Von Cagliostros Aufenthalt in Mitau erhofften sich alle, die mit ihm in Berührung kamen, eine vielversprechende Abwechslung. Verschlagen und durchtrieben wie er war, verstand er es mit seiner Frau, die Herren zu umgarnen und den Damen so zu schmeicheln, dass kaum jemand seine Verstellungskunst und Scheinheiligkeit durchschaute. Da ihm das Unverdorbene ihrer Sitten auffiel, vermied er möglichst jeden Anstrich von Leichtsinn, denn er befürchtete, sonst allen Einfluss zu verlieren. Deshalb gab er sich als strenger Sittenprediger, wodurch er verstärkt ihr Vertrauen gewann. Wenngleich ihm der feine Anstand der großen Welt fehlte, so war er doch sehr auf der Hut, dass ihm kein unanständiger Scherz, keine Schlüpfrigkeit über die Lippen kam, wenn er sich mit Damen unterhielt. Zwar bemerkten seine Verehrer in Mitau das Ungeschliffene in seinen Manieren, zum Beispiel, dass er oft jeden von ihnen ohne die geringste Ursache ungestüm anfuhr, doch schoben sie es auf seinen langen Aufenthalt in Ägypten und Medina zurück, von denen er ihnen berichtet hatte. Da er vorgab, jeder, der Gemeinschaft mit Geistern haben wolle, müsse alles Materielle bekämpfen, tat er auch so, als sei er im Essen und Trinken mäßig, obwohl er es eigentlich gar nicht war: ein Widerspruch, den seine Anhänger jedoch kaum wahrnahmen, da alle zu sehr von ihm eingenommen waren. Vor allem seinen weiblichen Verehrern gab er das Gefühl, bedeutender zu sein, als es ihre gesellschaftliche Stellung und das Vorurteil der Väter und Ehemänner glauben machen wollten. So schraubte er ihre Erwartungen hoch und gewann sie als glühende Anhängerinnen, die sich bald allzu leichtgläubig vor seinen Karren spannen ließen.
Bei Elisas jüngerer Schwester, der erst achtzehnjährigen Dorothea, einer der schönsten Frauen ihrer Zeit, machte er dagegen keinen Stich. Schon von Anfang an hatte sie sich so ungläubig und spöttisch gezeigt, dass Elisa empört war. Sein schauderhaftes Französisch, seine Tischmanieren und nicht zuletzt seine Frau störten sie. Mochten die Männer sich auch die Augen nach ihr ausgucken, ihr kam sie vor wie ein sehr hübsches Dienstmädchen, ein apartes Kammerkätzchen, das seine Rolle als Gräfin auf höchst bedenkliche Weise spielte.
Keine vermochte die andere zu überzeugen, jede blieb bei ihrer Meinung, ja, Elisa ließ sich in der Folge noch weiter von dem großen Magier blenden.
Eines Tages hielt Cagliostro die Zeit für gekommen, in kleinem Kreis seinen Zuhörerinnen zu offenbaren, seine Oberen hätten ihn unter anderem auch mit einem Auftrag nach Mitau gesandt, der sie allein betreffe. Es waren nur drei Damen, die sich zu einem Gespräch mit ihm im Haus des Marschalls von Medem zusammengefunden hatten: Elisa von der Recke sowie ihre Tante und Kusine. Sie hatten es sich im Salon bei einem Tässhen Kaffee gemütlich gemacht und schon eine Weile miteinander geplaudert, als Cagliostro sie mit seiner Ankündigung überraschte, er habe von seinen Oberen die Vollmacht, als Grand Maître eine Loge d´Adoption zu gründen, das heißt eine Freimaurerloge für Damen, ganz so wie neulich in Den Haag, zusammen mit seiner Frau als Vorsitzende.
Serafina, die er zu dieser Runde mitgebracht hatte, gab sich besonders aufgeräumt. Wie bewegt die Damen bei der Einweihungsfeier gewesen seien, schwärmte sie und plapperte drauflos, dass die Zuhörerinnen glänzende Augen bekamen.
Eine solche Damenloge wollte jetzt auch der hohe Emissär bei ihnen stiften, aus Freundschaft zu ihnen, wie er beteuerte, denn er glaube, sie könnten würdige Mitglieder der geheimen Gesellschaft werden, die sie alle zu höherer Glückseligkeit führe, sofern sie mit reinem Herzen nach Wahrheit strebten und voll Liebe zum Allgemeinwohl ihre Kenntnisse zu erweitern suchten.
Die Idee gefiel ihnen. Wie verlockend wäre es, unter seiner Leitung Stifterinnen dieser Gesellschaft in Kurland zu werden. Jedoch sollte nicht jede Frau Mitglied werden können, sondern nur die Freimaurerinnen, die sie vorschlügen.
