Die Damen waren ganz Ohr. Wenn das stimmte, was Cagliostro behauptete, dann war er als Untergeordneter des Elias unsterblich, und wer rechnete es sich nicht als besondere Auszeichnung an, einem Unsterblichen lauschen zu dürfen!
Der zweite Grad, fuhr Cagliostro fort, werde nach und nach aus den zweiundsiebzig Jüngern des Elias gewählt und bestehe aus neunundvierzig Mitgliedern. Sie besäßen das Geheimnis des roten Pulvers, anders ausgedrückt, sie hätten das Mittel, alle Metalle in Gold zu verwandeln. Ferner verfügten sie über die Fähigkeit, ihren Vorgesetzten auf mehr als hundert Meilen augenblicklich das wissen zu lassen, was sie für nötig hielten. Aus diesen neunundvierzig würden dann die fünfunddreißig auserwählt, und so weit hinauf sei er schon gerückt, wie er selbstgefällig erklärte, und aus diesen wiederum die vierundzwanzig berufen. Diese beiden Grade seien die gefährlichsten, weil alle bösen Geister sich an diese Mitglieder der Magie heranmachten, um sie vom guten Prinzipium abzulenken. Wer aber zum fünften und letzten Grad gelange, der nehme in alle Ewigkeit an Vollkommenheit zu. In diesem letzten irdischen Grad gäbe es nur zwölf Mitglieder, und gerade jetzt sei der Zeitpunkt gekommen, dass einer dieser Zwölf so wie Elias in höhere Regionen aufgenommen werde, um in anderen Welten zu wirken. Aus den vier Klassen rückten dann die würdigsten Erwählten nach.
Cagliostro schwamm in seinem Element. Sollten die Damen nach einiger Zeit hören, dass er gestorben sei, und darauf wieder, dass er lebe, dann bedeute das, er habe den Versuchungen aller bösen Geister widerstanden und sei zum vierten Grad hinaufgerückt.
Obgleich sie manches nicht verstanden und noch weniger von seiner wirren Lehre behalten hatten, zeigten sich die Damen dennoch beeindruckt. Was sie alle drei bewegte, sprach Elisa von der Recke als erste aus: Wenn also jemand von einem Grad in den nächsthöheren aufsteige, dann müsse doch irgendwer nachrücken, weil sozusagen ein Stuhl frei werde, und wer dürfe sich darauf niederlassen? Auch jemand von ihnen?
Cagliostro nickte ihr wohlwollend zu. Wer von ihnen in Mitau am treuesten und rechtschaffensten, wessen Seele der Magie nur zum guten Zweck ergeben sei, der könne, ob Mann oder Frau, darauf hoffen, bei der ersten Vakanz zu den zweiundsiebzig Anhängern des Elias berufen zu werden, und gerade die verehrte Freifrau von der Recke schiene ihm gute Aussichten zu haben, zu diesem Glück bestimmt zu sein.
Von Freude überwältigt, demnächst ihre kühnsten Träume erfüllt zu sehen, sog sie die schmeichelhafte Prophezeiung begierig ein, bald mit höheren Fähigkeiten ausgestattet zu sein. Die Vernunft der gebildeten jungen Frau blieb dabei auf der Strecke.
Ob überhaupt je eine Frau die höchste Stufe der Magie erreicht habe, wollte Frau von Medem wissen. Cagliostro nickte. Die Königin von Saba, deren Geschichte im Alten Testament ganz in magische Bilder gehüllt sei, und nur zum Teil dargestellt, habe die höchste Stufe der Magie erreicht, zu der je eine weibliche Seele gelangt sei. Am Ende aber sei sie zu schwach geworden, weshalb ihre nur den wahren Magiern verständliche Geschichte in der Geschichte der Kalypso geschildert sei - was wiederum Elisas Kusine nicht begriff, denn wieso hatte Kalypso, die Nymphe in der Odyssee, etwas mit der Königin von Saba zu schaffen? Doch statt den Meister um nähere Aufklärung zu bitten, fragte sie ihn, ob es auch heilige Bücher der Magie gebe, worauf Cagliostro gleich sowohl die griechische Götterlehre als auch das Zendavesta nannte, das heilige Buch der Parsen mit den religiösen Lehren des Zarathustra, sowie die Edda und die Bibel: alles heilige Bücher der Magie.
Ob es auch noch anderes gebe, was der Magie heilig sei? fragte Frau von Medem. Als Beispiel führte Cagliostro heilige magische Figuren wie Zirkel und Dreieck an, aber auch heilige Zahlen wie drei und neun, zwei und sieben. Wer die Kraft dieser Zahlen verstehe, sei der Quelle des Guten nahe. Ferner, fuhr er in seiner verwirrenden Zahlenzauberei fort, fasse das Wort Jehova zweimal drei in sich und habe eine unermeßliche Kraft. Aber das sei noch nicht alles. Denn neben den heiligen Zahlen gebe es auch heilige Buchstaben. Wer die Buchstaben J.H.S. anblicke, nenne oder an sie denke, dürfe dies nie ohne tiefste Ehrfurcht tun, denn sie schlössen alle Weisheit und die Quelle aller Glückseligkeit in sich. Wer die wahre Würde dieser Buchstaben verstehe, sei der ewigen Quelle alles Guten nahe.
