Hinter ihr betrat jemand den Raum, ging rasch in ihrem Rücken vorbei.
„ Ah – Pater Vinzenz!“ Alle Strenge ablegend schaute der Weißhaarige an ihr vorbei, „Wir haben das Verfahren gerade erst eröffnet, sind noch bei den Formalien. Ihr habt also nichts versäumt!“ Seine Hand wies nach rechts auf den freien Stuhl am Ende des Tisches, während sich sein Gesicht zu einem sparsamen Dienstlächeln verzog. „Wie ich sehe habt ihr euch Verstärkung mitgebracht! Das ist sehr weitsichtig von euch. Man kann gar nicht früh genug Erfahrungen mit diesen Zauberischen sammeln. Bruder Gregor, nicht? Ihr bekommt sofort einen Stuhl“
Pater und Bruder zwängte sich eilig zwischen Tisch und Wand hindurch, und Pater Vinzenz, groß, hager, kahlköpfig und auf strenge Ausstrahlung bedacht, setzte sich auf seinen Stuhl, während Bruder Gregor stehend verharrte und Therese mit offenem Mund erschrocken ansah. In rascher Folge flog deren Blick zwischen ihm und dem Weißhaarigen hin und her, um endlich zu erkennen, dass eine Preisgabe der losen Bekanntschaft zwischen dem Bruder und ihr an dieser Stelle nur mehr schaden als nutzen konnte. Noch vor gut einem Jahr hatte dieser Bruder ihr Grüße, Geld und eine lange Haarlocke ihres Mannes von irgendwo aus dem Krieg überbracht. Nun gehörte er zu denen, die hier über sie zu Gericht saßen. Ein winziger Hoffnungsfunke glimmte in ihr auf.
„Was sagtet ihr?“ Sie beugte sich vor, um den Pater besser sehen zu können, da er hinter Franz an der Hauswand lehnte. „Ich sagte: Gut, dass ihr nicht wusstet, wie gering mein Einfluss war! Meine Stimme war innerhalb des hohen Gerichtes ohne Bedeutung!“
„Ein Mann der Kirche, noch dazu ein Jesuit, sitzt bedeutungslos in einem weltlichen Gericht, welches nach den Regeln der Kirche Hexenprozesse abwickelt? Wie geht das zusammen?“ Franz sah, die Hände immer noch hinter dem Kopf verschränkt, den Pater von der Seite her an.
„Ja nun, die damaligen Hexenprozesse in Eichstätt wurden alle im Sinne Bischof Westerstettens geführt, der sein Eichstätt frei von Hexen und Zauberern haben wollte. Aus diesen Gründen gab es für den beisitzenden Geistlichen keine Einwirkungsmöglichkeiten zu Gunsten der Beschuldigten.“
„Also stand die Schuld der Angeklagten und deren Verurteilung schon zu Prozessbeginn fest! Warum dann diese ganze Quälerei?“ Franz schaute abwechselnd den Pater und Therese an.
„Ja weil jedes ordentliche Gericht zur Fällung eines Urteilsspruches zwingend den klaren Schuldnachweis braucht, oder ein Geständnis. Ein solches ´Hohes Gericht´ konnte keine Willkürurteile fällen, so darf man sich das nicht vorstellen!“ Aus den Augenwinkeln nahm er wahr, dass Therese entschlossen von der Wand abrückte und zu ihm herüber sah, hob beschwichtigend die Hand, „Hexenprozesse waren schon eine kitzlige Sache. Sie stellten auch solch ein hohes Gericht vor besondere Probleme. Hatten die Nachforschungen erst einmal begonnen, gab es fast immer mehrere Anzeigen wegen Hexerei und Zauberschäden und jede Menge Zeugenaussagen. Auch in eurem Fall war das so: Die Lisbeth hatte kaum ihre Anzeige gemacht, da war euer Fall schon im Ort herum und noch am gleichen Tag ging es los.“
„Was ging los? Zuerst einmal ist doch gar nichts passiert. Deshalb dachten wir ja, Lisbeth hätte sich wieder beruhigt und alles wäre in Ordnung!“
„Das solltet ihr ja auch wohl denken, in Wirklichkeit liefen längst die Nachforschungen. Ihr habt es ja im Prozess gehört: Es müssen sich damals täglich Leute gemeldet haben, die entweder Zeugen eurer Zauberei gewesen sein wollen oder die ihr geschädigt haben solltet. Als dann die Raußbacher euch unter der Folter benannt hat, waren Richter und Schöffen überzeugt, in euch eine gefährliche Hexe sehen zu müssen – ihr solltet das nur noch gestehen.“ „Genau so kam ich mir auch vor!“ Therese kniff die Augen etwas zusammen und richtet ihren gestreckten Zeigefinger auf den Pater, „Ich sehe ihn noch heute, wie er seine feinen Hände rechts und links des vollgeschriebenen Papiers auf dem Tisch liegen hat und mich mit seinen kalten, grauen Augen zwingt, ihn anzublicken. …
„ Therese Driesner! Wegen zahlreicher Anzeigen und Zeugenaussagen, denen dieses Hohe Gericht nachzugehen hatte, werdet ihr der Hexerei, Zauberei und der Teufelsbuhlschaft beschuldigt und vor diesem Hohen Gericht angeklagt.“
Als hätte er in einer fremden Sprache zu ihr gesprochen, schaute Therese den Weißhaarigen mit krausgezogener Stirn und geöffnetem Mund an. Seine Stimme tat ihr weh und immer noch glaubte sie an einen Irrtum.
