Der ältere Mann hob beide Augenbrauen an. "Celine? Aber warum?", hakte er verdutzt nach, "Wie kommt Lewyn denn dazu, sie ausgerechnet dort zu vermuten?" Der Prinz lachte trocken in seinen Arm hinein, schüttelte bitter den Kopf und meinte: "Weil ein Junge es ihm gesagt hat."
"Weil ein … Junge … es ihm gesagt hat …?", vergewisserte sich der König ungläubig. Sacris blickte sichtlich unglücklich auf und bestätigte: "Ja, ein Junge …!", und mit einem Mal brach alles aus ihm heraus, "Er kam daher und erzählte etwas von einer 'Vision' und von 'Schicksal' und dass er in einem Traum gesehen hätte, wie Lewyn sie beim nächsten Vollmond auf dem Berg des Ahiveth finden würde, weil sie dort angeblich von irgendwem geopfert wird …!", der Prinz wurde immer aufgebrachter und gestikulierte mit den Händen um sich, "Und, u-und dass das wohl diejenigen sein würden, die auch alle anderen verschwundenen Menschen auf dem Gewissen haben, und dass es zwar vergebens sei und überhaupt, aber dennoch war er so – argh!", Sacris verkrallte die Hände am Kopf, während sein Redefluss zunehmend stockte, "Ich … i-ich weiß nicht warum, aber danach … danach war Lewyn wie ausgewechselt! Wir, w-wir redeten nur noch aneinander vorbei; zur Vernunft bringen konnte ich ihn nicht und, und meine Hilfe wollte er auch nicht und-" Der junge Mann raufte sich verzweifelt die Haare, bevor er sein Gesicht in den Händen vergrub und sich wieder mit aller Kraft zu beruhigen versuchte.
Sein Vater fuhr sich sprachlos über den langen, gepflegten Vollbart und wusste nicht, was er sagen sollte …
Rex hatte mit allem, mit wirklich allem gerechnet – aber nicht mit einer derartigen Erklärung. Daher wusste er nun umso weniger, wie er darauf reagieren sollte, ohne die Gefühle seines einzigen Sohnes, den er doch so sehr liebte!, zu verletzen. Es schmerzte den König sehr, ihn derartig leiden zu sehen, also setzte er schließlich zögernd zu einem Vorschlag an: "Wir könnten … einen Falken an die nördliche Grafenstadt Henx schicken und dem Hauptmann der Wache den Befehl geben, Lewyn aufzuhalten, sobald er dort vorbeikommt; und er wird dort vorbeikommen müssen, sofern er nicht einen großen Umweg über die westlichen Territorien der Anderwesen machen und sich damit schon einer fast noch größeren Gefahr aussetzen will."
Sacris schüttelte den Kopf und ließ seine Arme sinken. "Du verstehst das nicht, Vater", meinte er und fing wieder an, seine Hände zur Verdeutlichung einzusetzen, "Lewyn war dermaßen erfüllt von diesem, diesem … 'Gedanken', dass es vollkommen sinnlos war, ihn aufzuhalten! Mit Vernunft und Verstand bist du bei ihm überhaupt nicht mehr weitergekommen …! Ich … i-ich hatte vielmehr das Gefühl, dass seine Beweggründe einer, einer völlig 'anderen' Natur waren."
Als der Prinz dem unterdrückt skeptischen Blick seines älteren Gegenübers begegnete, hob er eine Hand und wandte sich resigniert kopfschüttelnd ab. "Bitte, zwinge mich nicht, dir das näher zu erklären, Vater, denn das kann ich nicht. Der kleine Junge war einfach nur seltsam … Seine Ausstrahlung, sein Benehmen – ja, schlichtweg alles an ihm war seltsam! Und nach der Begegnung mit ihm wurde Lewyn genauso seltsam …!"
Plötzlich lachte Sacris hilflos auf und zog seine Schultern an. "Ich meine, wenn wir Lewyn gefangen haben, was soll ich dann bitte mit ihm anstellen? Ihn in eine Zelle sperren …?!", und sein Lachen verschwand schlagartig, "Er wird mich hassen, das wird er!" Kurz darauf senkte der junge Mann seinen Blick erneut, atmete einmal besonders tief durch und schloss schmerzlich die Augen …
"Es gibt nichts, was ich für ihn tun könnte."
König Faryen schaute seinen Sohn bitter an. Der ganze Fall überstieg seine Vorstellungskraft. Wie konnte er ihm nur helfen? Ratsuchend blickte Rex zum Mercurio hinauf, welcher die ganze Zeit über still und bewegungslos an einer näheren Säule verharrt hatte.
