Andrea hatte schon immer ihr Wissen bereitwillig mit anderen geteilt. Zudem war ihr klar, dass es ihre Position nur stärken konnte, wenn sie ein ausgesprochen gutes Verhältnis zu Schmidts Assistenten entwickelte. Ja, in den letzten Jahren hatte sie gelernt, auch taktisch zu denken. Aber vor allen Dingen musste sie sich eingestehen – taktisches Denken hin oder her – dass sie die beiden wirklich mochte.
Lennard war nach vorne zum Bug gegangen, wo er sich mit Kapitän Lucas über die weiteren Etappen der Flussfahrt unterhielt. Lucas erklärte Lennard, dass die nächsten Tage recht eintönig werden würden. Da der Amazonas zwischen Manaus und seiner Mündung im Atlantik eine stark befahrene Schifffahrtsstraße ist, herrschte für die gesamte Schifffahrt ein strenges Tempolimit.
»Ich kann es nicht ändern«, sagte Lucas schließlich, »aber wir werden wohl vier Tage brauchen, ehe wir den Rio Xingu erreichen.« Er spuckte einen Priem Kautabak über Bord. »Bis es soweit ist, werden wir Tag und Nacht mit gedrosselten Motoren den Amazonas entlangdümpeln.« Er zuckte die Schultern, kratzte sich hinterm Ohr und grinste Lennard schief an. »Genießen Sie die Zeit. Sie wissen ja nicht, was Sie danach erwartet«, verabschiedete sich Lucas alsbald auf die Brücke und ließ einen nachdenklichen Lennard am Bug zurück.
In der Tat, niemand weiß, was uns erwartet, dachte er, als er seinen Blick vom Fluss löste und gemächlich zu den anderen schlenderte.
Wie vom Kapitän bereits angekündigt, vergingen die Stunden des Tages zermürbend langsam. Nach dem gemeinsamen Frühstück versuchte jeder auf seine Art und Weise, die Zeit totzuschlagen.
Andrea und Martina hatten beschlossen, ein Sonnenbad zu nehmen. Und als die beiden Schönheiten im Bikini an Deck erschienen, um zu den Liegestühlen zu gehen, zogen sie nicht nur die bewundernden Blicke von Olaf und Lennard auf sich.
Etwas abseits hatte es sich Ruiz mit einem Buch an Deck gemütlich gemacht.
Nur Brigitte war wieder in ihre Kabine gegangen, um an einem wissenschaftlichen Artikel für ein Fachmagazin zu schreiben.
Auf dem Heck des Schiffes hatten sich Prof. Schmidt, Jack Cameron und Olaf um einen kleinen Tisch gruppiert und spielten Karten.
Lennard dagegen hatte sich einen Stuhl an die Reling gestellt und eine Angel ausgeworfen. So konnte er in Ruhe seinen Gedanken nachhängen und vielleicht etwas frischen Fisch zum Mittagessen beisteuern.
Es war noch keine halbe Stunde vergangen, als Dr. Velmer neben ihm erschien. Die Expeditionsärztin trug einen Wickelrock mit einem Bikini-Oberteil, welches ihre üppige Oberweite eindrucksvoll zur Geltung brachte.
»Mr Larson, darf ich Ihnen beim Köderbaden Gesellschaft leisten?«. Sie grinste ihn frech an.
»Gerne und nennen sie mich doch bitte Lennard«, grinste er zurück.
»Nur, wenn sie mich Edda nennen.«
Sie streckte ihm die Hand entgegen. Ihr Händedruck war warm und fest. Als sie sich vorbeugte, um einen zweiten Stuhl an die Reling zu ziehen, konnte Lennard einen weiteren Blick auf ihren wogenden Busen erhaschen. Innerlich musste er über sich selbst den Kopf schütteln. Typisch Mann, ging es ihm durch den Kopf. Jetzt war er seit einem Tag mit Andrea zusammen und konnte es trotzdem nicht lassen, einer anderen Frau auf die Titten zu glotzen.
Inzwischen hatte Edda neben ihm Platz genommen und sie unterhielten sich einige Minuten über dies und das. Alles belangloses Zeug. Lennard kam immer mehr zu der Überzeugung, dass Edda ihm etwas erzählen wollte, aber nicht wusste, wie sie es am besten anstellen sollte. Also ergriff er die Initiative.
»Edda, du willst mir doch sicher nicht nur beim Köderbaden zusehen, also raus damit.«
»Bin ich so leicht zu durchschauen?« Sie lächelte ihn gequält an und fuhr sich durchs Haar. Lennard schüttelte beruhigend den Kopf.
»Nein, aber ich habe ein ganz gutes Gespür dafür, wenn jemandem etwas auf den Nägeln brennt.«
»Also gut. Es geht noch mal um den Anschlag auf Andrea.«
»Ja?« Lennard war sofort hellhörig geworden.
