Als endlich alle den vierten Grad erklommen hatten, fing Cagliostro an, seine Erklärung der Planeten zum Besten zu geben. Die Zeichen, die er vorgeführt hatte, bedeuteten sieben Geister, von denen jeder seinen Planeten, ein eigenes Metall, die ihm untergebenen Legionen von Geistern und die unter jeder Konstellation eines Planeten geborenen Menschen regierte. Um seine Weisheit zu untermauern oder, wie Ferber meinte, seine Zuhörer noch mehr zu verwirren, trug er ein ganzes System von astrologischem, alchimistischem und thesophischem Geschwätz vor und legte den Grund zu all dem Unsinn, den er später in der ägyptischen Loge aus sich heraussprudelte und diktierte.
In dieser ägyptischen Loge, die ganz schwarz ausgeschlagen und nur mit einer Lampe beleuchtet war, und wo er stets nur vermummt erschien, mischte er nun alles kunterbunt durcheinander, redete bald von der einen, bald von der anderen Geheimwissenschaft, las verstohlen aus einem selbst zusammengeschriebenen Buchmanuskript vor, malte zu Beginn unter Gebetsgemurmel Charaktere auf ein Blatt Papier, das er am Ende der Sitzung verbrannte, sprach oft mit verstellter Stimme unverständliches Zeug, hatte seinen blanken Degen vor sich liegen, gebot häufig Ernst und Stille, wenn man über seine Torheiten lachte, drohte mit den bösen Geistern und warf sich ein paarmal so zu Boden, als hätten ihn plötzlich Schüttelkrämpfe heimgesucht, wobei er jedoch seine Rolle so ungeschickt spielte, dass man seine Verstellung leicht erkennen konnte - wenn man nur wollte.
Bis zur Stiftung hatte Cagliostro nur manchmal in auffallend mystischem Ton über die verborgenen Kräfte der Natur in den künftigen Mitgliedern gesprochen und ihnen einige Stellen der Heiligen Schrift über dieses Thema gedeutet. Doch sobald Elisa in ihrer überquellenden Wissbegier weitergehende Fragen stellte, erwiderte er kurz angebunden, dafür sei es noch zu früh, nur Eingeweihte dürften darüber nähere Erläuterungen erhalten, und zwar ausschließlich nach ihren Graden.
Cagliostro, der seine Schüler zur strengsten Verschwiegenheit verpflichtete, setzte für sich selbst alle Hebel in Bewegung, um mit seinen sogenannten Wunderkräften Aufsehen bei der profanen Welt zu erregen. Hierin unterschied er sich von anderen angeblich hohen Geheimnisträgern, die es verstanden, gerade unter dem Anschein des Inkognitos eine Gefolgschaft um sich zu scharen, die ihnen völlig hörig war, weil selbst der dunkle Mantel des Geheimnisses, der ihren hehren Meister umhüllte, ihnen eine solch heilige Ehrfurcht einflößte, dass sie alle Schilderungen übernatürlicher Erscheinungen ohne kritische Prüfung für wahr hielten.
Mit viel Schläue wusste Cagliostro zunächst nur jene an sich zu ziehen, die am stärksten für unirdische, übersinnliche Kräfte, Wunder und Geheimlehren schwärmten. Erst nachdem diese Anhänger geradezu berauscht von ihm waren, voll Feuer und Flamme, öffnete er auch den anderen, die weniger befangen an die Wunderwelt glaubten, das Tor zu seinen Geheimnissen. Eine Ausnahme machte er nur mit Elisas Schwiegermutter und zwei weiteren Mitgliedern der Gesellschaft: Noch bevor sie Ordensschwestern wurden, durften sie an seinen mystischen Vorlesungen teilnehmen, die Stiefmutter wohnte vor ihrer Aufnahme in die Loge d´Adoption sogar einer magischen Sitzung bei: eine Abweichung von der Regel, die er damit begründete, nicht alle seien gleich, und darum sei jedes Mitglied anders zu behandeln. Dank seiner Autorität habe er dazu die Befugnis.
Seit dem Stiftungstag der Loge hatte Cagliostro täglich Gespräche über Magie und Nekromantie mit den Mitgliedern geführt. Obwohl er ihnen vorschrieb, nach seiner Abreise nur an Logentagen darüber zu sprechen, und ausschließlich im engsten Kreis der Eingeweihten, so sollte doch jeder unaufhörlich für sich allein forschen und, wie er sich gespreizt ausdrückte, „sich der ewigen Quelle alles Guten zu nähern suchen“.
Auch dieses Gebot verriet jedem, der noch klar denken konnte, dass Cagliostro mit allen Salben geschmiert war. Denn was vermochte die überspannte Einbildungskraft noch mehr zu schüren als das einsame Vorsichhinbrüten jedes einzelnen im stillen Kämmerlein über die wunderbaren Geheimnisse der Mystik.
