Schließlich waren die zwei Songs vorbei. Während sie sich wieder bedeckte, fragte sie mich, ob es mir gefallen hätte, was ich ihr gegenüber natürlich bejahte. Auch, wenn mir in jenem Moment klar war, dass das nur zum Teil der Wahrheit entsprach.
Ich ging zurück in den Raum mit der Bar und konnte nach einigem Suchen meine Freunde nahe der Bühne sitzen sehen, auf der gerade eine nicht unattraktive, junge Frau tanzte. Irgendwie wirkte der große Raum jetzt bei weitem nicht mehr so mysteriös, gerade so, als hätte der Tanz dem Ganzen den Zauber genommen. Wortlos setzte ich mich, wohl sehend, dass ihnen allen die Fragen auf den Lippen brannten. Aber für den Moment musste es ein Kopfnicken meinerseits auch tun. Ich hätte auch nicht viel erklären können, denn jetzt hatten sich weitere Mädchen zu uns gesetzt und buhlten darum, für uns tanzen zu dürfen. Sie waren alle furchtbar nett, was die ganze Angelegenheit um vieles einfacher machte, dennoch konnte ich nicht verhehlen, dass mir eine gewisse Aufdringlichkeit ihrerseits nicht entging. Letztlich ging Andreas mit einer Blonden mit, ich schätzte sie auf Mitte zwanzig. Carsten rang noch etwas mit sich selbst, aber den Überredungskünsten der Osteuropäerin – dieselbe, die für mich eben noch tanzte – war er auf Dauer einfach nicht gewachsen. Es verblieben also noch Thomas, Lars und ich mit Gesellschaft auf der Couch.
»Hey, where do you come from?« Ich drehte mich zu dem Ursprungsort der Stimme und blickte in das hübsche Gesicht einer jungen Frau. Ich denke, dass sie nicht älter als zweiundzwanzig war, aber das lässt sich ja beim weiblichen Geschlecht immer nur schwer einordnen. Trotzdem machte der offensichtlich geringere Altersunterschied sie für mich schon um Längen attraktiver als die erste, bei der uns ein paar Jahre mehr trennen dürften. Sie hatte strähniges, blondes Haar, das über ihre Schultern und auf ihr orangefarbenes, enges Kleid fiel. Das Kleid reichte nur bis knapp über die Bikinizone. Ihre Gesichtszüge waren weich. Sie musterte mich mit ihren hellen Augen und lächelte. Ich konnte ihr Parfum riechen, es war dezent aufgetragen, gerade so, dass ich es auf die Entfernung bemerkte. Ich war fast wie gebannt.
»Germany«, sagte ich und löste mich von ihrem Anblick. Ein Lächeln trat wie von selbst auf meine Lippen.
»Oh, that’s great. I’m Daniela and what’s your name?«, wollte sie daraufhin wissen und ich antwortete kurz:
»Jan.« Sie kam sofort zum Punkt.
»Do you want a dance?« Eigentlich wollte ich meine erste Erfahrung erst einmal wirken lassen, aber sie hatte irgendetwas an sich, dass meiner ursprünglichen Idee widersprach und alles in mir riet mir, ihrer Frage nachzukommen.
»Why not?«, antwortete ich also und hoffte, dass es nicht allzu offensichtlich war, dass ich über meine Entscheidung eigentlich keinen Augenblick lang nachdachte. Sie stand auf und führte mich eine schmale Treppe hinauf, die sich gegenüber der Bühne befand. Oben angekommen, fühlte ich mich ein wenig wie in einem Labyrinth. Ein Eindruck, der noch verstärkt wurde dadurch, dass ich eigentlich nur sie ansah. Sie wies mir den Weg und so betraten wir einen Raum, der aus lauter kleinen Buchten bestand. Ich glaube, es waren ungefähr sieben oder acht Stück. Ähnlich wie zuvor wurden alle Buchten durch eine lederne Sitzgelegenheit dargestellt. Wie auch auf der unteren Etage vermischten sich hier die verschiedensten Gerüche miteinander. Sie bedeutete mir, in einer dieser Buchten Platz zu nehmen, nachdem ich ihr die zwanzig Pfund aushändigte. Dieses Mal tat ich das ohne jedwede Spur von Reue. Danach setzte sie sich mir gegenüber und irgendwie wusste ich schon jetzt, dass dieser Tanz anders werden würde als mein erster. Ich war aufgeregt, aber eher erfüllt mit Vorfreude als mit Nervosität.
