Schwander hatte diese Lektion leider versäumt, dafür jedoch davon gehört, dass er die Damen gelehrt haben sollte, wie man aus Flachs mit Hilfe von Urin und Salpeter Seide herstellen könne. Gelegentlich hatte der Wohltäter ihnen auch den Wink gegeben, wie sie ihre Brüste einschmieren müssten, damit die Warzen nicht verhärteten und zerbarsten, sondern jugendlich zart und weich blieben wie frühlingsfrische Knospen. Doch auch den Männern hatte er einen guten Tipp verraten, um die Liebe der Frauen zu gewinnen, so sicher wie das Amen in der Kirche. Sein Rezept war so erregend, dass manche es nicht aushalten konnten, sondern oft aufstehen und weggehen mussten: Ratschläge, die für den Hofrat leider zu spät kamen, Zur Erweckung der Liebe hatte er Kanthariden und Satyrion verschrieben und davon solche Dosen verordnet, die einen Menschen mitsamt der Liebe umgebracht hätten, wäre auch nur einer so süchtig gewesen, sie zu schlucken. Doch vielleicht stand ihnen ein solches Unglück ja noch bevor, wenn die Liebestollheit die Vernunft besiegte oder kein Schutzengel vorher eingriff - so wie er bei Frau von der Recke. Schmunzelnd verwarf er den Gedanken wieder, denn Elisa und ein Aphrodisiakum, das konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen.
Dafür hatte sie ein Abführmittel genommen, das er ihr verschrieben, und zwar ein so heftiges Drastikum in einer solchen Portion, dass sie davon sicher, wenn schon nicht gestorben, so doch elend krank geworden wäre, hätte Ferber sie nicht davor bewahrt, es einzunehmen. Cagliostros Verjüngungstropfen hätten auch eine so verheerende Wirkung, allerdings nur auf den Geist, für den Körper wären sie dagegen völlig harmlos, wie seine wissenschaftliche Analyse ergeben hatte.
Wieso auf den Geist? wollte der Hofrat wissen, dem der spöttische Unterton nicht entgangen war, worauf Ferber ihm entgegnete, wer so weit gekommen sei, dass er daran glaube, sei der noch geistig normal? Selbst Männer blieben davon nicht verschont, wie man ja neulich selbst miterlebt habe.
Ferber spielte damit auf den peinlichen und zugleich lächerlichen Vorfall an, der erst kürzlich geschehen war. Cagliostro hatte in der Loge einen alten, angesehenen Mann mit verbundenen Augen und gebundenen Händen vorführen lassen und wie einen armen Sünder abgekanzelt, ihm danach aber zum Trost verjüngende Tropfen verschrieben, die der gutmütige Mann auch wirklich einnahm, nicht nur in Mitau, sondern auch noch später in Warschau, wenngleich ohne den geringsten Erfolg.
Auch seine physiognomischen Vorlesungen, bei denen er Menschen mit Tieren nach den verschiedenen Temperamenten verglich, hatte Cagliostro aus irgendeinem der vielen Bücher herausgeschrieben, die bereits vor einiger Zeit hierüber erschienen waren, wie Ferber erklärte. Was stammte eigentlich wirklich von ihm? Nichts! Noch nicht mal eine einzige Sprache konnte er richtig lesen, noch viel weniger sprechen oder schreiben. Mit einem Wort: Der große Magier war ein Ignorant. Unfähig einen zusammenhängenden Vortrag zu halten, fiel er vom Hundertsten ins Tausendste. Wann würden auch seinen glühendsten Verehrern endlich die Augen aufgehen?
Oft schon hatte Elisa von der Recke mit Cagliostro über die Verbindung der Geister- und Körperwelt gesprochen, auch über Erscheinungen sowie über die Kraft des Gebetes und die Gabe der Apostel, Wunder zu tun, und dabei so manches Wunderbare von ihm erfahren. Auch hatte sie ihm gestanden, seit dem Tod ihres Bruders bedeute ihr diese Welt nur noch wenig. Einzig der Gedanke, für viele tätig sein zu können, gab ihrem Leben noch einen Sinn. Wie oft schon hatte sie sich die Verbindung zu verklärten Geistern herbeigesehnt und so manche Nacht in Meditation und Gebet auf dem Kirchhof verbracht, um sich des Glücks würdig zu erweisen, die Erscheinung ihres seligen Bruders zu erleben.. Durch Cagliostros magische Kräfte hoffte sie, dass ihr Wunsch nun endlich in Erfüllung gehe.
