1 ...7 8 9 11 12 13 ...17 Ihr Verfolger war ein hässliches Monstrum mit langen, pechschwarzen Haaren, großen, gelben Augen mit senkrecht stehenden, pechschwarzen Pupillen und einem Maul, das von bösartigen Reißzähnen nur so starrte. Ein mit dicken Muskeln bepacktes Wesen, fast doppelt so breit wie sie selbst und mindestens einen Kopf größer, mit langen Armen und Beinen und mächtigen Pranken. Seine Krallen waren um die Hälfte länger als ihre eigenen und …
Sie hatte keine Zeit mehr, sich über das Äußere ihres Verfolgers zu entsetzen, denn mit einem mächtigen Sprung hatte dieser die Kante des Würfels erreicht, auf dem die Jägerin kauert und versuchte nun langsam zu ihr herüber zu kommen. Für einen Moment schien es, als würde der weiche Untergrund auch das Gewicht des Männchens tragen können, dann aber gab er nach, wölbte sich nach innen, eine Art Trichter entstand, durch den die Jägerin nach unten in den Würfel hinein glitt, um dort in einem Loch zu verschwinden, das dem Männchen wiederum die Verfolgung unmöglich machte.
Die Jägerin kauerte zitternd auf einer harten, dünnen Kante und unter sich entdeckte sie eine Rinne, in der sich ein wenig spiegelnd brackiges, stinkendes Wasser befand. Sie sah sich überall um und ihr schauderte, denn wohin sie auch sah, alles war voller Zacken und Kanten und gefährlich aussehenden Gerätschaften, hier war nicht mehr Sicherheit, als draußen, wo das Männchen lauerte.
Einen Ausweg aus dieser Falle fand sie nicht und ihre Angst verwandelte sich nun endgültig in Panik, als durch das Loch über ihr plötzlich der Arm ihres Verfolgers herunter schwebte und die fünf mit langen, schwarzen Krallen bewehrten Finger tastend das Innere des Würfels absuchten, um die dort verschwundene Beute zu finden. Die Jägerin schwang sich über den Rand der Rinne ohne darauf zu achten, dass sie ihre Füße in das stinkende Brackwasser stellen musste, sie duckte sich zusammen und ihre Hände suchten nach einem Griff, an dem sie sich festhalten konnte.
Da, zwei kleine, rote Hebel, ihre Hände griffen danach klammerten sich fest und lösten damit eine Katastrophe aus. Die Hebel gaben nach, vor der Jägerin öffnete sich ein riesiges Maul und aus diesem Maul schoss ein mächtiger Wasserstrahl hervor, füllte die Rinne, erfasste die Jägerin und spülte sie einfach davon.
Hinunter, hinunter, immer weiter. Die Jägerin wurde herum gewirbelt, ihr Körper gegen zahllose Ecken und Kanten geschmettert und dann erwischte es sie am Kopf und sie verlor die Besinnung.
Nicht lange, dann erwachte sie wieder, versuchte zu atmen, bekam Wasser in den Hals und in die Lungen, hustete verzweifelt, schrie ihre Todesangst hinaus und versuchte immer wieder vergeblich ihre Krallen in irgend etwas hinein zu schlagen um die irrsinnige Fahrt zu bremsen oder gar zu stoppen. Dann änderte sich ihre Fahrt, plötzlich gab es keine Kurven und Ecken und Kanten mehr, dafür ging es immer steiler hinab. Die Geschwindigkeit steigerte sich mehr und immer noch mehr und dann wurde es erst schwarz und finster vor ihren Augen, aber gleich darauf hell und heller und dann wurde sie in blendend grelles Licht hinaus geschleudert, schreiend und um sich schlagend stürzte und stürzte und stürzte sie immer tiefer, knallte auf eine harte Oberfläche, die sich aber dennoch öffnete, sie aufnahm und kalt und nass umfing und ihr die Luft zum Atmen verweigerte. Die Jägerin verlor erneut das Bewusstsein und das war gut so, denn sonst hätte sie vielleicht auch gleich noch den Verstand verloren.
Der Stamm der Moak war immer ein starker Stamm gewesen. Gute Jäger, starke Frauen und eine prachtvolle Höhle, die – obwohl gut gelüftet - selbst im strengsten Winter warm und gemütlich war.
Die Kinder gediehen prächtig, Hunger war den Moak unbekannt und da sie der einzige Stamm in den Bergen waren, dessen Schamane nicht nur Zaubern und Heilen sondern auch mit Eisen umgehen konnte, waren sie eigentlich auf die Jagd gar nicht mehr angewiesen. Die Messer und Speerspitzen, die eisernen Spitzen der Jagdpfeile, die Singan, der Schamane mit seinen Helfern Wento und Marik herzustellen wusste, genügten als Handelsware, um den ganzen Stamm zu ernähren.
Doch damit nicht genug, besaß der Stamm der Moak noch weitere Besonderheiten.
