Doch von dieser Erkenntnis war Elisa, und nicht nur sie, noch weit entfernt. Ihre Sehnsucht, mit der Geisterwelt so zu verkehren wie bis vor kurzem noch Swedenborg, dieser stets heitere und freundliche Mensch und Ehrenmann durch und durch, machte sie blind für jenen mystischen Unsinn, den ein vernünftiger Mensch wie etwa Hofrat Schwander nur mitleidig belächeln konnte.
Wie erhofft, hatte die kurze Lektüre von Swedenborgs Schriften sie an diesem für sie bedeutenden Abend so in die gewünschte mystische Stimmung versetzt, dass sie danach rasch eingeschlafen war. Mitten in der Nacht aber wurde sie von tausend Ängsten und Alpträumen geplagt, Hitze wallte in ihr auf, ihr Herz pochte wild, und nach einem Krampf in allen Gliedern vermochte sie weder Hand noch Fuß zu rühren. Ermattet lag sie da, und als sie morgens aufstehen wollte, fühlte sie sich so schwach, dass sie sich im Bett kaum von einer Seite zur anderen wenden konnte. Wieder fiel sie in einen lähmenden Dämmerzustand, halb schlafend, halb wachend, aus dem sie, von Furcht und Beklemmung eingeschnürt, mit einem Schreckensschrei auffuhr.
Es sehe nicht gut aus mit der verehrten Freifrau, befand Cagliostro, als sich die von ihm eingeladenen Herren am Morgen bei ihm versammelt hatten. Ihre Nerven wie auch ihr Körper seien zu schwach, als dass er ihr zu dem magischen Traum hätte verhelfen können, ohne ihr Leben in Gefahr zu bringen. Zwar habe er seine wichtigsten Geister aufgeboten, um mit ihrer Hilfe auf die physische Verfassung einzuwirken und sie im Traumzustand auf ein Gespräch mit ihrem Bruder vorzubereiten, aber ihr Körper sei so beschaffen, dass sie bei allen Beschwörungen immer nur ängstliche, wirre Träume gehabt habe, ohne jeden Zusammenhang, und wie ihm seine Geister sagten, sei sie auch jetzt noch vom letzten Versuch völlig erschöpft und krank. Wäre er in seinen Bemühungen noch weiter gegangen, hätte sogar die vollständige Auflösung von Elisas Organismus gedroht.
Die Herren zeigten sich zutiefst verstört und fragten sich besorgt, wie der jungen Frau zu helfen sei. Besonders ihr Vater war so erregt, dass er sofort zu ihr gefahren wäre, hätte Cagliostro ihn nicht beruhigt und vorgeschlagen, jemand anders zu ihr zu schicken, einen Herrn, der nicht familiär mit ihr verbunden sei und daher die Lage weniger emotional beurteile. Sein Blick fiel auf einen ehrwürdigen Greis, der sich auch gern dazu bereit erklärte. Er brauche nur die Arme hierher zu bitten, sonst nichts. Übrigens werde er die gute Frau sehr krank und, wie ihm seine Geister versicherten, im Bett finden, außerstande jetzt zu kommen, doch sei die Krankheit völlig harmlos. Schon heute Nachmittag um drei werde Elisa wieder wohlauf sein, versprach er dem Vater und wandte sich dann erneut an den Greis: Bei ihr angekommen, solle er ihr nichts erzählen von dem, was er, Cagliostro, jetzt mitgeteilt habe, sondern nur einfach so tun, als wisse er nichts von ihrer Krankheit, und ihr sagen, er würde sich wundern, dass sie noch nicht hier sei, da sie ihm doch gestern versprochen habe, heute Morgen um neun Uhr herzukommen.
Wie Cagliostro es vorhergesagt hatte, fand der alte Herr Elisa wie zerschlagen im Bett liegen, unfähig, aufzustehen und das Haus zu verlassen. In dieser Bestätigung sah er einen weiteren Beweis für die wunderbaren Fähigkeiten des großen Magiers, und nur mit Mühe gelang es ihm, seine Zunge im Zaum zu halten, um der jungen Frau nicht alles zu verraten, was der Magier ihnen über ihren Zustand mitgeteilt hatte, so begeistert war er. Sicherlich handele es sich nur um eine vorübergehende Unpäßlichkeit, redete er beruhigend auf sie ein. Nach Tisch komme er sie wieder besuchen, dann werde sie sich bestimmt schon wohler fühlen. Beim Grafen Cagliostro werde er sie natürlich für ihr Ausbleiben entschuldigen.
Bald nach seinem Weggang fiel sie in einen ruhigen, erholsamen Schlaf. Als es ihr gegen drei Uhr wirklich besser ging, stand sie auf und begab sich beschwingt und frisch ins Schreibzimmer, wo sie einige Gedanken über die letzten Ereignisse im magischen Kreis niederschrieb.
