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„Tja, dann kommt mal", meinte Brac und kratzte sich nachdenklich am Kinn. Er war ein Bär, von einem Mann, hatte aber ein freundliches, fast sanftes Gesicht. Amanoue reihte sich ein, ritt nun links neben ihm und nickte ihm schüchtern zu. „Gut, ähm also, das ist Matto", Brac deutete auf den Reiter, der direkt vor Amanoue ritt, „nicht zu verwechseln mit Mati, der gerade mit dem Hauptmann weg ist. Der daneben ist Finn", er deutete vor sich, „unser Jüngster, also ähm, bis jetzt jedenfalls. Wie alt bist du, Finn?" „Achtzehn!", kam zur Antwort. „Wie alt seid Ihr?" „Ich weiß es nicht", sagte Amanoue, zuckte leicht mit den Schultern und ohne einen von ihnen anzusehen. „Wie, Ihr wisst es nicht? Jeder, weiß doch wenigstens ungefähr, wie alt er ist." „Ich weiß gar nichts, über mich", erwiderte Amanoue leise, „außer, dass ich aus einem Freudenhaus komme und eine Hure bin“, meinte er und sah jetzt Brac kurz ins Gesicht. „Scheiße Mann, aber ich sag Euch was, wenn Ihr nicht so `nen ulkigen Akzent hättet, würd` ich jetzt glatt losheulen!", antwortete Brac, fing an zu lachen und auch die Anderen stimmten mit ein. Amanoue lächelte zwar kurz, blickte dann aber wieder verlegen auf seine Hände. „Mann, also, dann zu den zwei Figuren hinter uns", meinte Brac, als sie sich wieder beruhigt hatten. „Der hinter Euch, der Blonde, ist Ravio", Amanoue drehte sich leicht um und Ravio deutete eine Verbeugung an, „und der neben ihm, der so sauertöpfisch `dreinschaut, ist Alecto. Die Zwei sind unzertrennlich, wie zwei Arschbacken! Du wirst nie den Einen, ohne den Anderen sehen!" Amanoue musste wieder lächeln und Ravio grinste ihn freundlich an. Die Beiden ritten ganz zum Schluss und so drehten sich Brac und Amanoue wieder nach vorn. „Nun, ich denke, dass reicht erst mal. Den Rest der Bande werdet Ihr schon noch kennenlernen. Wir wollen Euch ja nicht gleich überfordern", sagte Brac und grinste ihn an. Der Zug hatte sich längst in Bewegung gesetzt und als Amanoue den Wind in seinen langen Haaren spürte, hätte er am liebsten laut aufgeschrien, vor Freude. Das erste Mal, seit langem, fühlte er sich frei, nur sein rechter Arm brannte ein wenig.
Kaum, dass sie losgeritten waren, fing Brac an zu singen und seine Stimme klang unerwartet schön und hell. Die Lieder, die er sang, waren zwar ausnahmslos schmutzige Soldatenlieder, aber trotzdem fand Amanoue sie wunderschön. Er verstand nicht alles, doch einige Textzeilen trieben ihm die Schamesröte ins Gesicht. Sie kamen gut voran und schließlich, als die Sonne hoch am Himmel stand und unbarmherzig auf sie niederbrannte, hielten sie an um auszuruhen. Sie waren alle von ihren Pferden gestiegen, reckten sich und fingen an ihre Tiere zu tränken. Seit Tagen ritten sie an einem
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Fluss entlang, der eine natürliche Grenze zwischen Tirana und Austrien bildete. Finn hatte Amanoues Stute mitgenommen und so hatte Amanoue sich am Ufer ins Gras gelegt und war wenige Augenblicke später eingeschlafen. Er lag mit ausgebreiteten Armen da, schön wie ein Schmetterling und trug nur die alte Tunika des Königs, die ihm allerdings viel zu groß war. Als er sich bewegte rutschte sie auf einer Seite tief herunter und gab seine gesamte rechte Brusthälfte preis. Falco stand über ihm und sah auf ihn hinab. Er blickte auf Amanoues harte, kleine Brustwarze, atmete tief ein und aus, stieß Amanoue mit dem Fuß an, der streckte sich gähnend, setzte sich auf und sah ihn fragend an. Die Tunika war ihm immer noch, über die Schulter gerutscht. „Bedeckt Euch", sagte der Hauptmann kühl, „wir sind hier nicht mehr im Hurenhaus! Und ab morgen werdet Ihr ein Hemd tragen!", befahl er, drehte sich um und ging. Amanoue saß da, blickte dem Hauptmann nach und eine seltsame Unruhe erfasste ihn. Sein Herz schlug plötzlich heftig und tat fast weh. Er zog sich die Tunika zurecht, erhob sich und als er sich umdrehte, sah er, dass die Soldaten ihn alle anstarrten. Am liebsten wäre er im Erdboden versunken, reckte dann aber seinen Kopf in die Höhe, ging aufrechten Hauptes zu Finn und nahm ihm die Zügel der Stute aus der Hand. „Aufsitzen!", kam schließlich der Befehl und alle stiegen in ihre Sättel