»Es war nicht unserem Spürsinn zu verdanken oder dem Zufall oder unserem Glück, dass wir ihn gefunden haben. Wir hatten Hilfe.«
Max schwieg eine Weile und dann, als hätte er Mut sammeln müssen, fragte er: »Wie weit bist du bereit zu gehen, um den Täter zu fassen?«
Ziemlich weit, würde sie gehen, aber alles hatte Grenzen. Sie musste auch an sich denken, an ihre Zukunft, so realistisch war sie.
»Wärst du bereit unkonventionelle Wege einzuschlagen?«
Max Frage erstaunte sie, was hatte er getan, um an sein Ziel zu gelangen?
»Keine Sorge, du musst deine Seele nicht an den Teufel verkaufen. Vielmehr könntest du Probleme mit deinen Vorgesetzten und Kollegen bekommen, wenn du meinem Rat folgst.«
Dana hatte sich schwergetan, Max Empfehlung zu folgen. Ausschlaggebend es zu tun, war das Zusammentreffen mit den Eltern und dem Bruder von Ina gewesen.
Herr Drews hatte weinend dagesessen, der Bruder im Teenageralter war blass und teilnahmslos gewesen, Frau Drews hatte gefasster gewirkt.
Sie wusste, dass in solchen Situationen oft die Frauen, die Stärkeren waren. Die waren, die sich zusammenrissen, bemüht, zu helfen, Auskunft zu geben. Sie litten nicht weniger, im Gegenteil, wahrscheinlich sogar viel mehr, weil sie versuchten, alles zusammenzuhalten und innerlich zerbrachen.
Dass sie nichts von Ina gehört hatten, sei keine Überraschung gewesen. Ihre Tochter habe angekündigt, dass es die ersten Tage schwer sein würde, sich zu Hause zu melden. Mit einem Anruf habe man erst gerechnet, wenn sie in Jaipur angekommen war. Ganz wohl sei ihnen nicht gewesen, da sie geplant habe, Orte zu bereisen, die für Touristen nicht ungefährlich waren.
Dass die Gefahr für sie viel näher gelegen hatte, als befürchtet, war ein sehr böser Schlag des Schicksals gewesen.
Bei der Verabschiedung war es der Bruder, der Dana die Hand gereicht, sie traurig angeblickt und gefragt hatte, ob sie ihm versprechen könne, den Täter zu fassen.
Er war es gewesen, der sie bewogen hatte, Christian Layes Adresse in Erfahrung zu bringen und sich nun auf eine zweistündige Autofahrt zu ihm zu begeben.
Als Max ihr von dem Mann erzählt hatte, war sie erleichtert gewesen. Bei seinen Worten hatte sie tatsächlich eher an besagten Seelenverkauf gedacht, als daran, dass er und seine Kollegen ihre Ermittlungen auf die Offenbarungen eines Hellsehers gestützt hatten. Trotzdem war ihr der Gedanke, so jemanden zu Hilfe zu holen, absurd erschienen. Wie verzweifelt mussten sie gewesen sein, sich an einen - sie bemühte sich, das Wort Scharlatan nicht zu denken - zu halten?
Es war nicht so, dass Dana nicht daran glaubte, dass es mehr zwischen Himmel und Erde gab, als man meinte. Sie war tief im Inneren sogar gläubig, war von ihrer serbischen Mutter und Familie geprägt, aber viele dieser selbsternannten Spirituellen waren in ihren Augen einfach doch Scharlatane .
Natürlich hatte Dana Max gefragt, ob sie die Behauptungen dieses Mannes nicht für Täterwissen gehalten hatten.
Hatten sie, anfangs. Jedoch war Laye ein recht labiler Geist, der aufgrund von Klinikaufenthalten wasserdichte Alibis für zumindest einen Teil der vermeintlichen Tatzeiträume gehabt hatte. Das war auch ein Grund, weshalb Max keine Ahnung über seinen Aufenthaltsort hatte und Dana über das Melderegister hatte gehen müssen.
Als sie in die kleine Straße einbog, die zum Haus führte, hoffte sie, dass er zurzeit alle Sinne beieinander haben würde und da war.
Seine Vermieterin öffnete. Eine alte, kleine, runzlige Frau, mit wachen Augen.
»Ja bitte?!«, brüllte sie.
»Guten Tag, mein Name ist Dana -«
»- Sie müssen schon lauter sprechen, mein Gehör macht nicht mehr mit.«
Dana räusperte sich. »Mein Name ist Dana Jagmin, ich möchte zu Herrn Laye, ist er da?«, fragte sie nun wesentlich lauter.
