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grinste, Brac fing wie immer an, zu singen und Amanoue benahm sich heute vorbildlich. Sie kamen gut voran und Henry ließ sie mittags nur kurz anhalten, damit sie sich erleichtern konnten und um die Pferde zu tränken. „He, Amanoue! Hier wird gepisst!“, rief Mati herüber, „Brac, pass auf, dass der nicht wieder abhaut!“ Amanoue wollte sich gerade etwas entfernen, doch Brac und Ravio waren schon bei ihm und nahmen ihn in ihre Mitte. „Man, warum stellst du dich denn so an?“, fragte Ravio, „gestern warst du doch auch nicht so prüde und heute willst du nicht `mal mit uns pissen! Oder bist du vielleicht doch `n Mädchen, hm?“, sagte er schmunzelnd zu ihm. Amanoue wurde rot und die beiden lachten. „Was ist jetzt?“, fragte Brac, „die sitzen schon wieder auf!“, meinte er, doch Amanoue schüttelte verlegen seinen Kopf und stieg auf sein Pferd. Sie ritten weiter, doch irgendwann, sie waren bereits wieder gut unterwegs, wurde der Drang zu groß und Amanoue hielt es nicht mehr aus. Er lenkte die Stute zur Seite, steuerte eine Baumgruppe an, sprang vom Pferd und verschwand hinter einem Baum. Kurz darauf kam er erleichternd durchschnaufend wieder hervor, galoppierte zurück und reihte sich wieder ein, als wäre nichts geschehen. „Mädchen“, raunte Ravio spöttisch. Amanoue streckte ihm kurz die Zunge heraus. „Ph!“ Sie hatten angefangen einen Bogen zu reiten, hielten dann direkt auf den Fluss zu und Amanoue sah Brac fragend an. „Die Furt“, sagte der und deutete nach vorn. Die ersten Reiter waren bereits mitten im Fluss, auch der König. Es ging zügig voran und bald war die vorderste Gruppe, Matheos Abteilung, am anderen Ufer. Amanoue zügelte die Stute und blieb stehen. „Was ist?“, fragte Brac. „Ich geh` da nicht `rein!“ „Das ist jetzt `n Witz, oder?“ Amanoue schüttelte energisch seinen hübschen Kopf, wendete sein Pferd und ritt ein Stück davon. „He, spinnst du?“, rief Ravio ihm nach und sah Brac fragend an. „Was macht `n der?“ Fast die Hälfte von Falcos Männern war schon ins Wasser geritten, der Fluss war hier ziemlich breit und das Wasser reichte den Pferden gerade bis zum Bauch. Falco selbst stand mit Mati in der Mitte des Flusses und beaufsichtigte alles, bis sie auf die Gruppe, die letzten sechs, aufmerksam wurden. Die schienen in eine heftige Diskussion verstrickt zu sein und machten keinerlei Anstalten, den Fluss zu überqueren. „Was machen die da schon wieder!“, stöhnte Falco und ritt zu ihnen zurück. „Könntet ihr mir
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verraten, was ihr da treibt?“, rief er ihnen zu. „Amanoue will nicht über den Fluss!“, rief Finn zurück. Falco seufzte gequält auf. „Und warum nicht?“, er war jetzt bei ihnen und sah ihn genervt an. „Er sagt, dass er ertrinken wird, wenn er in den Fluss fällt!“, antwortete Finn völlig ernst. Falco sah ihn an, als ob der sie nicht alle hätte, doch Finn zuckte nur nickend, mit den Schultern. Brac redete derweil beruhigend auf Amanoue ein, beschwor ihn geradezu. „Komm schon, es wird dir nichts passieren. Sieh doch, das Wasser ist gar nicht tief hier! Selbst wenn du hineinfällst, könntest du noch stehen“, meinte er sanft. Doch Amanoue schüttelte wieder seinen Kopf und machte jetzt sogar Anstalten, in die entgegengesetzte Richtung davon zu reiten. Falco ließ einen verärgerten Ton hören, der fast wie ein Knurren klang, trieb sein Pferd an und versperrte ihm den Weg. Er griff in die Zügel der Stute und hielt sie fest. „Könntet Ihr mir mal verraten, wo Ihr hinwollt?“ „Weiß nicht! Zurück!“ „Zurück? Wohin? Ins Hurenhaus?“, schrie Falco ihn an. „Da habt Ihr aber einen weiten Weg vor Euch!“ Amanoue funkelte ihn wütend an. „Lasst mein Pferd los! Ich werde nicht ins Wasser reiten! Ich werde ertrinken!“, sagte er und seine Stimme klang nun verzweifelt. „Woher wollt Ihr das wissen?“, fragte Falco noch immer genervt. „Weil ich es gesehen habe!“ „Blödsinn! So jetzt reicht es!