Der Wissende regte sich daraufhin und trat still in den Schein des Baumes. "Nun …", er legte die dürren Fingerspitzen aneinander und guckte auf den Prinzen hinab, welcher infolgedessen stirnrunzelnd zu ihm aufsah, "Wie mir scheint, wird dieses Vorkommnis nicht ohne Opfer gelöst werden können."
Sacris sagte nichts. "Eure Freundin Celine wird offensichtlich sterben", führte der Mercurio sachlich aus, "und Euer Freund Lewyn höchstwahrscheinlich ebenso – wenn man die Statistiken bezüglich aller Aufbrüche zum Feld der Himmelsspeere betrachtet. Und Ihr …", der königliche Berater hielt inne und musterte den jungen Mann mit einem äußerst rätselhaften Blick, "Ihr wart vernünftig genug, ihm nicht zu folgen, und somit Euer Leben und das des ganzen Königshauses Faryen zu verschonen."
Die trockenen Worte des Wissenden ließen die Miene des Prinzen düster werden. Eine immer größer werdende Antipathie dem Mercurio gegenüber machte sich in ihm bemerkbar. "Des Weiteren", fuhr Hal ruhig fort, "hätte ein fremdes Eingreifen in die Reise Eures Freundes, wie Ihr bereits richtig festgestellt habt, den Tod Eurer Freundschaft zum Opfer – was sich für Euch unter Umständen als noch schlimmer erweisen könnte als sein tatsächliches Ableben selbst."
Sacris hatte mit einem Mal alle Mühe, sich zu beherrschen und nicht einfach aufzustehen, um den königlichen Berater zum Schweigen zu bringen. Er wollte es nicht hören! Es brachte nichts! Nichts außer Schmerz! Doch behielt der junge Mann auch weiterhin seine Fassung und schaffte es, dem eindringlichen Blick des Mercurios selbstsicher standzuhalten – zähneknirschend.
"Ihm ab der Grafenstadt Henx weitere Einheiten zur Seite zu stellen", setzte Hal gelassen fort; und seine Stimme bildete einen absoluten Kontrast zur negativen Spannung, die in ihrem intensiven Blickkontakt lag, "würde lediglich zur Folge haben, dass nur noch mehr Menschen ihr Leben für eine aussichtslose Reise opfern – wenn man die Statistiken bezüglich aller Aufbrüche zum Feld der Himmelsspeere betrachtet."
Und so schloss der Wissende kühl kalkulierend: "Die geringste Anzahl an Opfern würde somit durch die Aufrechterhaltung des Status quo gewährleistet."
Der nüchterne Vortrag des Mercurios über die Verluste im Zusammenhang mit Lewyns Vorhaben war nicht gerade das gewesen, was sich der König erhofft hatte; so fürchtete er, dass dieser nur mehr Schaden angerichtet als geholfen hatte. Tatsächlich bemerkte er, dass sein Sohn den Worten des Wissenden mit wenig Begeisterung begegnete.
Sacris starrte den kahlköpfigen Mann über sich unbeirrt und über alle Maßen finster an. "Ach, wirklich …?", ging er grimmig auf seine Worte ein, "Nun, stellt Euch einmal vor, dass ich all das schon gewusst habe. Vielen Dank für die Darlegung des ohnehin schon Offensichtlichen!", und er deutete erst auf sich und danach auf ihre Umgebung, "Was meint Ihr denn bitte, warum ich mich gerade hier befinde? Und warum ich auch nichts weiter unternommen habe, um Lewyn in der Ferne aufzuhalten oder anderweitig mit Truppen zu unterstützen?"
Der Prinz stand ruhig auf, ohne den Blickkontakt zum Mercurio zu unterbrechen, und fuhr nahtlos fort: "Und damit Ihr auch noch jenes wisst, 'Wissender': Es war Lewyn selbst, der bereits von vornherein jede Hilfe meines Vaters abgelehnt hat – da ihm offenbar klar gewesen ist, wie unglaubwürdig das alles auf andere wirken musste. Immerhin hat er es noch nicht einmal geschafft, mich, seinen besten Freund!, davon zu überzeugen."
Sacris kniff seine Augen unmerklich zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. "Tut also bloß nicht so, als würden Eure 'Ratschläge' zu irgendetwas nütze sein!", er rümpfte flüchtig die Nase, während seine Stimme mehr und mehr zu einem Zischen wurde, "Ihr redet viel und wisst …", er nickte verbittert, "… ja, wisst gewiss noch wesentlich mehr als Ihr nach außen hin preisgebt. Aber Eure Zunge ist ungezügelt und scharf, nimmt weder Rücksicht auf Gefühl noch Zustand desjenigen, mit dem Ihr sprecht; so rate ich Euch dringend, in Euren 'allumfassenden Büchern' nachzuschlagen, was es mit den Begriffen 'Taktgefühl' und 'Mitleid' auf sich hat."
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