Nachdem er ihnen diese Offenbarung gemacht hatte, skizzierte er auf einem Blatt Papier die Gegend, wo der magische Schatz vergraben läge, und beschrieb ihnen wortreich zum Erstaunen aller genau die Lage des Waldes, ohne je in Wilzen gewesen zu sein. In der halben Stunde, die er nebenan allein war, habe er sich keine Notizen gemacht, das sei nur ein Vorwand gewesen, um ungestört zu bleiben. Vielmehr habe er sich durch die Kraft seiner Geister und auf Geheiß des Großen Kophta nach Wilzen versetzt und dort alles genau besichtigt, Baum für Baum, Strauch für Strauch, kurzum Punkt für Punkt. Was er ihnen vorhin anvertraut, habe er von seinem Geist erfahren, der die Schätze und magischen Sachen an der geheimen Stelle bewacht. Die Schätze, die er dort auf dem Grundstück heben werde, solle der verehrte Herr Marschall erhalten. Nur die magischen Sachen seien für ihn selbst oder vielmehr für seine Oberen.
Marschall von Medem nickte wie benommen und bat darum, einen Blick auf die Skizze zu werfen, auf der zu seiner größten Verwunderung wirklich alles haargenau gezeichnet war, die ganze Gegend auf seinem Gut, vor allem der Wald, wo die Schätze vergraben sein sollten, und sogar die Stelle, wo er als Knabe oft gespielt hatte, erkannte er darin. Stark beeindruckt erinnerte er sich daran, dass schon in seiner Kindheit die Rede von einem vergrabenen Schatz gewesen war, und man sich die gruseligsten Spukgeschichten von Gespenstern erzählte, die dort ihr Wesen trieben. Die Eltern hatten nur ein Lächeln dafür übrig, die Kinder aber erschauerten jedes Mal, wenn sie davon hörten.
Es musste also doch etwas Wahres daran gewesen sein, wie er und seine Nichte Elisa jetzt zu erkennen glaubten, nachdem Cagliostro so geschickt ein Märchen zusammengefädelt und ihre Seelen in die Zauberwelt hineingeführt hatte. Sie waren so in ihrem Wunderwahn befangen, dass sie allen Ernstes nicht im Geringsten daran zweifelten, Cagliostro habe sich auf Geheiß des Großen Kophtas nach Wilzen versetzen können. Da auch viele ihrer Bekannten Swedenborgs aufsehenerregende Erzählung vom Brand in Stockholm für wahr hielten, neigten sie sehr dazu, ihrem so unverhofft in Mi-tau erschienenen Helden keine geringere Kraft zuzutrauen.
Über soviel Mangel an Vernunft konnte Hofrat Schwander nur den Kopf schütteln. Er sah in Cagliostro nicht den Hellseher und Geisterbeschwörer, für den er sich ausgab, sondern einen abgefeimten Bube, der vielleicht Tage vorher durch einen nach Wilzen gesandten Geheimkundschafter über alles unterrichtet worden war. Vielleicht aber hatte er auch durch unverfängliche Gespräche den Gutsherrn selbst, ohne dass es jenem bewusst wurde, über die ganze Lage des Waldes ausgefragt.
Für Ferber, der zwar beides für möglich hielt, war die Sache in Wirklichkeit aber noch einfacher, so einfach, dass auch jeder andere Fremde, ohne je dort gewesen zu sein, die Lage des Waldes genau hätte angeben und den Besitzer zu dem Ort führen können, wo der Schatz begraben sein sollte. Der leider allzu leichtgläubige Marschall besaß nämlich eine Karte von seinem Gut, die Cagliostro oft betrachtet hatte. Wenn niemand von der Gesellschaft darauf achtgegeben hatte oder sich jetzt nicht mehr daran erinnerte, so war das entweder eine Folge der Unaufmerksamkeit oder ein so tiefes Vorurteil für die hohen Einsichten des vergötterten Wunderknaben, dass die auffallendsten Absurditäten, die plumpsten Lügen und Torheiten dieses nichtswürdigsten aller Hochstapler nicht den geringsten Argwohn geweckt zu haben schienen, sondern vielmehr als hehre Weisheit bewundert wurden. Gegen Dummheit ist nun mal kein Kraut gewachsen, eine Erkenntnis, aus der er weiter folgerte: Sollte dennoch einmal Misstrauen aufkeimen, das eigentlich aus Cagliostros Widersprüchen und seinem ganzen Betragen wie von selbst entstehen müsste, dann wird es mit aller Macht unterdrückt, weil man es sich nicht mit ihm verderben möchte. Denn wer will schon nicht dahinterkommen, wie man Gold macht oder Perlen und Diamanten vergrößert und so weiter, was der Meister seinen Gläubigen ja in Aussicht gestellt hat, sofern sie sich folgsam um ihn scharen wie die Küken um die Glucke. Weil man es vorher schon nicht für unmöglich gehalten hat, überhaupt wenig Ahnung von physikalischen Dingen besitzt und der Kopf voll ist mit mystischen Albernheiten, deshalb vertraut man dem Sprücheklopfer blindlings. Wer von diesen doch sonst so klugen und gebildeten Leuten stellt schon scharfe Beobachtungen an? Niemand, sie alle fürchten, dass Cagliostro in seiner Allwissenheit ihre geheimsten Zweifel entdecken und zur Strafe seine Versprechungen unerfüllt lassen könne. Wie oft schon hatte er ihnen mit seiner Abreise gedroht und war dann doch geblieben im warmen Nest.