“ Falco ritt los, zog die Stute hinter sich her, Amanoue zog hart an den Zügeln und trieb sie in die andere Richtung, weg vom Fluss. Falco lehnte sich blitzschnell zu ihm hinüber, packte ihn an den Haaren, die wieder offen waren und zerrte ihn fast aus dem Sattel. Amanoue trat mit seinem Fuß nach Falco und traf ihn hart am Oberschenkel. Dadurch verlor der Hauptmann das Gleichgewicht und fiel zwischen die Pferde, ließ Amanoue aber nicht los, sondern riss ihn ebenfalls mit zu Boden und beide Tiere liefen erschrocken davon. Amanoue schrie auf vor Schmerz und Zorn und biss Falco in den Arm, woraufhin der nun ebenfalls aufschrie, Amanoue kurz losließ aber sofort mit der anderen Hand zuschlug. Amanoues Kopf fiel zur Seite und Falco schlug nochmals zu, traf ihn mit der Faust am Kinn und Amanoue rührte sich nicht mehr. Der Hauptmann stand auf, schob den Hemdsärmel zurück und verzog das Gesicht. Deutliche Bissspuren waren zu sehen und es blutete sogar leicht. „Miststück!“, murmelte er, packte Amanoues Arme, hob ihn hoch und warf ihn sich über die Schulter. Dann fiel sein Blick auf die restlichen fünf Soldaten, die wie angewurzelt dastanden, ihn anstarrten und dümmlich angrinsten. „Was glotzt ihr so?! Macht, dass ihr über den Fluss kommt! Und nehmt sein Pferd mit!“, brüllte er sie an, dann stieß er einen lauten Pfiff aus und sein Wallach kam zu ihm getrabt. Er
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warf Amanoue über den Sattel, stieg auf, packte ihn hinten am Kragen, wuchtete ihn herum und zog ihn unsanft dabei hoch. Amanoue saß jetzt vor ihm, zwischen seinen Armen und lehnte an Falcos Brust. Er lenkte sein Pferd zum Fluss und gerade als es ganz im Wasser war, kam Amanoue wieder zu sich. Als er sich bewegte, umfasste Falco dessen Taille und drückte ihn fest an sich. Amanoue rappelte sich auf und wollte sich aus der Umarmung befreien, doch Falco hielt ihn nur noch fester. „Sch“, machte er, „ganz ruhig! Es wird dir nichts passieren. Solltest du allerdings wieder Unsinn machen, werfe ich dich eigenhändig in den Fluss und sehe dabei zu, wie du absäufst! Alles klar?“, raunte er und Amanoue hielt augenblicklich still. Als das Wasser tiefer wurde, drückte er sich ängstlich gegen Falco, legte seine Arme um dessen Hals und blickte ihm direkt in die Augen. Er atmete heftig und sein Herz schlug wie wild. „Isch werde ertrinken“, sagte er leise und Falco schüttelte den Kopf. „Das werde ich nicht zulassen“, antwortete er fast sanft und sah ihm dabei ebenfalls fest in die Augen. Amanoue lockerte seine Umarmung, hielt aber den Blickkontakt aufrecht, nahm einen Arm herunter, strich plötzlich mit seinen Fingerspitzen über Falcos Lippen, schob sie ihm ein wenig in den Mund und berührte kurz dessen Zungenspitze. Falco riss seinen Kopf zur Seite und sah ihn erschrocken an. „Was machst du da? Hör sofort auf!“, fuhr er ihn erschrocken an. „Isch will Eusch, Ihr könnt misch `aben“, hauchte Amanoue, „isch wollte Eusch schon von Anfang an, schon, als wir uns sum ersten Mal gesehen `aben“, gurrte er, fasste dem Hauptmann zwischen die Beine, rieb seine Hand an ihm und keuchte dabei leicht. Sie hatten fast das andere Ufer erreicht und Falco machte vor Schreck einen harten Ruck, mit dem Zügel. Der Wallach, der gerade das rutschige Ufer erklimmen wollte, stolperte dadurch, glitt aus und alle drei landeten im Wasser. Das Pferd rappelte sich sofort wieder hoch und sprang schnaubend an Land, während Falco und Amanoue kurz untertauchten und prustend wieder hochkamen. Das Wasser war nur etwas mehr als knietief, doch der Hauptmann packte Amanoue am Arm, zog ihn mit sich, die Böschung hinauf und ließ sich mit ihm fallen. Für einen Moment blieben sie einfach nur liegen, Falco halb auf Amanoue und beide sahen sich erneut in die Augen. Falco hob seine Hand, strich ihm übers Gesicht und fuhr mit den Fingerspitzen die Konturen seines lieblichen Mundes nach, Amanoue reckte sich ihm entgegen und beide berührten sich sanft mit den Lippen. Falco schloss kurz seine Augen, dann stand er ruckartig auf, fuhr sich verwirrt mit beiden Händen übers Gesicht und blickte auf ihn nieder. „Ihr seid nicht ertrunken, genau wie ich sagte“, meinte er kalt und ging rasch davon. „Was war das denn?“, fragte Finn verlegen, „habt ihr das gesehen?“ „Kein Wort darüber!“, zischte Mati ihnen zu, „habt ihr verstanden?!“ Er sah sie eindringlich
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