»Als wir gestern Abend unsere Kabinen an Bord bezogen, bemerkte ich, dass die Tür der Kabine mir gegenüber nur angelehnt war und da …« Edda zögerte und wich Lennards Blick aus. Er musste schmunzeln.
»Edda, du bist eine Frau. Du musst dich für deine Neugier nicht entschuldigen.«
»Idiot!«, blaffte sie ihn an, fügte dann aber hinzu: »Ja, du hast aber recht. Ich drückte die Tür vorsichtig auf. Ich wollte doch nur wissen, wer mein Zimmernachbar von gegenüber ist«, rechtfertigte sie sich.
»Und weiter?«
»In der Kabine kniete Alberto Ruiz auf dem Boden und räumte seinen Koffer aus.«
»Ja und?«, forderte Lennard sie auf, endlich zum Punkt zu kommen. Edda blickte tief in seine Augen.
»Auf dem Bett stand genauso ein mit Holz verstärkter Schuhkarton, wie wir ihn in Andreas Zimmer gefunden haben. Bis auf die Luftlöcher im Deckel waren die Kartons vollkommen identisch.«
Andrea und Martina genossen die warmen Strahlen der äquatorialen Sonne, wobei Martina wegen ihrer hellen Haut eine Sonnencreme benutzte, deren Schutzfaktor vermutlich nur eine Nuance unter der Schutzwirkung einer Wolldecke lag. Andrea konnte da entspannter sein. Das Leben in Manaus hatte ihrer Haut eine bronzene Grundfärbung beschert.
»Dich hat es ganz schön erwischt, was?«
Andrea schlug die Augen auf und blickte zu Martina. Die hochaufgeschossene junge Frau hatte sich auf ihrer Liege aufgesetzt und grinste jetzt zu Andrea rüber.
»Was erwischt?«, war Andreas verblüffte Gegenfrage. Sie hatte eine Hand gehoben, um die Sonne abzuschirmen, damit sie Martina besser sehen konnte.
»Na, Lennard mein ich. Dass du in ihn verschossen bist.«
Erschrocken setzte sich jetzt auch Andrea auf und schaute Martina einen Moment fassungslos an. Dann lächelte sie. »So offensichtlich?«
Martina nickte bedächtig. »Für mich schon.«
»Und für die anderen?«
Martina winkte mit der Hand ab. »Keine Spur. Die haben keine Ahnung.«
»Und Olaf?«
»Ach, hör mir mit Olaf auf. Den musste ich fast dahin prügeln, dass er merkte, dass er mich liebt und ich ihn. Aber«, fügte sie hinzu, »ihm würde ich es gerne erzählen. Den anderen natürlich nicht.«
»Versprochen?«
»Hoch und heilig.«
Die nächste halbe Stunde unterhielten sich die beiden mit verschwörerischem Gekicher über ihre Freunde, deren Eigenheiten und die Spezies Mann im Allgemeinen. Schließlich wanderten die beiden wieder zu ihren Kabinen. Sie wollten sich vor dem Mittagessen noch frisch machen.
Als Andrea ihre Kabine betrat, lächelte sie. Sie war froh, dass Martina sie auf Lennard angesprochen hatte. Irgendwie tat es gut, eine Freundin gefunden zu haben, mit der sie über ihr Glück sprechen konnte. Hoffentlich bin ich nicht knallrot angelaufen wie ein pubertierender Teenager, befürchtete sie ins geheim. Ach Quatsch, doch nicht mehr in meinem Alter, dachte sie, als sie unter die Dusche ging.
»Ja, Sportkamerad Helbig«, strahlte ein sichtlich zufriedener Prof. Schmidt, wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht und betrachtete den großen Stapel Streichhölzer vor sich, »wenn wir um Euros und nicht um Streichhölzer gepokert hätten, könnte das Institut Ihr Gehalt für das nächste halbe Jahr auf mein Konto überweisen.«
»Sie hatten doch nur Glück, Herr Professor«, erwiderte Olaf leicht mürrisch.
»Ah, Sie verwechseln Glück mit Können. Schauen Sie, Mr Cameron hat gut die Hälfte seiner Streichhölzer an mich verloren. Sie haben alles verloren. Daraus folgt: Ich bin ein guter Pokerspieler, Mr Cameron, na, sagen wir mal ein mittelmäßiger Spieler und sie lieber Olaf …« Schmidt schüttelte immer noch strahlend den Kopf: »Tja, was ist eigentlich die Steigerung von katastrophal?«
Auch Jack Cameron musste breit grinsen. Er konnte mit den wohlwollend spöttischen Bemerkungen gut leben. Der ansonsten doch eher reservierte Prof. Schmidt war während des Kartenspiels aufgetaut und hatte gezeigt, dass er auch eine sehr humorvolle Seite hatte.
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