An dem Tag, an dem der Loge der letzte Grad gegeben wurde, saßen sie zu dritt im Haus des Landmarschalls von der Medem beisammen. Sie hatten bereits eine Weile miteinander geplaudert, als Cagliostro sich in ein abgelegenes Zimmer zurückzog, um dort, wie er vorgab, ungestört ein paar Gedanken niederzuschreiben. Als er eine halbe Stunde später zurückkehrte, blickten ihm Elisa und ihr Onkel erwartungsvoll entgegen, denn aus seiner Miene schlossen sie, dass in der Abgeschiedenheit Bedeutendes geschehen sein musste.
Zufrieden stellte Cagliostro fest, dass sein Auftritt die gewünschte Wirkung zeigte. Er gab sich betont geheimnisvoll, während er sich schwerfällig auf seinem Sessel am Kamin niederließ und erst noch am linken Ärmel zupfte, als sei er ihm bei der Bewegung nach oben gerutscht. Er komme aus einer wichtigen Besprechung mit seinen Oberen, eröffnete er ihnen und warf dabei den Kopf in den Nacken, als wolle er den Erlauchten noch einmal nachschauen, wie sie gerade ins Himmelsall entschwebten. Er habe die Ehre, unter Elias zu stehen. Kophta, einer der mächtigsten Geister, sei ihm vom guten Prinzipium als Schutzgeist gegeben, auch unter ihm stehe er. Doch habe er ebenfalls schon einige Geister unter sich, die ihm dienstbar seien und bald die Schutzgeister der Anwesenden würden.
Vor Ehrfurcht wagten seine Zuhörer kaum zu atmen.
Seine Oberen hätten ihm soeben seine hiesigen Aufgaben noch näher umrissen und genauestens den Ort beschrieben, wo die wichtigsten magischen Schriften vergraben lägen, nämlich in Wilzen auf dem Landgut des Herrn Marschalls, wovon dieser jedoch nicht das Geringste wusste. Vor sechshundert Jahren habe an dieser Stelle ein großer Magier gelebt, der dort wertvolle Instrumente sowie einen reichen Schatz im Wald vergraben habe, weil seine Nachfolger zur Nekromantie neigten. Trotz wiederholter Bemühungen habe bis heute niemand die Stelle entdeckt, doch gerade jetzt bestehe die größte Gefahr, dass diese unersetzlichen Instrumente und Schätze in die falschen Hände gerieten, denn auch die Anhänger des bösen Prinzipiums suchten nun verstärkt danach - oder um es noch deutlicher zu sagen: die Nekromantisten. Einer dieser gefährlichen Totenbeschwörer halte sich schon seit einiger Zeit in Kurland auf. Zum Glück hätten seine dienstbaren Geister den Ort noch nicht ausfindig machen können, wo der große Magier, der übrigens jetzt in anderen Regionen vollkommenere Wesen beglücke, diese Sachen vergraben habe, die für das Wohl der Menschheit so überaus interessant seien.
Obwohl Cagliostro keinen Namen genannt hatte, ahnten seine Zuhörer, wer gemeint war: Doktor Stark, der als Professor der Philosophie seit gut einem Jahr in Mitau lebte, hatte verlauten lassen, auch er sei Oberhaupt einer Geheimgesellschaft gewesen, die er, wozu auch immer, mit hohen Erwartungen hingehalten habe. Da er ihm für seine eigenen Machenschaften gefährlich erschien, hatte Cagliostro ihn kurzerhand als Abgesandten des bösen Prinzipiums angeprangert und allen strengstens verboten, Doktor Stark oder einem seiner Eingeweihten auch nur die geringste Kleinigkeit über ihre Erfahrungen mit ihm mitzuteilen. Dagegen stempelte der Philosophieprofessor den hergereisten Wundermann als Vertreter der schwarzen Magie ab. Der eine warnte seine Schüler vor Beschwörungen, bei denen Räucherkerzen abgebrannt wurden, der andere vor solchen, bei denen der Magier mit dem Degen magische Zeichen setzte.
Cagliostro hatte nun also Elisa und ihrem Onkel angedeutet, auch Doktor Stark sei von seinen Oberen gesandt worden, den verborgenen magischen Schatz im Norden aufzudecken. Im öligen Ton eines Predigers bat er den großen Baumeister der Welten, seinen Fleiß zu segnen und ihn den Glücklichen sehen lassen, der diese für die Menschheit so bedeutungsvollen Schätze heben werde. Dieses Unternehmen sei eines der gefährlichsten Wagnisse der Welt, denn alle bösen Geister befänden sich in Aufruhr und setzten alles daran, ihn hinüberzuziehen zur Nekromantie, nur damit so das böse Prinzipium die Oberhand behalte. Das aber wäre verheerend, ein großes Unglück für sie alle, denn sobald die magischen Schätze in die Hände der schwarzen Magier fielen, hätte das die schlimmsten Folgen für die Welt. Erst nach Jahrhunderten könnte dann unser Erdball von den Plagen erlöst werden, die mit dieser Revolution verbunden seien. Er holte tief Luft und faltete die Hände, als er seine gläubigen Zuhörer wie ein Hohepriester beschwor, ihre Gebete mit den seinigen zu vereinen und vom ewigen Urheber des Guten Kraft und Stärke für ihn zu erflehen, den Versuchungen der bösen Geister zu widerstehen und treu im Glauben zu verharren.
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