Der Prinz ließ sich mit einem bedrückten Seufzer zurück in die Kissen sinken und sah sich um: Es war noch nicht ganz dunkel, ja, der Färbung des Himmels außerhalb seiner hohen Fenster nach zu urteilen, war die Sonne gerade dabei unterzugehen. Der junge Mann verbrachte eine geraume Weile damit, lediglich die ruhigen Farbwechsel der Wolken zu betrachten – wie sie langsam ihr flammendes Orange verloren, eher rotstichig purpurfarben wurden … und schließlich in ein kühles Blauviolett verblassten, um die heranziehende Nacht einzuleiten …
Sacris wandte seine Aufmerksamkeit danach seiner näheren Umgebung zu und bemerkte, dass man ihm ein großes Silbertablett mit einem reichhaltigen Buffet gebracht hatte. Der Prinz seufzte abermals und betrachtete das üppige Mahl auf dem Tisch unglücklich.
Was sollte er bloß mit all dem Essen anfangen …? Am liebsten würde er alles Lewyn zukommen lassen. Er wusste ja nicht einmal, was sich sein Freund überhaupt auf den langen Weg eingepackt hatte …! Vermutlich nur etwas Brot und Trockenfleisch und- … Ach, er wollte gar nicht daran denken und stattdessen lieber aufstehen, so schmerzte es ihn doch nur wieder in seiner Brust.
Der junge Mann ging zum Waschbecken in seinem Badezimmer nebenan, ließ etwas kaltes Wasser hinein und wusch sich das Gesicht. Mit einem anschließenden Blick in den Spiegel stellte Sacris erschrocken fest, dass er einfach nur fürchterlich aussah. Dass seine zerzausten Haare stets nur das taten, was sie wollten, und sich nicht im Geringsten darum scherten, wenn er versuchte, sie auch nur ansatzweise in etwas wie eine Frisur zu bringen, war ihm ja nichts Neues; aber nun kam diese ungewöhnliche Blässe im Gesicht und dann auch noch diese rot unterlaufenen Augen mit dunklen Ringen hinzu …!
Als sich der Prinz für einen Moment selbst in diese Augen sah, schüttelte es ihn innerlich. Ihr Ausdruck bereitete ihm mehr als Unbehagen, sodass er sein Gesicht prompt wieder im Becken versenkte.
Anschließend kehrte Sacris in sein Schlafzimmer zurück und zog sich eine dunkelbraune, bequeme Hose sowie ein lockeres, weißes Hemd an, welches er nur zur Hälfte zuknöpfte. Nachdem er einen Schluck Wasser aus einem Glas vom Tablett getrunken hatte, verließ er seine Gemächer.
Der junge Mann schlich mehr denn dass er schritt durch die mit Fackeln beleuchteten Gänge des Palastes, ohne dass er seine Umgebung wirklich wahrnahm. Nachdem Sacris seinen Vater im privaten Teil des Königshauses nicht auffinden konnte, beschloss er, im öffentlichen Bereich nach ihm zu suchen.
Auf einem abgelegenen Gang kamen dem Prinzen unerwartet einige angeheitert schnatternde, adlige Frauen entgegen. Doch war er geistesabwesend genug, um sie nicht zu bemerken und einfach an ihnen vorbeizugehen. Die Damen wiederum hielten herzlich wenig davon; denn als sie den königlichen Thronfolger erkannten und auch noch feststellten, dass er ohne Begleitung war, blieben sie begeistert – und in ihrem Rausch leicht taumelnd – vor ihm stehen, um seine Aufmerksamkeit zu provozieren.
Sacris fielen die betrunkenen Frauen erst auf, als sie ihm direkt den Weg versperrten. Er blinzelte verwirrt in die Runde und verstand nicht, warum sie ihn angehalten hatten. "Na, aber hallo, Mädels! Wen haben wir denn da …?", zwinkerte ihm eine leicht bekleidete, schlanke Kayranerin verführerisch zu, "Eure Königliche Hoheit, heute so ganz allein unterwegs?" Ihr Kichern klang unangenehm kratzig in seinen Ohren.
"Also wirklich, mein Sssüßer, du sssiehst ja richtich niedergeschlag'n aus …!", stellte eine aufreizende Lunidin zu seiner Rechten fest, stemmte die Hände in die kurvige Hüfte und beugte sich zu ihm vor, um ihren ohnehin schon betonten Ausschnitt noch mehr zur Geltung kommen zu lassen. Was … wollten diese Fremden?
"Ah, ssseht, Hoheit …! 'S bricht mir schier 's Hersss …!", beteuerte eine andere Lunidin in übertriebenem Mitleid zu seiner Linken und fuhr sich über die Brust, um auf das vermeintlich gebrochene Herz hinzuweisen. Eine war ja aufgeputzter und freizügiger als die andere …!
