Als er seine Vermutungen in der ihm eigenen spöttischen Art im Mitauer Kreis äußerte, erntete er bei den einen Beifall, bei den anderen dagegen Entrüstung. Wie erbost wären sie aber erst gewesen, hätte Professor Ferber ihnen berichtet, was er zufällig beobachtet hatte, jedoch nicht allgemein verbreiten wollte. Um den Knaben gefügig zu machen, spannte Cagliostro auch die Reize seiner Frau Serafina ein. In seiner Gegenwart gestattete sie dem Kleinen Freiheiten, mit denen sie gewöhnlich das Blut ihrer Verehrer in Wallung brachte und die jetzt die Sinnlichkeit des Knaben erregten: ein Mittel, das ihn außer Drohungen und Versprechungen dazu anspornen sollte, dem großen Magier unbedingten Gehorsam zu leisten, um auch weiterhin ihm bis dahin unbekannte Gefühle durch die schöne Madame Cagliostro in sich wecken zu lassen. Zwar hatte der Augenzeuge es für seine Pflicht gehalten, den Vater zu warnen, war dabei jedoch auf Ungläubigkeit gestoßen, da er Ferber als einen jener Zweifler betrachtete, der keine Gelegenheit ausließ, dem erhabenen Gast etwas ans Zeug zu flicken. Und wenn er ihm glaubte, würde er damit nicht den Fluch des Magiers heraufbeschwören und alles zunichte machen, was er ihnen verheißen hatte?
Obwohl sich in der Folgezeit nach und nach selbst bei den fanatischsten Anhängern die Überzeugung durchsetzte, Cagliostro habe sie von Anfang an betrogen, hütete sich jeder davor, das Kind über all diese sogenannten magischen Operationen zu befragen; denn sie schämten sich und wünschten, der Knabe möge alles rasch vergessen.
Wie empörten sie sich aber, als Monate später Elisas kleiner Vetter durch sein Geständnis der Tante gegenüber den Fall selbst aufklärte. Mit einem solchen Ausmaß an Arglist und Einschüchterung bei dem betrügerischen Hokuspokus hatte bis dahin niemand gerechnet. Jetzt erst ging Freifrau von der Recke ein Licht auf, warum Cagliostro schon bald, nachdem er im Haus ihres Onkels Eingang und herzliche Aufnahme gefunden hatte, um ihren kleinen Vetter so eifrig bemüht gewesen war. Noch nie habe er einen so witzigen und gesprächigen jungen Mann kennengelernt, hatte er damals bei einer fröhlichen Tischrunde gesagt. Wie gern wäre auch er Vater eines solchen Kindes, das sei das einzige, was ihm noch zu seinem Glück auf Erden fehle.
Der Knabe, dem nicht entging, wie sehr alle Cagliostro verehrten, und der dazu ermuntert wurde, ihm gleichfalls mit Liebe zu begegnen, schenkte dem Gast, mit dem er sich so oft die Zeit vertrieb, nun auch offen seine Zuneigung. Cagliostro zeigte ihm allerlei selbstgezeichnete Bilder, stellte ihm darüber Fragen und lehrte den aufgeweckten Jungen auch die passenden Antworten dazu. Er lobte ihn oft und redete ihm ein ums andere Mal ein, wie er seinen Vater und seine Mutter glücklich machen könne, seine Geschwister, sogar seinen treuen Diener sowie ihn selbst und alles, was er liebe. Er brauche dazu nur zu tun, was er ihm sage, und dürfe nie jemandem auch nur ein Sterbenswörtchen darüber verraten, was er mit ihm bespreche. Dagegen müsse er ihm unbedingt und sofort alles mitteilen, welche Meinung jeder im Haus und anderswo über ihn äußere. Mit grimmiger Miene zog er den Degen und bedrohte damit das verängstigte Kind; wenn er aber nur schon das Geringste über ihr gemeinsames Geheimnis ausplaudern und sich nicht nach seinen Anweisungen richten sollte, dann werde er ihn in tausend Stücke zerhacken, Glied für Glied.
Kein Wunder also, dass der Kleine nach jedem magischen Experiment so erhitzt gewesen war: Die Angst, seine Lektion nicht fehlerfrei aufzusagen, hatte ihm das Blut ins Gesicht getrieben. Er, der von seinen Eltern, von Verwandten und Bekannten unaufhörlich dazu angespornt worden war, Cagliostros Liebe zu gewinnen, hatte alles getan, was der große Magier von ihm verlangte.
Seine Folgsamkeit war auch gleich belohnt worden. Denn vor dem ersten Experiment hatte Cagliostro dem Knaben eine schöne Uniform versprochen, wenn er seine Sache gut mache. Schon am nächsten Tag ließen die Eltern dann auch auf Bitten des Wundermanns ihrem Söhnchen eine prächtige Montur schneidern.
