Eine schreckliche Entdeckung
Kommissar Kadok greift ein
Der letzte Brief
Der Austausch
Enttäuschungen und Widersprüche
Das wackelnde Haus
Unter Verdacht
Die Polizei hüllt sich in Schweigen
Das Autowrack im Baggerloch
Ein heißer Tipp
Der Sache mit der Schreibmaschine
Die Schlinge zieht sich zu
Die Hausdurchsuchung
In der Mangel
Wichtige Funde
Rücken an Rücken
Ein hart gesottener Bursche
Das Vorbild
Eine Frage bleibt noch offen
Eine dramatische Überraschung
Vom Golfplatz verschwunden
Helmut Höfling
published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
Copyright: © 2015 Name des Autors
ISBN 978-3-7375-1856-7
Eine schreckliche Entdeckung
Reich müsste man sein – so reich wie die Brinkmanns oder wie sonst jemand von den Leuten, die es sich leisten konnten, Mitglied des Golfklubs zu sein.
Katja Ellscheid lächelte vor sich hin, als sie sich bei diesem Wunschtraum ertappte.
Aber war es wirklich so vermessen, dass sie sich wünschte, es auch einmal besser zu haben? Nicht, dass es ihr schlecht ging – nein, im Gegenteil! Sie hatte eine gute Stellung, seit zwei Jahren war sie Kindermädchen bei Brinkmanns. Die beiden Söhne – der siebenjährige Klaus und der vierjährige Erich – waren Kinder, die man lieb haben musste. Keine Musterknaben, die konnte Katja Ellscheid sowieso nicht ausstehen, vielmehr Jungen, die auch einmal einen Streich ausheckten und manchmal mit dem Kopf durch die Wand wollten, um ihren Willen durchzusetzen. Solche Jungen zu beaufsichtigen und mitzuerziehen war eine Aufgabe, die Katja Ellscheid schon Spaß machte.
Vergnügt schaute sie zu, wie Erich mit der kleinen Carola im Sandkasten spielte. Sie waren immer zusammen, wenn sie sich hier draußen auf dem Kinderspielplatz des Golfklubs trafen.
Wo aber trieb sich Klaus herum?
Von der Baumgruppe rechts klang fröhliches Kinderlachen herüber. Ein paar Jungen und Mädchen tollten dort ausgelassen umher, aber Klaus war nicht darunter.
Leicht beunruhigt schaute das Kindermädchen in die andere Richtung, wo die Rutschbahn stand. Und richtig! – gerade in diesem Augenblick kam Klaus auf dem Hosenboden hinuntergerutscht und landete mit lautem Hallo im Sand.
„So gut müssten es meine Kinder auch mal haben!“, dachte sie und wusste zugleich, dass dieser Wunsch nie in Erfüllung gehen würde. Die Brinkmanns gehörten zu den reichsten Familien hier in Köln. In aller Welt waren die Erzeugnisse ihrer Firma bekannt: Landmaschinen, Traktoren und neuerdings Motoren für Panzer. Der Brinkmann-Konzern befand sich seit Generationen in Familienbesitz, und die Eigentümer gingen mit Millionen um wie andere mit Tausenden oder Hunderten.
Materiell fehlte ihnen also nichts, sie konnten sich leisten, was sie wollten: eine Villa wie ein Schloss mit einem weiten Park, drei Wagen mit Fahrer, die verlockendsten Reisen – kurz: alles!
Dennoch gab es Spannungen auch im Hause der Brinkmanns, seelische Unzufriedenheit, Auseinandersetzungen zwischen den Eheleuten und mit dem Familienclan, vor allem mit dem alten Brinkmann, dem Großvater von Klaus und Erich, der immer noch als Firmenchef das Sagen hatte.
In dieser Beziehung fühlte sich Katja Ellscheid glücklicher. Seit über einem Jahr hatte sie einen festen Freund. Sechs Wochen lang hatten sie sich zwar nicht mehr gesehen, denn Erwin besuchte zurzeit in Hamburg einen Lehrgang über Datenverarbeitung. Aber nächsten Monat, im November, würde er zurückkommen und eine gut bezahlte Stellung in Köln antreten – und dann wollten sie auch heiraten, das hatte er ihr heute geschrieben. Dann brauchte sie nicht mehr Kindermädchen bei fremden Leuten zu spielen. Sie würde selbst Kinder haben und nur noch für ihre Familie da sein.
Sie nahm den Brief aus ihrer Umhängetasche, die sie neben sich auf die Bank gelegt hatte, kuschelte sich behaglich auf ihrem Sitz wie eine Katze am Ofen und las erneut, was sie fast schon auswendig wusste.