Um die Richtigkeit seiner hellseherischen Visionen bei seinen wundergläubigen Gastgebern noch fester zu untermauern, machte Cagliostro tags darauf im Beisein von Marschall von Medem und Gemahlin sowie des Kammerherrn von der Howen ein magisches Experiment, an dem auch noch seine eigene Ehefrau, die „Gräfin“ Serafina, teilnahm. Dabei bediente er sich als Medium wiederum des fünfjährigen Söhnchens der Familie, des kleinen Vetters von Elisa.
Nach dem üblichen Beschwörungsritus bestätigte der Kleine auf Befragen, den Wald von Wilzen zu sehen und darin genau die Stelle, wo der Schatz verborgen läge. Woraus dieser Schatz bestand, wusste er auch anzugeben, als ihm, so versicherte er, ein anderes Kind erschien, gleichfalls ein Knabe, der im Wald die Erde geöffnet und ihm viel Gold, Silber, Papiere, magische Instrumente sowie ein Kästchen mit rotem Pulver gezeigt habe.
Die Gunst der Stunde nutzend, flüsterte Serafina ihrem Mann zu, brennend gern eine Nachricht von ihrem Vater zu haben. Ob er den Kleinen danach fragen könne? Cagliostro nickte wohlwollend und begann mit erklärenden Hinweisen die Phantasie des Knaben nach Italien und dann näher nach Rom zu lenken, mit dem Ziel, ihm vor seinem geistigen Auge den Schwiegervater erscheinen zu lassen.
Es dauerte auch nicht lange, bis der Kleine lebhaft ausrief: „Jetzt erkenne ich einen langen, hageren Mann, der wie die Gräfin aussieht. Er hat einen Orden und ist vergnügt und gesund.“
„Fragen Sie den Mann, ob er auf dem Land ist oder in der Stadt“, forderte Cagliostro den Knaben auf.
„Er ist auf dem Land.“
„Fragen Sie ihn weiter, ob er den bewussten Brief schon erhalten habe.“
„Ja, er hat den Brief erhalten.“
Serafina schwelgte vor Freude über diese guten Nachrichten, jedenfalls erweckte sie diesen Eindruck bei den anderen Anwesenden, die sich jedoch noch mehr darüber freuten, dass durch dieses magische Experiment erneut Cagliostros Enthüllung über den vergrabenen Schatz in Wilzen bestätigt worden war.
Die Anhänger des Magiers fühlten sich dadurch nur noch mehr in ihrem Glauben an seine übernatürlichen Kräfte bestärkt. Die anderen aber, die ihn für einen Betrüger hielten, sahen darin ein weiteres Beispiel seiner Gaukeleien; doch wie er es angestellt hatte, wussten sie sich nicht zu erklären. Was den Wundergläubigen so unbegreiflich erscheint, so überirdisch und unnatürlich, muß in Wirklichkeit ein Schwindel mit ganz natürlichen Mitteln sein, sagten sie sich, und einer von ihnen, ein gewisser Herr Hinz, der als Spötter bekannt war, schlug vor, den Knaben zu befragen, das sei der einfachste Weg, dahinter zu kommen. Da jedoch die Mehrheit noch zu den Gläubigen zählte, wagte niemand, aus Furcht vor drohendem Unheil, Cagliostros Gebot zu überschreiten, was Hinz nur umso mehr reizte, den faulen Zauber aufzudecken. Als einziger wagte er sich daran, aus dem kleinen Jungen herauszulocken, was Cagliostro vorher mit ihm angestellt, denn er war sich sicher, dass der Meister das Kind zu seinem gehorsamen Medium abgerichtet hatte. Einzelheiten erfuhr er dabei jedoch nicht, dafür wich der Knabe ihm zu geschickt aus, auf manche Fragen verweigerte er sogar die Antwort; aber an der Befangenheit des Kindes, der verlegenen Miene und dem Erröten merkte er, dass er mit seinem Argwohn richtiglag.
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