Die auffällige Alkoholfahne, welche von den drei Adligen ausging, ließ den Atem des jungen Mannes stocken, dass er den Kopf abwandte und angeekelt die Nase rümpfte. Abwertend blickte Sacris von einem lüsternen Weib zum nächsten … und hielt es für das Beste, einfach nicht auf sie einzugehen. Er wollte nichts mit ihnen zu tun haben – und mit den Gedanken war er gerade ohnehin ganz woanders.
Schon wollte sich der Prinz schlichtweg wortlos an ihnen vorbei drängeln; da lachte eine der Lunidinnen gackernd auf, umfasste keck seinen Arm und lallte dann mehr zu ihren Freundinnen als zu ihm gewandt: "Ach, nu guck doch nich' so böööse …! Ich wüsst' da ja 'ne ausssgessseichnete Möglichkeit, deine Laune sssu heben, mein Sssüßer …! Nich' wahr, Mädelsss?" Mit einem begeisterten Kichern stiegen ihre Begleiterinnen auf den Vorschlag ein und fingen ebenfalls an, sich dem jungen Mann unziemlich zu nähern.
Sacris begriff nur langsam, was vor sich ging – riss sich jedoch sofort los, als ihm die Absicht der adligen Frauen dämmerte. Der Prinz ging entschieden auf Abstand, verengte die Augen zu Schlitzen und zischte: "Ihr widert mich an. Verschwindet."
Daraufhin rief die hochgewachsenen Kayranerin jagdlustig: "Ohohooo, habt ihr das gehört, Mädels …? Er will uns tatsächlich abweisen …!" – "Uuuuu~h …!", erklang es von den Lunidinnen im Chor; und schon setzten sie gemeinsam zu einer Verfolgung auf den schlagartig mehr als verstörten Prinzen an – als plötzlich zwei sich unterhaltende, ältere Männer um die Ecke bogen. Augenblicklich verstummten die Weiber, ließen von ihrer königlichen Beute ab und liefen klappernden Schrittes den Gang davon.
"Oh, Sacris, mein Sohn …!", bemerkte König Faryen überrascht und blieb jäh stehen, "Wir waren just in diesem Moment auf dem Weg zu dir!" Auch der Mercurio betrachtete ihn – allerdings mit einem gänzlichen anderen Gesichtsausdruck.
Sacris sah stumm zum dunklen Ende des Ganges hin, in welchem die adligen Frauen verschwunden waren, und wandte sich stirnrunzelnd dem König zu. "Was möchtest du mir mitteilen, Vater?", fragte er gefasst. "Nun …", begann der alte Mann langsam und legte einen Arm um die Schultern seines Sohnes, während sie den Seitengang zurück zum Thronsaal einschlugen, "Unsere Wachen und Händler berichten, … dass sie Lewyn auf der Straße nach Tyurin begegnet sind."
Sacris schwieg. Der König wartete, bis sie beim Baum der Väter im hinteren Teil des Thronsaales angekommen waren, bevor er stehenblieb, ihm beide Hände auf die Schultern legte und ihn mit warmen Augen ansah. "Wenn er nach Eksaph aufgebrochen ist …", kam es leise von Rex, "… wieso bist du dann nicht einfach mit ihm gegangen?"
Der Prinz schaute seinen Vater still an und schwieg fort. "Bitte, sprich mit mir, mein Sohn …!", bat König Faryen und sah ihn sanft an, "Was ist los mit dir? Warum ist Lewyn losgezogen?" Doch Sacris erwiderte daraufhin noch immer nichts … und warf dem kahlköpfigen Berater neben ihnen lediglich einen finsteren Blick zu …
Anschließend wandte sich der junge Mann ab und setzte sich mit angezogenem Knie seitlich auf die marmorne Mauer, die den Baum der Väter mit all seinen exotischen Pflanzen und Gewächsen umgab. Die gekräuselte Rinde leuchtete in weichem Schein, während die weißen Flecken auf den gewundenen Blättern der Äste ihrerseits wundersam glitzerten und den Baum so in einen hellen Mantel des Lichts hüllten …
Sacris betrachtete diese sonderbare Erscheinung mit trübem Blick und erklärte auf einmal unhörbar: "Lewyn … ist zum Feld der Himmelsspeere aufgebrochen."
Der König sog hörbar die Luft ein. Nach langem Zögern setzte er sich seinem Sohn auf der Mauer gegenüber hin und fragte ruhig: "Sage mir, mein Sohn: Wieso ist er dorthin aufgebrochen …? Dies ist kein Ort für einen kurzen Ausflug – ja, dies ist ohnehin überhaupt kein Ort, zu welchem ein junger Mann wie er jemals aufbrechen sollte …!" Sacris' Augen wanderten traurig zu seinem Vater hin. Seine Stimme war gedämpft und brüchig, als er ihm antwortete: "Das weiß ich … Das weiß ich doch …! Aber- …!", und plötzlich verbarg er sein Gesicht im Ellbogen, "Celine …! Er glaubt, dort Celine zu finden!"
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