Die Zulassungen und Unbedenklichkeitsbescheinigungen der Behörden für ihre Cremes und Salben hatte sie durch ihre Patente und die Produktion in der Firma und die notwendigen Gerätschaften konnten in dem Apartment immer aufgestellt bleiben. Sie konnte arbeiten wann immer sie Lust und Laune dazu hatte.
In der Hütte gab es weder Strom noch Warmwasser; aber das hatte sie ja genau so gewollt und sich erträumt. Und ihr Traum würde jetzt wahr werden.
Durch die Kündigungsfristen für ihre Arbeit und ihre Wohnung verbrachte sie die folgenden Wochenenden damit, die Hütte wieder richtig bewohnbar zu machen, sowie Holz für den Ofen zu sammeln. Die Eingangtüre versah sie mit einem massiven Vorhängeschloss und stellte ihre ersten Möbel in der Hütte ab.
Sie war immer sehr darauf bedacht nicht gesehen zu werden und auch keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Nachdem sie auch noch das Dach der Hütte wieder dicht gemacht hatte, war es soweit, sie konnte in die Hütte jetzt endgültig einziehen.
Ein Bett hatte sie sich selbst gebaut und auch ein bequemes grünes Sofa brachte sie alleine nachts mit großer Mühe in die Hütte. Tische, Stühle und ein kleiner Schrank waren hingegen kein großes Problem zu transportieren. Sie hatte es geschafft und war jetzt ziemlich kaputt von der ungewohnten körperlichen Arbeit.
Zurück blickend dachte Sie: „Gott sei dank hab ich von meinem Vater das handwerkliche Talent geerbt. Aber ich brauche noch mehr Holz zum heizen, na ja, nicht gleich, aber vergessen darf ich das nicht.“
Es war jetzt Anfang August und Dr. Dr. Erika Lang gönnte sich eine Auszeit. Sie hatte sich eine Hängematte besorgt und zwischen zwei Bäumen im Halbschatten ihrer Waldhütte, die im Bannwald zwischen Sommerberg und Kaltenbronn in Bad Wildbad lag, aufgehängt.
Hier konnte sie die totale Ruhe des Waldes und des nahen Hochmoors genießen und sich von der ungewohnten körperlichen Arbeit erholen. Sie hatte sich vorgenommen sich eine Woche lange Ruhe zu gönnen und dann auf die Suche nach Kräutern und Pflanzen zu gehen. Um einen guten Überblick zu haben, wollte sie die Fundorte auf ihrer topografischen Karte vermerken.
Die Tage vergingen und Dr. Dr. Erika Lang fühlte sich pudelwohl in ihrem neunen Zuhause. Sobald die Sonne schien, legte sich in ihre Hängematte oder schlich durch den Bannwald und am späten Abend durch das Hochmoor.
Sie wurde in ihren Bewegungen immer sicherer und schnell konnte sie sich lautlos durch den Wald oder das Hochmoor bewegen, ohne dass sie von jemandem bemerkt wurde.
In der Abgeschiedenheit fühlte sie sich sehr wohl. Einsam fühlte sie sich überhaupt nicht; sie hatte die Tiere des Waldes um sich und freute sich, wenn ein Vogel sich in ihre Nähe traute und fröhlich zwitscherte. Die Gegenwart von Menschen vermisste sie nicht.
Einmal in der Woche ging sie in die Stadt hinunter, um die wichtigsten Dinge, wie z.B. Lebensmittel, vor allem Kaffee, oder Hygieneartikel zu kaufen. Sie spazierte dabei über das Rollwasser und den Schlangengarten ins Tal. Durch ihre lautlose Fortbewegung hatte sie dann einmal sogar das Glück im Schlangengarten eine sich sonnende Kreuzotter zu sehen.
Beim Weitergehen fiel ihr eine Rezeptur für ein Medikament ein, dessen Hauptbestandteil das Gift der Kreuzotter ist, blutdrucksenkende Wirkung hat und oft bei arterieller Hypertonie und Störungen des Gerinnungssystems und auch zur homöopathischen Behandlung von Schmerzzuständen eingesetzt wird. Als sie darüber nachdachte musste sie plötzlich laut lachen und fing an wie ein Teenager rhythmisch zu hüpfen. Dazu sang sie laut: „Das geht mich nichts mehr an“.
So war sie dann auch schon nach einer knappen halben Stunde am Supermarkt am Ortsrand von Bad Wildbad angekommen. Als sie in die spiegelnden Fenster des Marktes sah, erschrak sie und brummte lustig: „ich hab mich doch noch umziehen wollen. Ach, egal. Dann ist die Kräuterhexe eben wieder auferstanden. Sollen die Leute doch denken was sie wollen. Wenn denen meine Kleider nicht gefallen, ist das deren Sache.“
Sie hatte einen langen dunklen Rock und eine rote sehr weit geschnittene Tunika an, dazu Sandalen und ihre kräuselnden Haare waren mehr grau als brünett wie sonst üblich. Es fehlten nur noch ein Hexenhut und Zauberbesen um eine Hexe aus einem Kinderbuch darzustellen.