„ Der Schreiber wird euch jetzt die Anklageschrift der Reihe nach vorlesen. Ihr tut gut daran, genau zuzuhören,“ dann etwas langsamer mit drohendem Unterton, „und Punkt für Punkt zu bekennen!“
„ Bekennen? Was soll ich denn bekennen? Ich habe doch nichts Unrechtes getan!“ Unwillkürlich hatte sie ihre Hände in hilfloser Gebärde vorgestreckt, schaute verzweifelt zu ihrem Gegenüber, zu Pater Gregor, der sie reglos und irgendwie erschrocken ansah, zu ihrem Gegenüber, der sich unbeeindruckt im Stuhl zurücklehnte.
„ Das Papier,“ seine Hand wies auf die sauber beschriebenen Blätter vor ihm auf dem Tisch, „spricht eine andere Sprache! Also,“ er zog seine Augenbrauen hoch, wieder der drohende Unterton, „redet nicht lange herum! – Schreiber!“ Ein kurzer Blick zur linken Tischseite, wo ein noch junger Mann, vornüber gebeugt, mit rascher Feder das eben Gesagte auf dem Papier festhielt. Danach griff dieser zu einem anderen Papierstapel, weiter vorn auf dem Tisch, und erhob sich mit einer geradezu eckigen Bewegung. Er war sehr groß, spinnenartig dünn und hatte, obwohl der jüngste im Raum, schon schütteres, rötliches Haar. Nach einem knappen, eckigen Kopfnicken in Richtung des Weißhaarigen, begann er mit überraschend tiefer Stimme zu lesen, eintönig, so als handle es sich bei dieser Schrift um eine unwichtige, amtliche Bekanntmachung.
Therese fiel es schwer, dem monotonen Vortrag des Schreibers zu folgen. Ungemein schnell reihte er Wort an Wort, ohne dabei die Stimme zu heben oder zu senken.
Als sein Redefluss dann so unvermittelt endete, als habe er mitten im Satz gestoppt, schaute ihn Therese, entgeistert an, unfähig zu reagieren. Sie schaute wie durch einen Tunnel, sah nichts anderes als den, der sie soeben, in gefühllose Amtssprache gekleidet, schon mit dem ersten Anklagepunkt als berechnend mordende Hexe dargestellt hatte.
Heimtückisch habe sie sich in der Nacht in den Zagelhof geschlichen, habe plötzlich leuchtend im ansonsten fast dunklen Schlafzimmer gestanden. Und das genau in dem Moment, als die Geburt des ersten Kindes unmittelbar bevorstand, sich die Jungbäuerin in den letzten Wehen wand. Einfach eingemischt habe sie sich, habe den Geburtsvorgang durch Zauber abgebrochen, Mutter und Kind dadurch getötet und sei dann, so plötzlich wie sie gekommen auch wieder verschwunden.
„ Und?“ Die Stimme des Weißhaarigen löste ihren Blick, rief sie zurück, schärfte plötzlich ihre Sinne für die Gefahr, in der sie schwebte. „Steht da nicht schweigend herum! Steht zu eurer Schuld und gebt zu, was man euch vorwirft!“
„ Zugeben? Ich kann doch nichts zugeben, was nicht wahr ist!“
Der Gesichtsausdruck ihres Gegenübers bekam etwas Lauerndes „Nicht wahr? Und was ist wahr?“
„ Wahr ist ...“ Sie sah eine Möglichkeit. Schilderte minutiös, was sich in besagter Nacht wie zugetragen hatte. Ihr Gegenüber hörte ihr regungslos zu, wartete stumm einen Moment, als sie ihre Schilderung beendet hatte und nickte dann, ohne jegliche Erwiderung, dem Schreiber zu, der in gehabter Manier nun den nächsten Punkt vortrug.
„ Der Fall Rossschläger!...“ Wieder stand der Schuldvorwurf des „satanischen Kindmordes“ und hier außerdem der Vorwurf des „Leichendiebstahls und der Leichenschändung, wie Hexen dies tun“ im Raum.
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