschaft hieß. Wissenschaft ist unser Glaube, nichts scheint unabhängiger vom Menschen und seinen Interessen zu sein, als sie. Als besitze sie nur sich selbst, als getreues Abbild der Wirklichkeit. So ist sie das wirksamste Mittel, uns zu beeinflussen. Sie ist die Macht, die ungehindert Zugang zu unserem Gehirn besitzt, der man alles glaubt, weil sie ja nichts von einem will und niemand hinter ihr steht, wie man meint. So scheint sie gleichbedeutend mit der Wirklichkeit selbst, das Objektive schlechthin, die Einzige und wirklich letzte Instanz. Nichts brächte man weniger in Verbindung mit dem Wort Ideologie als die Wissenschaft.
So ist sie praktisch für die, welche diese Chipkarte geladen haben und von ähnlichem Nutzen, als hätten sie den Stein der Weisen gefunden. Eine Macht, die ohne Bodyguards auskommt und alle Arbeit still und ohne Widerspruch fürchten zu müssen von selbst erledigt. Wenn man sagt, sie kommt gleich nach Gott, liegt man nicht falsch, insoweit, dass sie weit vor ihm kommt.
Der Wind weht kühl seit jenen frühen Tagen der Wissenschaft und die Sonne scheint anders. Wir haben über sie berichten gehört, so wie über alles andere, so hat sie ihre Unschuld verloren. Nicht, dass wir schlecht über sie redeten, aber sie ist uns ziemlich gleichgültig geworden. Für einen Gasball betet man keinen Sonnengesang. Und auch das Gras treten wir flach. Unser Freund, der Baum ist tot. Nicht die Kettensäge ist sein Tod, sondern, was wir über ihn wissen: Photosynthese. Und wir wissen so viel. Wer so viel über die Dinge weiß, sieht sie unter sich, er schaut hinab. Das macht sie langweilig. Wären die Dinge über uns und wir schauten zu ihnen hinauf, so gäben sie Zeugnis, Zeugnis des Großen, Zeugnis von sich. Sie lachten uns an, sie würden uns einladen teil zu haben an ihrem Geheimnis. Wer alles weiß, für den gibt es kein Geheimnis. Vielleicht wird er sagen, mein Wissen ist noch nicht ganz vollständig, aber Geheimnisse sind da nicht. Und überall warten Dinge auf uns, um zu uns zu sprechen. Wir hören sie nicht. Was maßen wir uns an?
Kalt weht der Wind seit jener Zeit und es riecht nach Moder. Die Weisen sind vom Berge gestiegen. Sie haben keine Chance inmitten des Wissens. Wissen, ätzend wie Säure und scharf wie Glas. Wie kann man glauben zu wissen? Ist man selbst so groß und die Welt so klein? Wer zu wissen behauptet, setzt Grenzen, tilgt das Unendliche. Er ist mit tödlicher Fracht unterwegs, denn seine Welt hat Enden. Sind die Dinge so klein, dass sie nach einem Ende aussehen? Sind wir Herr über uns selbst? Die Größe der Welt, sie lacht über uns. Bleibt zu hoffen, dass sie uns gnädig ist. Wir wissen um die Ameise, um den Schmetterling, den Mond und die Sonne, den Jupiter und den Saturn. Selbst wie viel Sterne stehen, scheinen wir zu wissen. Aber unsere Adresse im unendlichen Raum wissen wir nicht.
Und kalt weht der Wind, wer so viel weiß, weiß vor allem eins, dass er das Leben besitze und Gott tot ist. Es ist ein abgedämpftes Gefühl, das wir der Welt gegenüber haben, heruntergefahren bis fast auf Null. Nichts blieb über uns, was uns Hoffnung sein könnte, das ist die Folge, wenn man so viel weiß. Herr sein macht einsam. Die Welt haben wir in eine Ecke gestellt und Neues hat Einzug gehalten, die Wissenschaft. Mit ihr fühlen wir uns stark, stark wie nie. Mit ihr werden wir Herr, Herr worüber? Eine unerkennbare Welt schien bedrohlich, eine erkennbare aber ist es noch mehr, um sie herum lauert der Abgrund. An einer begrenzten, erkennbaren Welt wird einer, der meint sie zu besitzen mehr irre als an einer die nicht erkennbar ist.
