Und auch Olaf musste jetzt kopfschüttelnd grinsen und hob schließlich an: »Ich werde mich rächen, Meister Yoda.«
»Das Spiel Padawan verstehen nicht«, entgegnete Schmidt schlagfertig. Wenig später erhoben sie sich dann, um sich ebenfalls noch etwas frisch zu machen, jedoch nicht ohne sich vorher für den Nachmittag zur nächsten Runde zu verabreden.
Brigitte konnte sich nicht recht auf ihren Aufsatz über Meeresschildkröten konzentrieren. Ihr war, als sie über das Meer nachdachte, noch eine weitere Idee zur Sucuriju Gigante in den Sinn gekommen.
Einige Meeresbiologen hatten die Theorie aufgestellt, dass der Megalodon, ein fast zwanzig Meter langer Urhai, der die Meere der Kreidezeit bevölkert hatte, im Laufe von Millionen Jahren zu seinem heutigen Cousin, dem weißen Hai, geschrumpft sei. Wenn sie diese Theorie nun übertrug, würde das bedeuten, dass die Sucuriju Gigante eine uralte Art sein könnte, die vielleicht schon Jagd auf die mächtigen Dinosaurier gemacht hatte. Und die Anakonda wäre dann ihre geschrumpfte neuzeitliche Variante. Ja, auch das wäre möglich, stellte Brigitte für sich fest. Aber auch diese Idee brachte sie nicht entscheidend weiter. Alles stand und fiel mit der Frage, ob sie da draußen auf einen isolierten Lebensraum stoßen würden, der der Sucuriju Gigante das Überleben ermöglichte. Das Einzige, was ihre Überlegung ihr eingebracht hatte, war die Erkenntnis, dass dieser isolierte Lebensraum viel urzeitlicher aussehen müsste, als sie es sich bisher hätte vorstellen können.
Schließlich rief sie sich selbst zur Ordnung und zwang sich wieder an ihren Aufsatz. Nicht aber, ohne vorher ihr Bullauge aufzureißen. Die Luft wirkte trotz der extremen Luftfeuchtigkeit erfrischend auf sie. Sie wollte fertig werden. Spätestens übermorgen wollte sie sich Martina und Andrea beim Sonnenbaden anschließen. Kaum hatte sie an Andrea gedacht, schauderte es sie auch schon bei der Erinnerung an den Anschlag. Energisch schüttelte sie den Kopf. Manaus liegt weit hinter uns, reiß dich jetzt zusammen, sonst wird das nie was mit dem Sonnenbad, ermahnte sie sich abermals.
»Und«, rief Martina über die Schulter in Richtung Olaf, der sich auf das Bett gelümmelt hatte, »als ich ihr auf den Kopf zugesagt habe, dass sie in Lennard verknallt ist, ist sie tatsächlich knallrot angelaufen wie ein Teenager. Süß, was?«
»Mhm, aber eins musst du mir verraten. Bist du Hellseherin? Wie in drei Teufelsnamen bist du drauf gekommen, dass Andrea ein Auge auf Lennard geworfen hat?«
Martina hatte mittlerweile ihren Bikini abgestreift und war auf dem Weg ins Bad. Mit dem Rücken zu Olaf grinste sie und verdrehte die Augen. Ohne ihm zu antworten, ging sie unter die Dusche. Olaf folgte ihr keine Minute später.
Alberto Ruiz‘ Gedanken waren immer wieder von seiner Lektüre abgeschweift und hatten sich um die Expedition und ihre Teilnehmer gedreht. Er war von der brasilianischen Regierung und der Society tief enttäuscht. Seiner Meinung nach hätte mindestens die Hälfte der Teilnehmer Brasilianer sein müssen. Und dies galt natürlich auch für die Leitung der Expedition. Immerhin waren sie in Brasilien. Fawcetts Tagebuch war in Brasilien gefunden worden und zwar aus seiner Sicht unter sehr fragwürdigen Umständen in den Besitz der deutschen Wissenschaftlerin gelangt. Wie sollte Brasilien jemals den Status eines Schwellenlandes verlassen, wenn sich die Regierung so unterbuttern ließ? Er fühlte sich tatsächlich in die Kolonialzeit unter portugiesischer Regentschaft zurückversetzt. Nur dass die Portugiesen durch die Deutschen ersetzt worden waren. Unfassbar. Wobei er sich eingestehen musste, dass er gegen die Teilnehmer der Expedition eigentlich nichts hatte. Im Gegenteil, sie waren fachlich sicherlich alle qualifiziert und ihm größtenteils sogar sympathisch. Es war das System, das ihn krank machte. Und er hatte beschlossen, dagegen ein Zeichen zu setzten. Widerstand zu leisten. Allerspätestens beim ersten Kontakt mit einem indigenen Stamm würde er die Expedition scheitern lassen. Er, Alberto Ruiz, würde Manoa für das brasilianische Volk bewahren.