Cagliostro griff zur Kaffeetasse und trank einen Schluck: eine Unterbrechung seines Vortrags, die Freifrau von der Recke zu der Bemerkung nutzte, sie wundere sich sehr, dass auch die Bibel zu den heiligen Büchern der Magie gehöre, wie er vorhin gesagt habe. Immer wieder habe sie darin gelesen, aber nichts Magisches gefunden. Die Bibel sei Gottes Wort und die Quelle ihrer Religion.
Cagliostro stimmte ihr darin zu, bestritt aber, dass sie die ganze Bibel kenne, denn drei Kapitel daraus würden fehlen und befänden sich ausschließlich in den Händen der Magier. Wer nur eines dieser Kapitel besitze, dem ständen schon übernatürliche Kräfte zu Gebot. Doch dieser Erwerb sei nicht jedem möglich. Denn wer J.H.S., die Sonne, Zirkel und Dreieck, zwei und sieben, drei und neun sowie das Wort Jehova nicht in Ehren halte und nicht zur wahren Kenntnis dieser Buchstaben, Zahlen und Wörter gelangt sei, der werde auch nie in den Besitz dieser fehlenden Kapitel aus der Bibel kommen. Sie enthielten die höchste Weisheit, durch die unsere Welt beherrscht werde.
Je dunkler und schwerfälliger sich Cagliostro ausgedrückt hatte, desto leichtgläubiger waren seine Zuhörerinnen geworden. Unverständliches galt ihnen als Zeichen mystischer Tiefe, und wenn auch so manche Einzelheit verworren klang, so überglänzte doch die Pracht dessen, was er ihnen in Aussicht gestellt hatte, alle zweiflerischen Bedenken.
Das erste Ziel war die Errichtung der Loge d’Adoption, eine Aufgabe, der sich die Damen mit Eifer widmeten. Die beiden Brüder von Medem sowie Herr von der Howen und Major von Korff, die ohnehin von Cagliostro eingenommen waren, stimmten dem Vorhaben zu und versuchten auf Elisas Vorschlag auch Hofrat Schwander dafür zu gewinnen, einen Mann, der zeitlebens das Orakel nicht nur seiner Freunde, sondern beinahe ganz Kurlands war. Damit waren sie aber an den Falschen geraten. Schon von Anfang an hatte er vor einer Verbindung mit dem angeblichen Emissär gewarnt. Der Kerl, so primitiv er auch sein mochte, sei gefährlich für alle, die für seine Schwindeleien empfänglich seien. Ob sie nicht merkten, wie er seine Netze immer enger um sie zöge, bis er sie am Ende ganz in der Hand habe? Wenn sie schon den Narren für ihn spielen wollten, dann sollten sie wenigstens ihn aus dem Spiel lassen.
Hofrat Schwander war der Universitätsfreund der Brüder von Medem gewesen und hatte es sich angelegen sein lassen, durch seinen Umgang die Erziehung ihrer Kinder zu fördern. Besonders um Elisa zeigte er sich rührend besorgt und versuchte immer wieder, wenn auch vergebens, sie von ihrer übertriebenen Schwärmerei zu heilen, eine so gebildete junge Frau, die mit so viel Verstand gesegnet war!
Sosehr sich Elisa seinen Regeln zur Glückseligkeit, die sich auf die Reinheit der Seele und tätige uneigennützige Menschenliebe gründeten, auch anschloss, sowenig stimmte sie mit ihrem weisen Freund in den Grundsätzen der Religion überein. Denn Schwander glaubte nichts, was mit seiner Vernunft in Widerspruch stand, während sie an die immerwährende Wunderkraft des Gebets frommer Christen glaubte und sich daher wünschte, einen so verehrungswürdigen Mann allmählich zu diesem Glauben zu bekehren. Durch Cagliostro hoffte sie ihrem Ziel näherzukommen, und als dieser die Errichtung einer Loge d´Adoption anregte, schlug Elisa den Hofrat als Mitglied vor.
Gegenüber seinen vier Besuchern sparte Schwander nicht mit Warnungen vor einer Verbindung mit Cagliostro und brachte seine Freunde schließlich so weit, dass sie seinen Einwänden Gehör schenkten und von ihrem Plan abließen. Cagliostro aber bestand auf seinem Vorhaben. Die Loge müsse ein voller Erfolg werden, ein Fanal für die Freimaurerei in der ganzen Welt. Wer jetzt noch sein Gegner sei, werde bald schon sein eifrigster Anhänger sein.
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