Wo die Fragen begrenzt sind und ein Ende in Sicht ist, wartet der Absturz. Das ist die Alternative zum Nichtwissen. Ein schlechter Tausch. So wird uns alles zur Wissenschaft, gleich ob Igel, Ameise oder Schmetterling im sonnendurchfluteten Schlag. Und die Forschung lässt hoffen. So ist dann doch eine Hoffnung geblieben. Was aber wäre wenn, wenn es eine solche Wissenschaft als Herrscherin über Ameise und Schmetterling gar nicht gäbe? Die Wahrscheinlichkeit ist nicht gering, dass man uns getäuscht hat, der Schmetterling und die Ameise sind einfach zu groß. Mit Sicherheit wissen sie mehr. Und würden wir sie befragen über den Tag, über Jahre, Jahrhunderte, so wüssten sie immer noch mehr. Wann sinkt uns dieser kalte, anmaßende Mut?
Nur, mit der Natur ist es so eine Sache, richtig bleibt, wir können ihr nicht entrinnen. Wer führt da wen an der Leine? Selbst, würden wir sie zerstören, bleibt sie die, die sie ist, eine andere haben wir nicht. Zu sagen, es war ein Irrtum, wir starten einen neuen Versuch, ist hier, in diesem Fall, was die Natur anbelangt, nicht möglich. Aber keine Bange, sie scheint uns stark, als ein Seil, das nie reißt. Da, in dieser Beziehung glauben wir an sie, eisern und für alle Zeit. Wohl verwechseln wir da Ewigkeit, eine Eigenschaft, die sie wohl irgendwo besitzt, mit Haltbarkeit. Doch mit ihr, der Haltbaren, als unserem angeblichen Besitz stehen wir vor einer fatalen Situation, reparieren können wir sie, wenn sie schwächelt, nicht. Wir können sie nur schonen, oder entlasten, Schädliches von ihr nehmen, in der Hoffnung, dass sie sich von selber wieder regeneriert. Unglaublich ist das, klingt wie Hokuspokus. Ein schöner Besitz ist das. Wir, die wir behaupten, die Gesetze zu kennen nach denen sie funktioniert, stehen ihr hilflos gegenüber und nichts Besseres fällt uns ein, genauer gesagt bleibt uns übrig, als, wenn es so weit ist, hinaus zu schreien in die Nacht, komm raff dich auf, mach´s selber, damit du wieder auf die Beine kommst, helfen können wir dir nicht. Denn was wir vorgaben, in Sachen Natur zu wissen, so stellt sich bei näherem Hinsehen heraus, war bisher in Wahrheit nur ein Versprechen, die berühmten fünf, zehn Jahre und danach kamen sie wieder diese Jahre, alte Bekannte, nicht klüger geworden, genau dieselben. Eine Autoreparaturwerkstatt hätte unter diesen Bedingungen, als der merkwürdigste Betrieb der Welt, längst pleite gemacht, wo Heinzelmännchen am Schrauben sind, und der Chef nichts zu sagen hat. Unter normalen Umständen hätte man solch einem Treuhänder längst das Mandat entzogen. Doch wie steht es um diese Natur, kann sie Schäden, die wir anrichten, wirklich reparieren? Wir wissen sehr wohl, dass wir über Dinge verfügen, die sind so grob, so schädlich, da hat die Natur keine Chance. Offensichtlich legen wir es darauf an und nähen den Stoff auf Kante, anders scheint uns nicht wohl. Mal sehen, wie sie antwortet, die Unverschämte, die sich unserem Zugriff so hartnäckig verweigert. Wir nennen das Forschen. Klug werden wir dadurch nicht, so stark die Natur uns erscheint, ist sie doch zart. Eine Rose, eine Orchidee, ist kein Amboss auf den man einschlagen kann und mit einem Schraubenschlüssel anzurücken wird wenig nützen. Genschere klingt nach Frankenstein, und das Einschleusen fremder Gene wie ein Betrug am Mann. Verunstaltet mit einer Fratze im Gesicht, glotzt einen diese malträtierte Natur nun an und der Vorteil den man sich versprach, verkehrt sich über kurz oder lang in sein Gegenteil. Nach welchen Gesetzen die Natur arbeitet, welche Kräfte hinter ihr wirken, wenn da für jedermann sichtbar, man kann es kaum glauben, über verschiedene Stadien der Verwandlung hinweg, aus der Zygote ein Schmetterling wird, das und nichts anderes ist es doch um was es hier geht, wüsste man wirklich um diese Natur Bescheid. Doch diese Buchseiten stehen leer; wer da wirklich auf der Seite derer, die das Heft in der Hand halten, weiß, was Sache ist, möge sich bitte melden. Wie Einstein meinte, sind wir mit dieser Wissenschaft nicht auf der Seite des Wissens, sondern auf der ständigen Flucht vor dem Staunen. Auf Dauer gut geht das nicht.
Читать дальше