Lennard hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben. Er beobachtete gerade mit Edda, wie ein Arakanga – ein hellroter Ara – über der Rita seine Bahnen zog und erzählte der jungen Ärztin, dass es bei den Arakangas genauso Rechts- und Linkshänder gäbe, wie bei den Menschen, als endlich ein Fisch anbiss. Vorsichtig holte Lennard die Angel ein, bis endlich ein Tucunaré die Oberfläche des Amazonas durchbrach. Die delikate Buntbarschart konnte fast einen Meter lang werden, wobei es Lennard vollkommen genügte, dass sein Exemplar gerade mal fünfzig Zentimeter maß. Als Bereicherung des heutigen Speiseplans war der Fisch allemal groß genug.
»Jetzt kommt der unangenehme Teil«, wandte er sich an Edda, nachdem er den Fisch an Bord gehievt hatte.
»Ich weiß, aber das gehört nun mal dazu. Als Kind bin ich oft mit meinem Vater zum Angeln gegangen«, antwortete sie schulterzuckend.
Lennard schnappte sich einen an der Reling hängenden Knüppel und erledigte die Sache mit einem gezielten Schlag. Edda ging in ihre Kabine, um sich für das Mittagessen umzuziehen und Lennard verschwand mit dem Tucunaré in Richtung Kombüse.
Das Mittagessen in der kleinen, aber gemütlichen Messe wurde von der euphorischen Stimmung der Teilnehmer dominiert. Es wurde viel und herzhaft gelacht. Nur Lennard war etwas abwesend. Er sah immer wieder zu Ruiz hinüber. Hat Eddas Beobachtung wirklich etwas zu bedeuten oder war das nur ein Zufall?, fragte er sich ununterbrochen. Pausenlos und ohne Ergebnis. Er hatte die ganze Zeit gehofft, dass der Anschlag die Tat eines Irren in Manaus war. Dass Andrea ein zufälliges Opfer war. Auch wenn er das nach wie vor hoffte, hatte ihn Edda daran erinnert, dass es auch anders sein könnte. Aber Ruiz? Das ergab doch keinen Sinn. Dass er Ruiz im Auge behalten würde, war natürlich klar, aber Andrea wollte er erst am Abend in seiner Kabine einweihen. Sie verstand sich scheinbar ausgezeichnet mit Martina. Sollte sie doch den Nachmittag genießen, er würde auch sie im Blick behalten.
Anders als für die anderen Teilnehmer vergingen die Stunden des Nachmittags für Lennard viel zu langsam. Er brannte natürlich darauf zu erfahren, was Andrea zu Eddas Beobachtung sagte und natürlich brannte er noch viel mehr darauf, Andrea endlich wieder in seinen Armen zu halten. Eigentlich ging ihm das mit Andrea alles irgendwie viel zu schnell. Aber vielleicht hatte er auch nur zu lange in der Vergangenheit gelebt. Darüber wollte er jetzt auch gar nicht grübeln. Er fand es gut, so wie es jetzt war. Er hatte schon fast nicht mehr gewusst, wie es sich anfühlte, glücklich zu sein.
Umso froher war er, als mit Einbruch der Dämmerung die Gesänge der Amazonaspapageien wieder einsetzten, als sie zu ihren Schlafplätzen zurückkehrten. Eine Gruppe Brüllaffen stimmte in das Konzert ein und die Tiere machten ihrem Namen alle Ehre. Untermalt wurde das Ganze vom monotonen Bass der stetig tuckernden Dieselmotoren.
Da für die meisten Teilnehmer die vergangene Nacht doch eher kurz ausgefallen war, verlief das Abendessen in gedämpfter Atmosphäre und alle schienen froh, sich gegen 22:00 Uhr auf ihre Kabinen zurückziehen zu können.
Gegen halb elf klopfte es dann endlich an Lennards Kabine und Andrea schlüpfte durch die Tür. Ohne vorher ein Wort zu sagen, nahmen sie sich in die Arme und küssten sich lange. Als sich ihre Münder endlich voneinander trennten, ließ es sich Andrea nicht nehmen, ihm als Erstes von dem Gespräch mit Martina zu berichten. Soll sie doch ruhig, dachte Lennard, sie wirkt glücklich. Er würde ihr die gute Laune früh genug verderben müssen. Aber irgendwann konnte er es dann natürlich doch nicht mehr hinauszögern und er berichtete ihr von seiner Unterhaltung mit Edda. Andrea reagierte fassungslos.
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