»Oh sie sind eine Freundin? Das ist aber schön, dass der Junge endlich mal eine nette Frau gefunden hat. Er hat mir gar nichts erzählt. Kommen Sie rein, kommen Sie rein!« Sie wedelte mit den Händen. »Er ist oben in seiner Wohnung. Die Treppe rauf und die Tür links. Gehen Sie nur, meine alten Beine wollen nicht mehr so.«
Dana nickte zum Dank und stieg die Stufen hinauf.
Sie klopfte an und wartete. Ihren Dienstgrad zu nennen, hatte sie absichtlich vermieden, immerhin war sie nicht offiziell hier und sie hatte niemanden von ihrem Vorhaben in Kenntnis gesetzt.
Bevor sie nur einen Gedanken daran verschwendete, wie sie es ihren Vorgesetzten beibringen würde, jemanden wie ihn zurate zu ziehen, wollte sie sich den Kerl anschauen.
Die Tür wurde geöffnet und Dana blieben die vorbereiteten Worte im Hals stecken.
Auf einen Mann, etwas jünger als sie, war sie vorbereitet gewesen, sie kannte sein Geburtsjahr.
Auf einen Mann in einem seidenen Gewand, vielleicht mit Turban auf dem Kopf, Ketten um den Hals, verschroben und nach Räucherstäbchen riechend auch. Einem sonderbaren Typen, der zu schweben schien, sie vielleicht durch eine Brille mit dicken Gläsern anschaute, ebenfalls. Aber nicht auf einen, der sie um einen Kopf überragte, in Jeans und T-Shirt gekleidet, ganz normal, sogar sehr attraktiv war.
Ja, sie neigte immer wieder zu Vorurteilen, selbst, wenn sie es hätte besser wissen müssen.
Sie fing sich sofort wieder.
»Herr Laye?«
Er schien ihre Verwirrung nicht bemerkt zu haben, schaute eher ängstlich als irritiert und nickte.
»Mein Name ist Dana Jagmin -«
»- Ich weiß, wer Sie sind«, sagte er leise. »Bitte, wollen Sie reinkommen?«
Er trat beiseite und ließ sie vorbei.
Während er hastig Papiere, Bücher, Zeitungen vom Sofa räumte, einfach auf den Boden stapelte, schaute sie sich unauffällig um: besagtes Sofa, Glastisch, ebenso zugepackt, Kommode mit Fernseher, Regale mit Büchern, Schreibtisch mit Computer, Tastatur, zwei Monitoren, Laptop, diversen Utensilien.
Keine Duftlampen, keine purpurnen Vorhänge, keine Kerzen, keine Kristallkugel.
»Suchen Sie etwas Bestimmtes?«, fragt er.
Dana zuckte zusammen. »Nein, entschuldigen Sie, Macht der Gewohnheit, vielleicht sogar berufsgeschädigt«, erklärte sie.
»Nehmen Sie Platz. Ein Glas Wasser?«
»Gerne.«
Er verschwand, ohne ihr Lächeln zu erwidern.
Ihr Blick suchte die Sachen am Boden ab: Notizen, Zeichnungen, Fachbücher. Im Regal: Satre, Hesse, Goethe, Brecht, Grass, Fontane, Shakespeare, Hoffmann, Literatur, mit der sie nur wenig anfangen konnte.
»Die Kristallkugel ist mir gestern runtergefallen«, sagte er.
Sie schaute auf. Er stand noch in der Tür zur Küche, zwei Gläser in der Hand und sah sie ernst an. Woher wusste er?
Laye stellte die Gläser ab und zog sich den Schreibtischstuhl heran.
»Sie haben mich nicht gefragt, was ich von Ihnen will«, begann Dana das Gespräch.
»Ich gehe davon aus, dass Sie mir das jetzt sagen werden.«
»Max Grothe.«
Bei der Nennung des Namens wich jegliche Farbe aus seinem Gesicht.
»Er hat mit mir über Sie und Ihre Rolle in einem seiner Fälle gesprochen.«
Er rutschte nervös auf dem Stuhl nach vorne.
»Ich arbeite an einem ähnlichen Fall und wir stehen vor ähnlichen Problemen. Er riet mir, mich an Sie zu wenden.«
»Damit ich was tue?«, fragte er und seine leise Stimme war nur noch ein Flüstern.
»Nun, Max deutete an, dass Sie ein Hellseher sind. Ich muss gestehen, dass ich keinerlei Erfahrung mit so etwas habe, nicht einmal weiß, was ich davon halten soll. Ich weiß nicht, ob es der richtige Weg ist oder wie ich Ihnen gegenübertreten soll, aber ich bin verzweifelt.«
»Ich bin kein Hellseher !«
»Entschuldigen Sie, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.«
Christian Laye stand auf und ging zum Fenster. Er stützte sich auf das Fensterbrett und schaute hinaus.
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