»So, Jan. Do you like it in England?« Ich bejahte ihre Frage, was sie zu freuen schien. Dabei ließen sich meine ersten Eindrücke zum vereinigten Königreich bisher auf Dinge beschränken, die weniger etwas mit der Kultur oder der Gesellschaft des Landes zu tun hatten. Es war noch einen Moment lang still, in dem wir beide uns ansahen und daraufhin lachen mussten. Ich bin mir sicher, dass es gespielt war, aber ihr Verhalten schien fast schon so etwas wie Schüchternheit auszudrücken. Natürlich war sie nicht echt, aber sie nahm mir alle Nervosität, die ich noch hätte entwickeln können. Ich fühlte mich entspannt, vor allem aber war ich mir sicher, dass dieses Gefühl diesmal nicht wieder einfach so verfliegen würde. Schließlich platzierte sie mich mittig auf der Ledercouch und begann langsam mit dem Tanz.
Alles schien intensiver zu sein. Sie war sinnlicher, sie kam näher und sie tanzte anders. Lebendiger, erotischer und leidenschaftlicher. Sie setzte sich auf meinen Schoß, bewegte ihre Hüften und sah mir dabei in die Augen. Ich musste mich zwingen ihr nicht durchgängig in die ihren zu sehen und hoffte, dass ich dabei nicht zu viel Erregung erkennen ließ. Sie presste ihren Körper an mich, der Duft ihres Parfums, vermischt mit ihrem eigenen, stieg mir in die Nase und schon in jenem Moment wusste ich, dass ich ihn nicht vergessen würde. Als sie mir ihre Brüste ins Gesicht drückte, fiel es mir schwer, meine Hände unbedarft auf der Bank liegen zu lassen. Ich schaffte es irgendwie, dabei wollte ich mich mit ihr bewegen, ihre Hüfte umfassen. Nur war dies weder erwünscht, noch wollte ich es auf die Art verderben. Im Gegensatz zum ersten Tanz war das hier mit dem Zurückhalten der Empfindungen und Regungen des Körpers nicht so einfach. Sie entführte mich gänzlich in eine andere Welt, in der ich keinerlei Sorgen hatte und kein Zeitempfinden. Ich genoss jede Sekunde und ehe ich noch richtig begriff, dass es vorbei war, hauchte sie mir ein »Thank you« ins Ohr, gab mir einen Kuss auf die Wange und stand auf. Die Zeit war so schnell verronnen wie ein Tropfen Wasser in der Wüste verdunstet. Alles in mir rief ihr zu, dass sie weitermachen solle, am besten nie wieder aufhören, doch dieser Gedanke war natürlich absurd. Sie zog sich lächelnd an und begleitete mich hinab, nachdem ich darauf hingewiesen hatte, dass ich so meine Probleme damit haben könnte, mich nach unten zu finden. Ihre Art zu Tanzen ließ unseren Aufstieg in diese Räumlichkeiten einfach vergessen. Die Realität holte mich in der Lounge wieder ein, als ich meinen Blick zu unserem Tisch wandern ließ und feststellte, dass ich der erste meiner Freunde war. Ich schaute mich um, beobachtete die Mädchen, die auf der Bühne tanzten. Ihre Augen waren leer und ausdruckslos.
Es dauerte einige Minuten, bis unsere Gruppe wieder vollständig war. Also setzte ich mich mit meinem Bier in die Ecke und versuchte so gelassen wie möglich auszusehen. Auch wenn ich sicher bin, dass es mir nicht sonderlich gut gelang. Schließlich kehrten sie alle nacheinander zurück und da nicht sofort weitere Mädchen bei uns waren, konnten wir endlich die ersten Worte über das Erlebte austauschen. Es stellte sich dabei heraus, dass wir alle ähnliche Gefühle hatten.
»Wie war’s?«, fragte Andreas grinsend.
»Aufregend!«, sagte ich wahrheitsgetreu.
»Und so bedeutend anders als beim ersten Mal.«
»Also war’s das wert?«
»Das war es, mit Sicherheit. Die Erste gab mir so ein Gefühl, als würde sie alles geschäftlich machen. Die Zweite war irgendwie viel …«, ich suchte nach dem richtigen Wort.
»… Lebendiger?«, half Lars nach und sein Grinsen signalisierte mir, dass auch er nicht enttäuscht worden war.
»Es war eine interessante Erfahrung!«, warf der lange Thomas mit einer für ihn fast ungewöhnlichen Nüchternheit in die Runde, die auch unseres Gesprächsthemas wegen fast schon etwas atypisch wirkte.
»Und was ist mit dir, Carsten?«, hakte Lars nach.
»Ja, war ganz okay«, antwortete dieser trocken. Er ging mit der Osteuropäerin mit. Kein Wunder, dass er nicht in Euphorie ausbrach. Ich hätte ihm von der abraten sollen. Am Blick von Andreas konnte ich erkennen, dass er die Meinung der Gruppe vielleicht nicht unbedingt teilte. Er war auch der Einzige von uns, der zum Zeitpunkt dieser Sache in einer festen Beziehung steckte. Lag es vielleicht daran?
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