Katja Ellscheid wurde aus ihren Gedanken aufgescheucht, als neben ihr jemand sagte:
„So, da bin ich wieder.“
Sie blickte auf und erkannte Gisela Mertens, das Kindermädchen der kleinen Carola. Schon vorhin hatten sie beide zusammen auf der Bank gesessen und geplaudert. Dann war Gisela Mertens ins Klubhaus gegangen, um eine Tasse Kaffee zu trinken. Sie hatte Katja gebeten, so lange auf Carola aufzupassen.
„Ah, Sie sind’s“, stellte Katja überrascht fest. „Sie sind schnell wieder zurück.“
„Eine Viertelstunde. War sie artig?“
„Wer?“
Gisela Mertens lachte. „Na ja, Sie träumen mal wieder, ich weiß Bescheid.“ Und mit einem Blick auf den Brief in Katjas Hand fuhr sie dort: „Er ist auch wirklich ein netter Kerl, ihr Freund.“
„Ja, das ist er“, antwortete Katja ein wenig verlegen und steckte den Brief zurück in die Tasche.
Inzwischen hatte sich Gisela Mertens schon selbst überzeugt, dass Carola noch immer im Sandkasten hockte und mit Förmchen „Sandkuchen backte“.
„Carola scheint wirklich brav gewesen zu sein“, meinte das Kindermädchen zufrieden. „Sie sitzt immer noch in derselben Ecke wie vorhin. Mit der Kleinen habe ich überhaupt wenig Ärger.“
Unwillkürlich schaute Katja in die gleiche Richtung wie ihre Bekannte. Ja, das kleine Mädchen spielte immer noch im Sand – aber wo war der Junge? Wo war Erich?
„Ist was?“, fragte Gisela Mertens, als sie den besorgten Ausdruck in Katjas Gesicht bemerkte.
„Ja, Erich ist weg.“
„Ach, der treibt sich schon irgendwo rum. Sie wissen doch, wie Kinder sind. Kaum lässt man sie mal aus den Augen, da sind sie schon verschwunden.“
„Er hat die ganze Zeit mit Carola in der Sandkiste gespielt, und jetzt…“
Beunruhigt war Katja aufgesprungen und schaute in alle Richtungen. Die ganze Zeit über hatte sie aufgepasst, und nur durch den Brief war ihre Aufmerksamkeit abgelenkt worden.
„Vielleicht muss der Kleine gerade mal“, meinte Gisela Mertens mit einem tröstenden Lächeln. „Fragen wir doch mal Carola.“
Die beiden Kindermädchen gingen zum Sandkasten hinüber, Katja mit großen, hastenden Schritten, so dass ihre Kollegin Mühe hatte zu folgen.
„Sag mal, Carola, wo ist eigentlich dein Freund Erich?“, fragte Katja, als sie vor dem Mädchen stand.
„Da!“, antwortete die Kleine und deutete auf den Zaun, der nach Westen hin den Golfplatz abgrenzte.
Aber dort war niemand zu sehen, was Katjas Unruhe noch steigerte. Gisela Mertens dagegen redete gelassen auf die Kollegin ein:
„Wie ich schon gesagt habe: Der Junge musste mal austreten.“
„Erich ist nicht Pipi machen“, quäkte das Mädchen.
„Nicht?“, stieß Katja erregt hervor. „Was dann?“
„Weggegangen.“
„Weggegangen – wohin?“
„Weiß ich nicht. Da!“ Das Mädchen streckte wiederum seine Hand zum Zaun hin.
„Dann kann er nicht weit sein“, meinte Gisela Mertens. „Durch den Maschendraht kann er nicht kriechen und auch nicht über den hohen Zaun klettern. Bestimmt hat er sich in den Büschen davor versteckt.“
Ein Hoffnungsschimmer! Katja trat ein paar Schritte auf die Büsche zu und rief:
„Erich…! Erich…! Komm sofort hierher! Hörst du jetzt, Erich…?“
Keine Antwort! Der Junge ließ sich auch nicht blicken.
„Erich kann dich nicht hören“, meinte das Mädchen im Sandkasten. „Erich ist weggegangen. Ein Mann hat Erich geholt. Dann sind beide weggegangen. Da!“ Wieder zeigte sie zum Zaun.
„Ein Mann? Was für ein Mann?“ Katja schrie das Mädchen aufgeregt an, dass die Kleine eingeschüchtert zusammenzuckte.
„Weiß ich nicht“, druckste sie. „Ich sag dir gar nichts mehr.“
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