Um die gleiche Stunde wandte sich Cagliostro erneut an den alten Herrn, der bereits am Vormittag Elisa aufgesucht hatte, mit der Bitte, wieder zur Frau von der Recke zu fahren. Diesmal werde er sie in ihrem Zimmer am Schreibtisch vorfinden, ziemlich munter. Er solle die Dame herbringen, ihr aber kein Wort von dem verraten, was er gesagt habe.
Der Besucher wunderte sich nicht wenig, sie so quicklebendig anzutreffen, noch dazu am Sekretär ihres Schreibzimmers, hatte er sie doch erst vier Stunden zuvor so elend im Bett liegen sehen. Da sie sich wieder gesund fühlte, fuhr sie mit ihm zu Cagliostro, wo sie ihrem Vater und Herrn von der Howen begegnete. Der Magier begrüßte sie herzlich, als sie ins Zimmer trat, reichte ihr die Hand und sagte, er wisse, wie sehr sie diese Nacht gelitten habe, aber sie sei zum Teil selbst daran schuld, weil sie unbedingt den Geist ihres verstorbenen Bruders im Traum sprechen wollte und er deshalb seine Kräfte aufgeboten habe, ihr diesen Wunsch zu erfüllen. Wären ihre Nerven stärker und die Liebe zu ihrem Bruder weniger übertrieben, so hätte er ihr zu dem Traum verhelfen können, der sie näher ans Ziel gebracht und tiefer in die heilige Mystik hätte hineinsehen lassen. Doch wie die Dinge nun mal lägen, müssten sie jetzt gemeinsam den gewöhnlichen Weg gehen. Allerdings warne er sie schon jetzt vor Hanachiel, dem Schutzgeist, den er ihr zugeordnet habe und der sie beobachte, seit sie in seinen, Cagliostros, Bund getreten sei. Er gebe ihm Auskunft über all ihre Gedanken und Handlungen und habe ihm versichert, dass in erster Linie der Schmerz über den Tod des Bruders sie jetzt hin zur Mystik geführt und ihr persönliches Schicksal ihr das erste Samenkorn für ihre Neigung zur Magie in die Seele gelegt habe.
Erfreut bestätigte Elisa seine Worte, die er, gewieft wie er war, im Gespräch wie von ungefähr hatte fallen lassen. Dabei hatte er in den zahlreichen Unterredungen mit ihr, also nicht von ihrem Schutzgeist Hanachiel, oft genug erfahren, was ihren Hang zur Mystik zuerst geweckt hatte. Daher könnten die guten Geister noch nicht auf sie einwirken, fuhr er fort, weil sie die Magie nicht bloß um der Magie willen liebe, sondern darum, weil der Tod ihr das genommen habe, woran sie mit ihrer ganzen Seele hänge.
Schlau verstand es Cagliostro, jede Kleinigkeit zu seinem Vorteil zu nutzen. Elisa war zu verblendet, um zu erkennen, auf wie natürliche Weise er über ihren Seelenzustand Bescheid wusste; vielmehr bewunderte sie seine Kraft, in ihrer Seele zu lesen, wodurch ihr Glaube an seine Gemeinschaft mit höheren Geistern noch weiter gestärkt wurde.
Für den Abend kündigte Cagliostro ein magisches Experiment an, dem alle beiwohnen sollten. Er hoffe nämlich, dass allmählich in ihnen selbst die Fähigkeit zu ähnlichen Arbeiten heranreife. Von ihrem Vater forderte Cagliostro das versiegelte Papier zurück, weil Elisa den Traum nicht gehabt hatte, und verbrannte es sogleich, ohne das Siegel zu brechen und jemanden den Text lesen zu lassen.
Was sie selbst verkannte, glaubten die Skeptiker zu erkennen, sobald sie den Vorgang erfuhren. Elisas Nerven liegen blank, so sagten sie sich, und Cagliostro hat alles daran gesetzt, die Einbildungskraft dieser armen Frau bis zum Zerreißen zu spannen, um sie von ihrem Bruder träumen zu lassen. Wäre er ihr dann auch tatsächlich in dem verheißenen magischen Traum erschienen, so hätte der Scharlatan die Botschaft, die er in dem versiegelten Schriftstück aufgeschrieben hatte, schon so auszulegen gewusst, wie es ihm am besten in den Kram gepasst hätte. Da er aber merkte, dass sich ihre Einbildungskraft nicht wunschgemäß beeinflussen ließ, habe er bestimmt mit einer Arznei oder gar Droge heimlich nachgeholfen, um sie für einige Stunden krank zu machen.
Gelegentlich war ihnen aufgefallen, wie Cagliostro Elisa und eine Freundin gezwungen hatte, wider ihren Willen eine Prise von seinem Schnupftabak zu nehmen, was einige besonders misstrauische Gegner jetzt so deuteten, als habe er ein feines Gift darunter gemischt, um seine Absicht zu erreichen. Einem hergelaufenen Gauner wie ihm ist alles zuzutrauen, meinten sie.
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