Ich spürte Nina neben mir, ihre Brüste durch dünne Baumwolle und mein Perlonhemd, und schnuppernd ihre Nase in meiner Schüssel. Gurren. Paella. Ich steckte eine der Schlangen mit etwas Reis auf die Gabel und schob sie in ihren Mund. Ihre Brüste lösten sich von meinem Hemd, von meiner Lende, ich saß auf dem Hocker und sie stand neben mir, sie kaute und schluckte und lachte dann breit, schob mit der Zunge ein Reiskorn von den Zähnen. Muy rico este pulpo. Was hast du gesagt? Der Pulpo schmeckt ausgezeichnet. Wir müssen die Paella mal allein essen, gemeinsam alleine, ohne die anderen Leute. Ja. Gerne. Ja. Noch einmal Brüste an meinem Körper, von hinten, im Rücken. So etwas spürt man sofort. Die ältere Dame, der eine Träger immer noch lose von einer Spitze Stoff herunterhängend, der eigentlich heben und bedecken sollte. Meine Enkelin heiratet nächsten Sonntag. Ich wandte mich ihr fragend zu. Fältchengesicht, Fältchenhals, Fältchenbrüste und Schweißperlen dazwischen und an den Ohren, eine Oma war sie, aber alles an ihr umwerfend anziehend, wohl nur bei elektrischem Licht. Meine Enkelin ist genau so dumm wie meine Tochter und genau so dumm wie ich es war. Mit zwanzig zu heiraten. Und solch einen Macher, der außer von Bilanzen sonst nichts von der Welt versteht. Ich habe ihr das auszureden versucht, wie ich es bei meiner Tochter versucht habe, hatte auch nichts genützt, als es meine Mutter bei mir versuchte. Glanzvolle Hochzeiten, prächtige Roben, luxuriöse Hochzeitsreisen, man denkt, ein herrliches Leben vor sich zu haben und wacht erst allmählich auf, wenn man von Venedig oder Portofino zurück ist und merkt, dass in einer Villa auf dem Klo auch nur geschissen wird. Was wollte die Oma? Ihr spielt am Sonntag auf der Hochzeit. Horst wird euch alles genau erklären. Ich bezahle euch zweitausend Mark für den Abend und für die Nacht. Wenn das Kind schon in ihr wohlhabendes Unglück rennt, dann wenigstens mit Musik, die in mir noch Träume wecken kann. Some of these days… Auch meine Enkelin hat alle Regeln unseres Klans befolgt, ordentlich sittsam gelebt, sich mit keinem anderen eingelassen, will wie ich, bei dem ersten bleiben, so dumm wäre bei Bauern und Bürgern nicht mal die frömmste Katholikin, da passt es gut, das unschuldige Weiß ihres prunkvollen Kleides in der Heiligen Messe, obwohl wir nicht richtig katholisch sind, auch nicht richtig protestantisch, nur geldlich, immer satt, eben, von allem satt…
Zweitausend Mark für den Abend und für die Nacht. Die Oma war auf einmal hinter der Theke und diskutierte mit Horst Krohn. „Das sind dreihundertdreißig Mark für dich“, sagte Nina mir ins Ohr. Ich zog sie fest an mich heran. Einen Pulpo für den Musiker und einen für ein wunderschönes Mädchen. Lachen. Gurren. Gurren. Wir spielten danach Stardust. After You’ve Gone, flotte Swingnummern, auch schwermütigen Blues und ein Stück, das ich besonders gerne mochte, aus der Oper Porgy And Bess von George Gershwin, Summertime, und sonnte mich im Applaus. Zum Schluss gab es, das würde wohl immer so sein, When The Saints Go Marchin’ in, bei tobendem Publikum.