Dagegen hatte Cagliostro nichts einzuwenden. Ihm genügte es, mit der geplanten Loge d´Adoption die adligen Damen näher an sich zu binden und so leichter beeinflussen zu können. Ausgelöst hatte das Ganze nicht der Auftrag seiner Oberen, wie er ihnen weismachte, sondern seine Frau, die gleich in den ersten Tagen ihres Aufenthalts in Mitau eine Ordensschürze und ein Paar gestempelte Handschuhe in irgendeinem Winkel des Hauses entdeckt und den Damen entlockt hatte, was für eine Bewandtnis es damit auf sich habe. Unter der Führung eines Edelmanns waren sie einmal Mitglieder des von ihm selbst erfundenen Ordens Zu den sieben Sternen gewesen, von dem sich vor allem Elisa von der Recke erhofft hatte, wichtige Geheimnisse zu erfahren, die noch in der Zukunft lagen. Als sie und einige andere Freundinnen jedoch ihre Erwartungen getäuscht sahen, hatten sie dem Siebengestirn missvergnügt den Rücken gekehrt. All das hatte Serafina ihrem Mann umgehend berichtet, der nichts Eiligeres zu tun hatte, als sich selbst mit der Vollmacht seiner Oberen auszustatten und eine Freimaurerloge für Damen ins Leben zu rufen.
Die Aussicht auf die Stiftung beflügelte die Stimmung der Gastgeberinnen, die Cagliostro dazu drängten, sie tiefer in die heiligsten Geheimnisse der Zunft einzuweihen, vor allem in seinen ägyptischen Ritus, über den er bereits in der Herrenrunde gesprochen hatte, sowie sie in seine magische Philosophie einzuführen.
Dazu ließ sich Cagliostro nicht zweimal bitten und begann in seinem oft schwerverständlichen Kauderwelsch über seine sogenannte magische Philosophie zu schwadronieren: Die Freimaurerei sei die Schule, in der alle erzogen würden, die zur heiligen Mystik bestimmt seien. Dennoch ahnten die unteren Klassen der Freimaurer nichts davon, ihre Aufmerksamkeit werde nämlich in verschiedene Richtungen gelenkt, damit ihre Geheimen Oberen sie besser beobachten und die Würdigsten unter ihnen für höhere Zwecke verwenden könnten. Der engere Ausschuss dieser Mitglieder werde von den drei Vorstehern unseres Erdballs gewählt. Diese Untergeordneten von Moses, Elias und Christus seien die Geheimen Oberen der Freimaurer. Moses, Elias und Christus seien nicht nur die drei Hauptvorsteher unseres Erdballs, sondern auch die vollkommensten Freimaurer, die noch bis vor kurzem hier gelebt hätten. Obwohl sie sich nach Vollendung ihrer ruhmreichen Ziele vom Irdischen in höhere Sphären hinaufgeschwungen hätten und dort ihre Kraft und Weisheit aufböten, um Geschöpfe höherer Art zu beglücken, und obgleich sie nun schon selbst das unermeßliche Heer der Schöpfungen durch neue Welten vermehrten, die sie zum Preis des Urhebers aller Dinge hervorbrächten, so dauerten ihr Einfluss auf diesem Erdball und ihre Vorsorge für uns dennoch immer fort, und jeder von ihnen habe hier eine eigene unsichtbare Gemeinde, die aber insgesamt auf einem Hauptpunkt zusammenträfen und durch verschiedene Kanäle dem bösen Prinzipium entgegenarbeiteten.
Auf Elisas Frage, wo er denn in dieser Hierarchie stehe, sah Cagliostro die Damen mit selbstgefälliger Miene an und antwortete dann mit himmelwärts gerichtetem Blick, er sei einer der Untergeordneten des Elias und schon zur dritten Klasse aufgestiegen. Die Schüler des Elias stürben nie, wenn sie nicht der schwarzen Magie verfielen; vielmehr führen sie, sobald ihre irdische Laufbahn makellos vollendet sei, gleich ihrem erhabenen Lehrer lebendig in den Himmel auf. Doch würden sie, ehe sie zur Zahl Zwölf kämen, einige Male durch einen Scheintod geläutert, lebten aber sozusagen aus ihrer eigenen Asche immer wieder auf. Deshalb sei der Phönix das allegorische Bild dieser wohltätigen Magier.Aus der Pflanzschule der Freimaurer werde die erste geheime Klasse der Anhänger des Elias gewählt, insgesamt zweiundsiebzig. Diese Jünger besäßen eine Arznei, die verjüngt und alle Kräfte der Natur im Gleichgewicht halte, so dass diese oft alt würden wie Methusalem. Doch dürften sie ohne Erlaubnis ihrer Oberen niemandem etwas über diese Arznei mitteilen.
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