1 ...8 9 10 12 13 14 ...40 Seit Cagliostro in London mit der ägyptischen, die „wahre“ Freimaurerei gestiftet hatte, errang er als Hüter solcher Logen und Verwalter der tiefsten und ältesten Geheimnisse in diesen Kreisen überall eine hervorragende Stellung. Der sizilianische Gauner und Zuhälter hatte seinen wahren Beruf entdeckt.
Eine glänzende Zukunft in England schien ihm bevorzustehen, als ihm Miss Fry und ihr Liebhaber Mister Scott einen dicken Strich durch die Rechnung machten. Die Untersuchung der von ihnen vorgebrachten Anklagepunkte - Brillantenhalsband, Goldschatulle, Magie, ein nicht zurückgezahltes Darlehen und Gelddiebstahl - hatten zur Verhaftung von Cagliostro und seiner Frau geführt, doch waren sie bereits am nächsten Tag gegen eine Kaution wieder auf freien Fuß gesetzt worden. In den folgenden Wochen kam es unentwegt zu Verhören und Haussuchungen und Anfang Juli schließlich zur gerichtlichen Vorladung der streitenden Parteien. Cagliostro, kaum des Englischen mächtig, konnte weder einen Zeugen stellen noch seine Unschuld beweisen. Durch Gerichtsbeschluss musste er das Diamantenhalsband und die Goldschatulle, die ihm angeblich Miss Fry geschenkt hatte, wieder herausrücken. Von der Zauberei, dem Diebstahl von zweihundert und der Schuld von weiteren hundertneunzig Pfund Sterling dagegen wurde er mangels Beweises freigesprochen, zumal er und Lorenza mit einem Meineid beschworen, niemals Geld von den Klägern erhalten zu haben. Die Gerichtskosten hatte er jedoch allein zu tragen.
Kaum wieder auf freiem Fuß, machte ein Bekannter, der die Bürgschaft für ihn übernommen hatte, einen Rückzieher. Cagliostro wurde unter Aufsicht gestellt, bis sich ein anderer Bürge für ihn fand, und musste einen weiteren Monat hinter Gittern.
Noch bevor im November das Urteil öffentlich verkündet wurde, hatte er schon den Entschluss gefasst, England zu verlassen, um etwaigen weiteren Scherereien und Verfolgungen aus dem Wege zu gehen. Seinen Bekannten, vor allem seinen Logenbrüdern gegenüber, denen er sich als unschuldig Verfolgter ausgab, erklärte er, ein Land, in dem Gerechtigkeit, Dankbarkeit und Gastfreundschaft derart mit Füßen getreten werden, nie mehr betreten zu wollen.
Im Dezember 1777 fuhr „Graf“ Cagliostro von London zum europäischen Festland hinüber, wo er ein Jahr lang von Bruderschaft zu Bruderschaft reiste und, immer in Gesellschaft seiner hübschen „Gräfin“ Serafina, in Herbergen abstieg, die ihm Freimaurer empfohlen hatten und von Logenbrüdern geführt wurden. Zunächst besuchte er Den Haag, wo er von den holländischen Freimaurern zu einer Logensitzung nach den Gebräuchen der strengen Observanz eingeladen und als Mitglied der Großloge von England mit besonderen Ehren empfangen wurde. Sie nahmen ihn unter der sogenannten Strahlstraße auf: Zwei Reihen von Brüdern, die kreuzweise ihre Degen in die Höhe hielten, bildeten eine Gasse, die er durchschritt.
Als Visitator mit unbeschränkter Vollmacht führte er den Vorsitz. In seiner Begrüßungsrede, die an die drei Stunden dauerte und von salbungsvollen Wendungen nur so troff, ließ er immer wieder durchblicken, unter der Gnade Gottes zu stehen, der ihn in seinem Wirken für die Freimaurerei erleuchte, mit dem Ziel, das Dasein Gottes und die Unsterblichkeit der Seele zu lehren und das abergläubische und magische System anderer Logen auszurotten. Die Vorstellung seiner ägyptischen Freimaurerei, die er dabei in den höchsten Tönen lobte, hinterließ bei den Zuhörern einen starken Eindruck, nicht zuletzt deswegen, weil sein Kauderwelsch sie mehr verwirrte als erhellte und sie daher leicht das hineindeuten konnten, was ihnen ohnehin erhaben und in ihrem Sinn vortrefflich schien. Einige strengten sich sogar an, einzelne Kernsätze des Ehrwürdigen schriftlich festzuhalten und als Glaubenspfand aufzubewahren. Seine Anregung, auch Frauen in den Orden aufzunehmen, fand bei den Brüdern so breite Zustimmung, dass er auf ihren Wunsch hin in Den Haag eine Loge für Damen von Rang stiftete und seine Gattin Serafina zur Großmeisterin ernannte.