Das gefiel dem kleinen Mann, der sich so plötzlich in den Mittelpunkt gerückt sah, auf einer Stufe mit dem großen Magier, und von Sitzung zu Sitzung wurde er immer kecker und selbstsicherer. Unter dem mit Kennzeichen beschriebenen Papierbogen lag ein anderes Blatt, auf dem alle angeblichen Erscheinungen in der Reihenfolge skizziert waren, wie Cagliostro sie abfragte. Das gewitzte Kerlchen hatte nur einen Blick darauf zu werfen brauchen, um immer auf die allernatürlichste Art antworten zu können: „Jetzt sehe ich einen Wald... nun dies und das.“
Doch noch hatte der Knabe seiner Tante nichts gebeichtet, Cagliostro war noch nicht entlarvt, und seine Anhänger standen weiterhin treu zu ihm. Daran änderte auch nichts der Reinfall mit seinem Rezept, wie man minderwertige, kleine Bernsteinstücke zu wertvollen, großen Stücken verschmelzen könne, was so leicht sei wie das Schmelzen von Zinn, sofern man das Geheimnis kenne.
Einige Mitglieder der Mitauer Gesellschaft, die schon von einem blühenden Bernsteinhandel träumten, baten ihn dringend, ihnen die Geheimformel zu offenbaren, wozu er sich dann auch nach der Art von Königen huldvoll herabließ. Er setzte sich mit Schwung an einen Tisch und genoss es, wie ihm alle an den Lippen hingen, als er das Rezept zu diktieren begann. Aber wie enttäuscht waren sie, sobald sie nach den ersten Worten feststellen mussten, dass sie alle sein streng gehütetes Geheimnis seit langem kannten. Denn die angebliche Schmelzformel für Bernstein war nichts anderes als ein allen zugängliches Rezept für Räucherpulver, weshalb ihn einer der Herren äußerst unwirsch unterbrach, um seinem Missvergnügen Luft zu machen. Sie wüssten alle, wie man das Zeug herstelle, nur Bernstein schmelzen könne man damit nicht.
Cagliostro hatte nicht damit gerechnet, unter seinen Zuhörern auch Leute vor sich zu haben, die etwas von Chemie verstanden und diesen groben Betrug sogleich entdecken würden. Kaum sichtbar zuckte er zusammen, fasste sich jedoch im nächsten Augenblick und wand sich wie eine Schlange aus der peinlichen Lage heraus. So lerne man Menschen richtig kennen, indem man sie nämlich auf die Probe stelle. Er habe die ganze Geschichte nur deshalb inszeniert, um die Charaktere seiner Schüler und Anhänger zu studieren, und sei äußerst betrübt, dass so viele unter ihnen mehr vom Krämergeist besessen seien als vom Drang, für das Allgemeinwohl zu wirken.
Da die meisten damals noch in blindem Glauben an dem großen Magier hingen, nahmen sie auch diese Erklärung hin. Die Übrigen aber schwiegen, weil sie nicht wussten, wie sie den Verblendeten die Augen öffnen könnten. Selbst Hofrat Schwander, der wirklich nichts von Chemie verstand, war das Rezept für Räucherpulver nicht ganz unbekannt. Wie konnte Cagliostro nur solchen Allerweltskram als Geheimformel verkaufen wollen? Hatte er ihnen denn nichts Besseres zu bieten?
Für Ferber besaß der Magier so gut wie keine Kenntnisse in irgendeinem Fach. All seine plumpe Weisheit habe er nur aus einigen alten medizinischen oder lächerlich mystischen Büchern entlehnt und die Geschichte des Federico Gualdo in italienischer Sprache ihm den Stoff für seine Lügen von seinem eigenen hohen Alter und seinen chemischen Künsten geliefert. Sein Geschwafel von den verschiedenen Arten der Geister habe er sich bestimmt bei Cornelius Agrippa und beim Grafen von Gabalis angeeignet. Was er ihnen in der ägyptischen Loge diktierte, könne man fast wortwörtlich in diesen Büchern nachlesen. Fest stand für ihn auch, dass Cagliostro alle Rezepte abgeschrieben hatte, teils aus den Schriften der arabischen Ärzte Rhazes und Mesue, teils aus irgendeinem italienischen Apothekerbuch. Nicht nur ihm, auch den anderen müsste doch längst aufgefallen sein, dass er noch nicht einmal alles richtig lesen konnte und kein Kraut kannte, keine Droge, und auch kein Wort mehr zu sagen wusste als in dem Buch stand, das er unter seinem schwarzen Mantel zu verbergen suchte. Wenn er vom hohen Katheder herab daraus vorlas, sollte es so aussehen, als würden die Geister ihn inspirieren. Für Ferber war es ein Vergnügen gewesen, wie einige kurische Edelleute begierig die verschiedenen Kniffe für das Weidwerk aufgenommen hatten, zum Beispiel die Witterungsrezepte für Jagdhunde, oder wie man schwarzen Pferden weiße Flecken ins Fell beizt.
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