»Was soll das? Wollen Sie mich verarschen? Ein verspäteter Aprilscherz, oder versteckte Kamera? Sie jagen mich wegen einem toten Dackel hier rauf, verlangen nach Spurensicherung und Mordkommission? Sie sind nicht ganz sauber?«
»Ich bitte Sie. Wie kommt denn ein Dackel aufs Dach? Schließlich tot in eine Dachrinne, und dann das alles bei einem vereitelten Einbruch in die besagte Villa hier?«
»Ein Einbruch? Davon hat mir niemand etwas erzählt. Und dafür bin ich auch nicht zuständig. Also was soll das alles hier?«
»Wollen wir das hier oben auf der Leiter besprechen oder können wir wieder hinunter?«
»Natürlich will ich wieder hinunter. Wem gehört der Hund?«
»Den Besitzern der Villa, einem Bauunternehmer. Die Tochter des Hauses hat den toten Hund entdeckt. Nur zu dem Zeitpunkt wusste sie noch nicht, dass er tot war. Sie dachte er hätte sich auf dem Dach verlaufen und säße in der Dachrinne fest. Deshalb der Anruf an die Feuerwehr. Wir konnten nur noch seinen Tod feststellen. Haben ihn aber nicht berührt. Spurensicherung ist Ihre Aufgabe. Aber eines ist sicher: Er ist keines natürlichen Todes gestorben. Das ist gewiss.«
»Und dann haben Sie gedacht, das ist ein Fall für die Mordkommission, weil wir so wenig in Freising zu tun haben. Sie Vollidiot. Das hat ein Nachspiel«, wetterte Kreithmeier von oben auf den Feuerwehrmann herunter.
»Ich bitte Sie, das ist doch nahe liegend.«
»Schwachsinn. Wir sind nicht für ungewöhnliche Todesfälle bei Vierbeinern zuständig. Da hätte es gereicht, wenn Sie einen Tierarzt geholt hätten. Auf geht’s. Klettern wir wieder herunter.«
Kreithmeier blickte nach unten, dabei passte er vorsichtig auf, dass er seine Füße fest auf den Leitersprossen absetzen konnte. Sein Blick schweifte von oben über die Köpfe der Schaulustigen. Dabei entdeckte er keine Autolänge vom Feuerwehreinsatzfahrzeug entfernt, eine Person auf das Haus zu kommen, deren Gang er nur zu gut kannte. Hüfte und blonde Mähne schwingend stakste seine Partnerin auf die Gruppe zu. Mit einer kecken Bewegung wehte sie sich das lange Haar aus dem Gesicht und winkte ihm zu, während sie wie ein Mannequin auf dem Laufsteg in knappem Rock und hohen Absätzen lächelnd in seine Richtung stolzierte.
Das hatte ihm noch gefehlt. Melanie Schütz hier. Und er auf der Leiter mit diesem schrecklichen Helm auf dem Kopf. Er sah beileibe nicht aus wie der Held, der unter Einsatz seines Lebens ein junges Mädchen aus den tobenden Flammen rettet. Nein, er sah ganz einfach bescheuert aus, und das wusste auch sie. Auf der letzten Stufe angekommen, nestelte er sich den Schutzhelm vom Kopf , drückte ihn ohne hinzuschauen irgendjemanden in die Hand, kletterte vom Feuerwehrwagen und stand seiner Kollegin sprachlos schwer schnaufend gegenüber.
Sie sah ganz einfach glänzend aus. Kurzer knapper Rock, hoch gepuschter Busen, ein strahlendes Lächeln und ihre langen blonden Haare. Obwohl es früh am Morgen war, hatte sie keine Schlafffalten, einen gesunden Teint und eine positive Ausstrahlung als ob sie gerade von einer Castingshow, »Deutschland sucht die Toppolizistin“, gekommen war. Neid, Neid, Neid.
Plötzlich war nicht mehr er der Held, der sich auf die Leiter geschwungen und sich der Gefahr der Höhe gestellt hatte, nein, sie stand jetzt im Mittelpunkt. Nicht der verknöcherte frustrierte sitzen gelassene Mittvierziger mit Anzug vom K+L Ruppert und Schuhen vom Deichmann, grauen Haaren und Mundfalten, nein eine junge dynamische weltoffene Polizistin, zwar aus den neuen Bundesländern, was vermeintlich zu hören war, wenn sie den Mund aufmachte, verschlang die Aufmerksamkeit der Anwesenden. Wie er das hasste.
Und dann die Schuhe. Highheels mit zehn Zentimetern oder noch mehr. Wie konnte sie in solchen Schuhen einem flüchtigen Täter hinter rennen? Gott sei Dank waren sie beide nie in diese Situation gekommen, sie mit ihren Schuhen und er mit seiner Kondition, die nur für ganze 100 Meter ausreichend war. Wenn überhaupt?