Da Cagliostro auch bei diesem Aufenthalt seine kabbalistische Wissenschaft herausstrich, lockte er einen Holländer an, einen versessenen Lottospieler, der daran glaubte, dass der fremde Wundermann aus den Sternen die Treffer berechnen könne. Gegen entsprechendes Honorar nannte ihm Cagliostro die Gewinnzahlen bei der nächsten Ziehung. Um fünfhundert Taler leichter, aber dennoch hochbeglückt, reiste der Geprellte nach Brüssel, um dort bei der Lotterie auf den Hauptgewinn zu setzen, während Cagliostro, um fünfhundert Taler reicher und darum nicht weniger zufrieden, in aller Eile das Weite suchte.
Die Sehnsucht nach Italien führte ihn nach Venedig, wo er Verbindungen zu einigen freimaurerischen Gesinnungsgenossen knüpfte. Als Marchese Pellegrini brüstete er sich mit seinen Kenntnissen in der Alchimie, vor allem mit den Geheimnissen, wie man Hanf in Seide verwandeln, Quecksilber fixieren und vor allem Gold machen könne. Diese hohe Kunst vom Herrn Marquis zu erlernen, war einem venezianischen Kaufmann schon gut und gern tausend Zechinen wert. Da aber der Hanf Hanf blieb und das Quecksilber flüssig, erst recht kein Körnchen Gold aus dem Tiegel kam, hielt es der Marchese Pellegrini für ratsam, der schönen Lagunenstadt schleunigst Lebewohl zu sagen und sich nach Norden zu wenden, in ein neues Land, das er bisher noch nicht heimgesucht hatte.
Sein eigentliches Ziel war Russland, aber um dorthin zu gelangen, musste er erst Deutschland durchqueren. Auf der Durchreise traf er in einem Nürnberger Gasthof einen Edelmann. Durch Zeichen, die sie miteinander wechselten, gaben sie sich als Freimaurer zu erkennen. Cagliostro, der nun wieder unter diesem Namen auftrat, spielte seine Rolle so geschickt, dass der Fremde bald aus den Gesprächen schloss, es nicht nur mit einem tief in die Geheimnisse der Logen eingeweihten Bruder zu tun zu haben, sondern vielleicht gar mit einem Großmeister des Ordens, der auf der Reise unerkannt bleiben wolle. In dieser Meinung wurde er noch bestärkt, als ihm Cagliostro auf die Bitte hin, seinen Namen niederzuschreiben, sein geheimes Schlangenemblem aufzeichnete: eine wie ein S aufgerichtete Schlange, die einen Apfel verschlang, während sie von einem I-förmigen Pfeil durchbohrt wurde und Blut aus der Wunde floss.
Was der Kavalier geahnt hatte, fand er, wie er glaubte, jetzt bestätigt: Vor ihm stand einer der Oberen der Strikten Observanz, die das große Geheimnis der göttlichen Kabbala besaßen und deren Namen deswegen geheimgehalten wurden, damit ihnen nicht dasselbe Schicksal drohe wie einst dem Großmeister der Tempelherren. Cagliostro ließ ihn bei diesem Irrtum und nahm, so selbstverständlich als stehe es ihm zu, den kostbaren Brillantring an, den ihm der andere als Zeichen der Verehrung schenkte.
Auf seiner Weiterreise traf er in Leipzig ein, der Stadt, die drei Jahre zuvor durch Johann Georg Schrepfers gewaltsames Ende eine traurige Berühmtheit erlangt hatte. Obwohl selbst Freimaurer, allerdings der Rosenkreuzerischen Richtung nahestehend, war er in offenen Gegensatz zum Leipziger Maurertum getreten und hatte sehr geschickt unter den Gästen seines gutgehenden Kaffeehauses Anhänger geworben, die sich an regelmäßigen Abenden zu magischen Übungen bei ihm einfanden. Schon vor Cagliostro hatte dieser grobe Betrüger behauptet, über das wahre Geheimnis des Freimaurertums zu verfügen. Es galt nämlich als ausgemacht, dass es eine alte, mysteriöse Weisheit gebe, deren Besitz die Herrschaft über die Geister gewähre und die Gemeinschaft mit Gott ermögliche. Wer diese Weisheit besaß, sollte magische Fähigkeiten erlangen und damit auch Gold machen können. Die altägyptischen Priester, so glaubte man, hätten jenes Geheimnis Christus anvertraut, und später sei es über die Tempelherren auf die Freimaurer übergegangen, wo es jedoch nur den wenigen Brüdern höherer Grade geoffenbart würde.
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