Heute war ihr das alles egal. Sie ging in den Supermarkt hinein, bemerkte die komischen Blicke der anderen Kunden und Verkäuferinnen, nahm sich die Dinge die sie einkaufen wollte, bezahlte und ging lachend aus dem Supermarkt. Unzählige Augenpaare folgten ihr.
Dr. Dr. Erika Lang hatte durch das Erlebnis im Supermarkt eine unbändige Lebensfreude. Sie lachte und hüpfte wieder wie ein Teenager über den Parkplatz des Supermarktes und machte sich auf den Weg zu ihrem neuen Zuhause. Während sie ging lachte sie: „Sollen die doch ihren Willen haben. Ab sofort bin ich die Moorhexe Irmelie vom Hochmoor.“ Sie hatte unbändigen Spaß an dem Gedanken Hexe oder Kräuterfrau zu spielen.
Nach der Hälfte des Weges beruhigte sie sich wieder, aber der Gedanke Hexe zu sein, hatte sich in ihrem Kopf verfestigt. Sie nahm wieder ihren lautlosen Gang auf und wanderte zielstrebig ihrem Ziel, der einsamen Waldhütte zu.
Sie war bereits im Bereich des Bannwaldes als sie aus dem Waldesinneren ein entferntes Quicken hörte. „Da ist wohl eine Wildschweinfamilie unterwegs“, dachte sie und ging ihres Weges, allerdings ging sie sehr vorsichtig weiter, weil Wildscheine doch recht gefährlich werden können, wenn Frischlinge dabei sind. Das Quieken wurde immer leiser und Erika Lang erreichte ihre Hütte.
Ihre Einkäufe räumte sie gleich ein, nahm sich ein Buch und legte sich in ihre Hängematte. Sie las und träumte vor sich hin, als sie wieder anfing zu lachen. „Ja, ich bin ab heute die Kräuterhexe Irmelie vom Hochmoor. Jetzt brauche ich nur noch einen Raben und einen Besen, dann könnte ich die ganze Gesellschaft hier auf der Grünhütte mal so richtig aufmischen“, flüsterte sie heiter vor sich hin. „Morgen werde ich mal nach den Heidelbeeren sehen, anfangen zu sammeln und Kräuter zu kartieren“, dachte sie jetzt wieder ernst werdend.
Am nächsten Morgen machte sie sich bereits um 4 Uhr mit ihrem Reisigkorb und ihrer topografischen Karte auf den Weg. Sie hatte noch keinen Plan, was sie wo finden würde, aber das würde sich in der nächsten Zeit sicherlich schnell ändern.
Lautlos bewegte sich Irmelie jetzt durch den Wald. Nicht einmal 100 m von ihrer Hütte entfernt, fand sie Unmengen von Heidelbeeren mit Früchten, so groß wie sie sie vorher noch nie welche gesehen hatte. Sofort begann sie ihren Korb zu füllen. Bereits nach einer halben Stunde hatte sie ihren Korb voll und brachte ihre Ausbeute in die Hütte. Sie wusste, dass die gesammelten Heidelbeeren durch den Morgentau die meiste Kraft entwickelten und freute sich schon darauf sie zu kosten.
Anschließend zog sie wieder los um sich in Ruhe in ihrer Umgebung umzusehen und Pflanzen zu kartieren. Sie streifte durch den dicht bewachsenen Bannwald und hatte eine Menge Pflanzen, die als Heilpflanzen bekannt sind zu notieren.
Was sie fand, überraschte sie selbst sehr. Sie hatte zwar erwartet Tannen, Wollgras, Ginster usw. zu finden, aber sie fand Pflanzen, Heilpflanzen, die sie nicht zu finden gehofft hatte. Heidekraut, Torfmoose, Faulbaum, Rauschbeere, Nachtkerzen und vieles mehr. Auch einen Eibenbaum fand sie, der eigentlich nicht in diesen Wald gehörte. Der Baum war ihrer Meinung nach bereits 40 bis 50 Jahre alt. Sie wusste, dass die Samen und das Gehölz des Eibenbaumes sehr, sehr giftig sind. Giftiger sogar als der bekannte Fingerhut, Digitalis, aber bei genauer Dosierung können die Nadeln ein sehr wirksames homöopathisches Heilmittel sein. Den Standort des Baumes markierte sie sehr auffällig, einen Grund weshalb sie das tat wusste sie selbst nicht.
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