»Alles im Griff?«, unterbrach Melanie Schütz seine Gedanken. Alois Kreithmeier brachte nur ein unverständliches »Schau ma amoi« heraus. Einer seiner Lieblingssprüche, den er vom Franz Beckenbauer abgeschaut hatte.
»Der Tote ist ein Hund, ein Dackel, richtig?«, fragte sie laut.
»Ja, richtig!«, murmelte er.
»Und jetzt? Was machen wir? Die Spusi ist auf dem Weg. Es klang wie eine männliche Leiche, nicht wie ein Zamperl?«
Kreithmeier hasste es, wenn Melanie mit ihrer sächsischen Aussprache bairische Worte in den Mund nahm. Obwohl sie ihm immer treu versicherte, ihr Dialekt sei nicht sächsisch, denn sie stamme aus Thüringen. Sächsisch wäre noch viel schlimmer. Münchnerisch sei auch nicht bairisch konterte sie immer, wenn er sie darauf ansprach und er den Unterschied zwischen den beiden Dialekten nicht verstehen wollte.
»Ein Rauhaardackel, um es genau zu sagen. Und vermeiden Sie bitte diese bairischen Ausdrücke. Es klingt dämlich aus Ihrem Mund«, flüsterte er ihr zu. Sie lachte nur und zeigte dabei ihre weißen Zähne. Sie nahm ihn nicht Ernst. Sie zog ihn auf, wie und wann sie nur konnte. Er ging nicht darauf ein und sagte laut, dass es alle hören konnten:
»Der tote Hund liegt in der Dachrinne in etwa zehn Meter Höhe. Ein Dackel klettert normalerweise nicht auf ein Dach. Er ist ja keine Katze. Also muss der oder die Täter den Leichnam dort oben abgelegt haben. Wie sollte er sonst dort hinauf kommen?«
»Und was haben wir damit zu tun?«, fragte Melanie ihren Kollegen mit einem Lächeln auf den Lippen. Ihr Lächeln war schwer einzuschätzen. Lachte sie ihn aus oder war sie nur ganz einfach nett, weil es ihre Art war, immer nett zu sein. Bei dem berühmten Spiel, böser Cop, guter Cop, würde sie immer den Netten spielen und er Alois Kreithmeier den bösen, von allen gehassten und gefürchteten, Cop.
»Ich wollte nur wissen, was wir damit zu tun haben?«, wiederholte sie ihre Frage und brachte Kreithmeier aus seinen Gedanken wieder zu ihr.
»Das weiß ich doch nicht. Das ist doch alles ein Missverständnis. Mich rufen sie beim Gassi gehen mit Gizmo an und sagen mir nur am Telefon, dass sie eine Leiche gefunden haben. Mehr nicht. Alles ganz geheimnisvoll. Und jetzt liegt ein toter Köter auf einem Dach einer Villa. Fertig. Ich fahre jetzt. Sollen sich doch andere Deppen darum kümmern. Ich habe mich heute schon genug zum Deppen gemacht. Einmal reicht mir.«
»Jetzt warte halt mal!«
Melanie Schütz duzte ihn, seit sie sich kannten. Es war in den neuen Bundesländern üblich gewesen, sich zu duzen. Er siezte sie. Doch das kümmerte sie nicht im Geringsten.
»Alois jetzt warte halt mal. Das ist doch noch nicht alles, oder? Einer der Feuerwehrleute hat mir erzählt, in die Villa wäre eingebrochen worden. Das wäre dann schon unser Zuständigkeitsrevier, oder sollen wir die Kollegen aus Erding holen?«
Erding, Erding, bei dem Wort zuckte er zusammen. Es war schon ein Affront, dass ihre Polizeiinspektion in dem unbedeutenden Städtchen Erding ansässig war und nicht in der Kreis- und Domstadt Freising. Zwischen Erding und Freising gab es immer Konkurrenz, ob um die Nähe zum Flughafen - der Freisinger Flughafen im Erdinger Moos - um Einkaufen und Shopping oder um die Polizeiarbeit. Freising, die weitaus größere und bedeutendere Stadt war polizeitechnisch und disziplinarisch den Erdingern unterstellt. Ein Witz, dachte Kreithmeier, die Erdinger brauchte er hier nicht. Und schon gar nicht bei diesem Fall, der eigentlich gar kein Fall war. Vor allem brauchte er nicht den Spott der Kollegen. Ein toter Hund in der Dachrinne und schon war die Freisinger Kriminalpolizei am Einsatzort. Das wäre ein gefundenes Fressen für den Kantinentratsch. Und dabei konnten Polizisten so etwas von gefühllos und taktlos sein.
»Nein, wir brauchen keine Erdinger hier, das ist gewiss.«
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