Sein Häuptling Nargo war der einzige Mensch weit und breit, der es verstand mit den Zahlen oberhalb von drei Händen umzugehen. Nargo war auch in der Lage Zeichen zu malen, die der Händler am anderen Ende des Gebirges entziffern konnte und er konnte Nargo Nachrichten zukommen lassen, die auf dieselbe Weise zustande gekommen waren. Die beiden nannten diese Kunst Lesen und Schreiben und hüteten sie wie einen ihrer Augäpfel. Der Händler war Nargos Bruder.
Der Stamm der Moak war reich.
Ein Reichtum, der dazu führte, dass die Mütter mehr Kinder zur Welt brachten, als in anderen Stämmen, dass diese Kinder besser genährt wurden und seltener schon früh starben, als dies in anderen Stämmen der Fall war. Die Kinder wuchsen heran, wurden groß, stark und schön. In keinem Stamm gab es schönere Frauen als bei den Moak. Wollte ein benachbarter Stamm also Ehre für sich gewinnen, versuchte er eine oder auch mehrere Frauen aus dem Stamm Moak für seine jungen Männer zu gewinnen. Früher hatten sie versucht, die Frauen der Moak zu stehlen, doch das war nie gut ausgegangen. Stahl man eine Moakfrau, so konnte man sich ihrer Treue nie wirklich sicher sein. Irgendwann, selbst nach Jahren noch, war man unachtsam und auf einmal tot. Vergiftet, in unwegsamem Gelände abgestürzt, mit einer Klapperschlange im Bett aufgewacht und anderes mehr. Ging die Moakfrau dagegen freiwillig mit einem jungen Mann, dann hatte dieser bis an sein Lebensende das große Los gezogen.
Die Jäger der Moak waren für ihre Kunst mit dem Bogen berühmt und für ihre scheinbar angeborene Fähigkeit selbst auf blankem Fels noch die Spur einer Ameise verfolgen zu können.
Kein Moakmann war kleiner als sechseinhalb Fuß und manche erreichten auch mehr als siebeneinhalb Fuß. Sie alle waren schnelle und ausdauernde Läufer und ihre Kletterkunst in den schroffen Wänden des Gebirges war legendär. Sie jagten Mufflons, Gämsen und Steinböcke und aus den Fellen dieser Tiere gerbten ihre Frauen wundervolle Pelze und feinstes Leder und aus den Gehörnen der Steinböcke fertigten die Männer ihre wuchtigen Jagdbogen.
Ein glücklicher Stamm also, mit beinahe zweihundert Angehörigen, der führende Stamm in den Bergen von Aaranga.
Sie alle befolgten die Gesetze der Natur streng, denn sowohl der Häuptling als auch der Schamane und alle Ältesten achteten streng darauf. Vor allem achteten sie auf die Einhaltung eines ganz besonderen Tabus.
Es war verboten, auf ein tragendes Tier auch nur die Spitze eines Pfeils zu richten, geschweige denn, es zu erlegen. Wer sich solches zuschulden kommen ließ, dem würde der Ausstoß aus dem Stamm drohen und er würde mit einem Fluch belegt, der war, als wäre er gestorben.
Doch diese Strafe hatte noch niemals in der Geschichte der Moak angewendet werden müssen. Nie hatte ein Jäger auf ein Muttertier gezielt, nie war ein Muttertier erlegt worden. Die guten Jäger erkannten ein Muttertier sofort, auch wenn es erst seit wenigen Tagen tragend war. Die weniger guten hatten es sich zur Gewohnheit gemacht, ausschließlich männliche Tiere zu jagen und so jedem Ärger aus dem Weg zu gehen.
Das Leben bei den Moak verlief also in geordneten Bahnen. So lange bis der Bruder des Häuptlings, der Händler, beschloss, seinen einzigen Sohn Distal in die Berge zu schicken und ihn zusammen mit des Häuptlings Sohn Mungo zu einem Mann und Jäger erziehen zu lassen.
Distals Vater, der Händler Dingo hatte sich in jungen Jahren auf eine lange Reise begeben und die Stadt Zegan gefunden. Die Menschen dieser Stadt, sie nannten sich nach ihrer Stadt Zeganiten, hatten sich von den Traditionen der Jagdnomaden entfernt und waren zu sesshaften Bauern, Handwerkern und Händlern geworden. Dort hatte Dingo seine Frau, Distals Mutter kennen gelernt, sie hatte sich in den starken, gut aussehenden Nomaden verliebt und war mit ihm gegangen, nachdem er ihr versprach, als Bindeglied zwischen den Gebirgsnomaden und den Zeganiten ebenfalls sesshaft zu werden. Er hatte den Handelsposten am Fuße der Berge eingerichtet und dort lebte er nun seit geraumer Zeit. Seine Frau hatte ihm zwei Töchter und – als Nachzügler – einen Sohn geboren, doch die Geburt des Sohns hatte ihr eigenes Leben gekostet. Sie war während der Geburt verblutet.
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