Zur ihrer Enttäuschung erklärte er, leider keine Gewalt über die Verstorbenen zu haben, nur die mittleren Geister der Schöpfung, die dem Menschen dienten, seien ihm untertan. Durch sie könne er als Eingeweihter der heiligen Mystik den belehrenden Umgang mit höheren Geistern genießen. Doch verfüge er leider nicht über die Kraft, erwachsenen Personen Erscheinungen zu verschaffen.
Elisa merkte nicht, wie listig Cagliostro sich herausredete, um ihr nur ja nicht eine Erscheinung ihres Bruders vorgaukeln zu müssen, dessen Gesichtszüge er im Gegensatz zu ihr nicht kannte.
Außerdem dürfe er es auch niemals rein zum Spaß machen. Nur wichtige Gründe könnten ein solches Vorgehen bei seinen Oberen rechtfertigen. Wenn er dagegen seine Beschwörungen einzig deswegen mache, um die Neugier anderer zu befriedigen oder um mit seiner eigenen Größe zu prahlen, dann würden sich schon bald unter seine dienstbaren Geister die bösen einschmuggeln, von denen die Schrift sage, sie schlichen umher, um die Menschen zu verführen. Am Ende könne es ihm gar so übel ergehen wie Schrepfer, der seine Gaben arg missbraucht habe, weswegen ihm die bösen Geister, die ihn dazu verführt, so lange zugesetzt hätten, bis ihm nichts anderes übrigblieb, als sich selbst zu erschießen. Eva, die durch den Biss in den Apfel fiel und damit das ganze Menschengeschlecht zu Fall brachte, sei nichts als eine magische Parabel dafür, dass Neugier, Eitelkeit und Herrschsucht Unglück brächten bis ins tausendste und abertausendste Glied. Der Weg der Magie, den sie, eingeweiht als Ordensschwester, gehen wolle, sei höchst gefährlich, falls nicht allein der Wunsch, Gutes zu wirken, sie der Mystik zuführe. Im Augenblick sei er zwar noch nicht von der Lauterkeit und Wahrheit ihrer Gesinnung restlos überzeugt, doch werde er in wenigen Stunden von seinen Oberen wissen, wie sie wirklich denke, und dann mit ihr weiterreden.
Dazu kam es erst am folgenden Tag, als sie sich wieder im Haus des Landmarschalls begegneten und Cagliostro ihr verkündete, seine Oberen hätten ihm versichert, ihre Absicht, sich der Magie zu weihen, sei nicht nur edel, sie brächte es auch sehr weit in dieser hohen Wissenschaft, sofern sie immer mit dem gleichen Eifer und der gleichen Treue ihren Oberen folge. Solange er sich in Mitau aufhalte, gelte ihr daher seine ganz besondere Fürsorge und Betreuung, wofür er erwarte, dass sie ihm aufs Neue gelobe, seinen Anweisungen unbegrenzt zu folgen. Bestimmt werde sie, wenn sie durch ihr Streben zu höheren Kräften gelange so wie Christus und seine Apostel, ebenfalls die Kräfte haben, um wie Petrus mit einem Wort, nämlich „Ananias, du lügst“, jenen tot umfallen zu lassen, der ihrer Voraussicht nach gewillt sei, Tausende ins Unglück zu stürzen und den erhabenen Plan des großen Baumeisters aller Welten zu durchkreuzen.
Trotz all ihrer Intelligenz war Elisa von der Recke damals noch zu sehr für Cagliostro eingenommen, um zu erkennen, welche verwerflichen Ansichten er vertrat.
Um sie schneller in die erhabene Geheimlehre einzuführen, versprach er, ihr durch einen magischen Traum möglichst noch in dieser Nacht mit dem Geist ihres Bruders zu einer wichtigen Zwiesprache über die heilige Mystik zu verhelfen. Sie müsse jedoch im Schlaf den Vorsatz fassen, mit ihm über Magie zu sprechen, sobald er ihr im Traum erscheine. Er selbst werde ihrem Vater ein versiegeltes Schreiben überreichen, mit einer Frage darin, die ihm Aufschluss über ihren Traum geben werde. Von dem Gespräch mit ihrem Bruder solle sie möglichst viele Einzelheiten behalten.
Noch am gleichen Abend, als sich auch weitere Gäste im Haus des Landmarschalls eingefunden hatten, sprach Cagliostro mit Elisa von der Recke über die eine und andere Form der Magie. Was er damit bezweckte, verschwieg er ihr wohlweislich: Er wollte auf diese Art verschiedene Ideen von Magie in ihrem Geist so lebhaft werden lassen, dass sie in dieser Nacht davon träumen musste.
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