Nach dem Konzert blieben viele Leute an der Theke, davor und dahinter. Die aufregende Oma wollte Champagner. Den gab es hier nicht, auch keinen Sekt, nur Bier, das Königliche, und Schnäpse aus Äpfeln vom Bodensee und Trollinger Rotwein vom Neckar. Iker besorgte spanischen Schaumwein aus seiner Cantina. Die Oma hieß Hildrun von Hohenberg, erfuhr ich, sie stammte aus Ostpreußen, war von dort aber nicht mit einem Pferdefuhrwerk geflüchtet, als die Russen ins Land stürmten, um sich an verwundeten Landsern zu rächen und an Frauen und Kindern, sondern viel früher, in einem Maybach mit Chauffeur, und es war kein überstürzter Aufbruch in die Fremde gewesen, eher eine Heimkehr, in die Villa Schwanenburg am Rande des Schönbucher Waldes. Nach einer Flucht, wie sie Millionen Menschen erleiden mussten, wäre sie wohl keine solch attraktive Oma. Sie bezahlte alle Getränke, auch meine, obwohl die aufs Haus gingen. Ein junger Mann in einem dunklen Anzug mit Krawatte hielt ihr einen Pelzmantel zum Anziehen entgegen. Ihr Fahrer, erzählte man mir, als sie gegangen war, und viele andere mit ihr. Wir tranken den spanischen Schaumwein und Bier, und als sich nur noch eine kleine Gruppe um die Theke scharte, wollten wir mehr über das Angebot der Oma wissen. „Die Hochzeit findet nächsten Sonntag in ihrer Villa oben im Schönbuch statt“, bestätigte Horst Krohn. „Die bereits bestellte Kapelle wird Hildrun ausladen und euch stattdessen spielen lassen. Aber nur mit dem neuen Trompeter.“ Er schaute mich an. Und dann ging sein Blick an mir vorbei finster auf Nina, die sich stehend an mich geschmiegt hatte. Wir müssten am Nachmittag von vier bis um sechs spielen und am Abend ab acht bis um zwei Uhr in der Nacht. Bei der Gage hätten wir vierundzwanzig Stunden lang musiziert. Wir quatschten über das Wie und das Was, welche Kleidung, eine elektrische Verstärkeranlage wäre vielleicht nicht schlecht, und tranken noch ein paar Gläser dazu. Irgendwann saß ich mit einer Menge Leute in Ninas Wagen, alle betrunken und enthusiastisch gestimmt. Wir kurvten durch die nächtliche Stadt, brachten nacheinander die Freunde nach Hause, Mädchen und Jungen, ein kicherndes Paar, bis ich neben ihr allein war. Es ging ein paar Kurven die Weinsteige hinauf und dann links ab in eine schmale Straße. Im Schein der Straßenlaternen waren Gärten erkennbar und recht gediegene Häuser dahinter, wie mir schien. Nina hielt vor einem Gittertor und hieß mich, einen Hebel umzulegen und das Tor aufzuschieben, und fuhr das Auto den Weg hinauf.
Im Haus sah man von einem der Fenster auf das Lichtermeer der Stadt. Aber es war kalt in den Räumen. Nina schüttelte sich, um zu zeigen, wie unangenehm es ihr war. Von einem Bügel an der Garderobe griff sie nach einem hellen Wollmantel und zog ihn sich über, während wir ein großes Zimmer betraten. Sie schaltete zwei Stehlampen an. Das Wohnzimmer? Weißgetünchte Wände, sandfarbener Steinfußboden. Ein Salon? Oder ein Park? Palmen und Gummibäume in großen Kübeln, Schränke und Kommoden dazwischen, vielleicht aus Kirschholz, die mit Intarsien und Schnitzereien versehen, sehr alt sein mussten. In einer Wand war ein Bücherregal eingelassen. Die andere war ganz aus Glas mit einer Glastür daneben, die wohl in den Garten führte. In der Mitte des Raumes standen zwei hellblaubeige gemusterte Sofas und vier Sessel um einen niedrigen, runden Tisch aus Stein, aus Marmor?, auf einem schweren, roten Teppich. Nina ließ sich auf einem der Sofas nieder. Sie verschwand schier in der Polsterung. Fröstelnd zog sie den Mantel um sich zusammen. Mit ihrem Gesicht deutete sie auf die gegenüberliegende Wand. Dort war ein Kachelofen. Holz und Kohle lagen in schwarzsilbernen Gestellen bereit. Von einem Schemel griff ich nach einigen Blatt alter Zeitungen und nach dem Holz an der Seite des Ofens. Es brannte im Nu, einen warmen Geruch ausbreitend. Nach einigen Minuten die Kohle. Es dauerte eine Zeit, bis die Kacheln Wärme abstrahlten. Ich setzte mich zu Nina auf das Sofa. Sie zog mich an sich, schob ihre Hände unter meinen Pullover, unter mein Hemd, unter mein Unterhemd. Kalte Hände. In die nächtliche Stille bollerte das Feuer im Ofen. Ich bleibe so, bis mir warm geworden ist. Kalte Hände auf meiner Haut, die sich nach einer Weile zu bewegen begannen, um sich schneller zu erwärmen, über meine Haut strichen, auch mal hineinkniffen, mit den Fingernägeln kratzten… Wohnst du allein hier? Nein. Mit meinen Eltern. Sie sind aber nicht da. Den ganzen Winter nicht bis Ende Februar. In Los Cristianos haben sie ein Haus gemietet. Das ist ein Fischerdorf auf Teneriffa, eine Insel im Atlantischen Ozean. Die Hände streichelten, kniffen, kratzten, waren gar nicht mehr so kalt, eher meine Haut, Gänsehaut, gurren, gurren, und ihre Lippen auf meinen Lippen, und ihre Zunge in meinem Mund, und mir wurde heiß.
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