und reihten sich wieder ein. Die ersten Minuten sagte keiner ein Wort, doch dann ließ Brac unüberhörbar einen fahren und Alecto stöhnte hinter ihm laut auf. „Mensch, Brac, du alter Dreckskerl, noch so`n Ding und mein Gaul bricht zusammen!", maulte er und alle fingen wieder laut an zu lachen. Brac begann zu singen und so setzten sie ihren Ritt fort, bis es anfing zu dämmern. Endlich hielten sie an, um das Nachtlager zu errichten und Amanoue versorgte die Stute dieses Mal selbst, sattelte sie mit Finns Hilfe ab und gab ihr Futter und Wasser. Um das Pferd des Hauptmannes kümmerte sich ebenfalls Finn und so schlenderte Amanoue zu ihm hinüber und streichelte dem Tier den Kopf. Es war ein großer, dunkelbrauner Wallach, mit einer hübschen, weißen Blässe, die ihm bis hinunter zum Maul reichte. Amanoue blies ihm sanft seinen Atem in die Nüstern und der Wallach schnappte spielerisch nach ihm. „Ein schönes Tier", sagte er zu Finn, klopfte dem Pferd nochmals den Hals, wandte sich dann um und verabschiedete sich. Als er zum Zelt des Königs spazierte, kamen ihm bereits dessen Offiziere entgegen, auch Falco. „Das ging aber schnell heute", rief er dem Hauptmann entgegen und der zuckte mit den Schultern. „Seine Majestät sind heute nicht besonders gut gelaunt, er hat uns ziemlich schnell verabschiedet. Hoffentlich kocht Brac `was Gutes, wir haben nicht mal `was zu essen bekommen“, antwortete Falco seufzend und Amanoue sah ihn mit schiefgelegtem Kopf an.
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„Und wieso?", fragte er verwundert. „Ich weiß es nicht, wir haben nur den morgigen Tagesablauf besprochen und der junge Satorius hat mal wieder den Mund nicht halten können, dann hat uns der König fast rausgeworfen“, meinte Falco und schnaubte zynisch. Sie grüßten sich nochmals kurz und Amanoue marschierte weiter zum Zelt, doch als er eintreten wollte, versperrten ihm die Wachen, Ravio und Alecto, den Weg. Die Soldaten sahen ihn kurz an und Alecto schüttelte den Kopf. Amanoue stand einen Moment ratlos da und ging dann zurück zu Falco, der sich noch mit dem General und dem Herzog unterhielt. „Nanu, was ist denn?", fragte der Hauptmann überrascht. „Die lassen mich nicht ins Zelt!", antwortete Amanoue unsicher. Die Drei sahen sich verwundert an, der Herzog zuckte mit den Schultern und Falco blickte sich um. Hauptmann Matheo ging gerade davon, Graf Satorius stand bei seinem Pferd und sprach mit Sebastian, dann stieg er auf und ritt davon, jedoch ohne seinen Sohn, von dem weit und breit nichts zu sehen war. „Ihr könnt derweil bei mir bleiben", sagte er zu Amanoue und wandte sich an den Herzog. „Satory ist nicht da!", flüsterte er ihm zu, sie blickten sich in die Augen und der Herzog schüttelte kaum merklich den Kopf. „Das würde er nie tun", raunte er leise zurück, klang allerdings nicht gerade überzeugt. Der General hatte sich ebenfalls verabschiedet und war bereits gegangen und nun schüttelte auch Falco ungläubig seinen Kopf. „Nein, ganz sicher nicht", flüsterte er zurück und sah kurz zu Amanoue. Der Herzog zuckte erneut mit den Schultern. „Hoffentlich habt Ihr Recht, Hauptmann, aber so wütend, habe ich seine Majestät schon lange nicht mehr erlebt! Ich dachte schon, er würde dem kleinen Satory, an die Kehle springen!", antwortete er, klopfte Falco noch auf die Schulter und ging seufzend davon. „Kommt", raunte Falco zu Amanoue und sie marschierten hinüber zum Abteil der Wachen, die für die heutige Nacht eingeteilt waren.
Als der König seine Offiziere entlassen hatte, war er ebenfalls aufgestanden und als Hauptmann Satorius an ihm vorbeiging, versperrte der König ihm den Weg. „Ihr bleibt!", raunte Henry leise, aber energisch. Satorius war etwa so groß wie er, aber nicht so kräftig gebaut und wie immer, lag ein spöttischer Zug um seinen Mund. Er hatte ein ausgesprochen hübsches Gesicht, mit großen, blauen Augen und dunklen Wimpern und Augenbrauen, die einen schönen Kontrast zu seinen blonden Haaren bildeten. Sein Mund war überaus sinnlich, mit ungewöhnlich weichen, roten Lippen. Der Bartwuchs hatte sich noch nicht richtig durchsetzen können und so glänzten nur spärlich, ein paar goldene Härchen auf seiner Oberlippe.
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