Dann feuerten die anderen Xeter-Gefechtskreuzer ihre Absolute-Torpedos und Tachyonlanzen ab. Die Städte vernichtenden Torpedos schienen zu jedermanns Entsetzten in dem Schleier des Objekts zu verlangsamen und nahezu zum Stillstand zu kommen, bis sie schließlich wie im Nichts verschwanden ohne zu detonieren. Die Tachyonstrahlen, die nicht mit Projektilen sondern mit Energiestrahlen gleichzusetzen waren, durchdrangen den Schleier, schienen jedoch keine ersichtliche Wirkung auf der seltsamen Oberfläche des kaulquappenartigen Gebildes zu haben.
Schreiende und entsetzte Stimmen von Majoren und Offizieren schallten über sämtliche Kom-Verbindungen in die Brücke der Stronghold herein wie ein abscheulicher Chor.
Ein weiterer Xeter-Kreuzer und acht Tachyon-Scarlets wurden zerfetzt. Die Statusanzeigen auf dem Hauptmonitor erloschen wie Lichter bei einem Stromausfall. Etwa die halbe Stärke an Scarlets war nur noch im Einsatz. Die acht verbliebenen Xeter-Kreuzer feuerten aus allen Rohren. Die wirkungslosen Absolute-Torpedos waren verbraucht. Lediglich die Tachyonlanzen fegten wie ein Lichtermeer, ein Regen aus weißen Strahlen von allen acht Schiffen auf das Objekt, ohne hinter dem verschwommenen, wabernden Schleier eine Wirkung zu zeigen.
Ein weiterer Xeter-Gefechtskreuzer wurde zerstört. Sieben waren noch übrig. Zwanzig Scarlets. Sechzehn. Zwölf.
Die vier weiteren feindlichen Schiffe kamen dem Ort des Gefechts bedrohlich nahe.
»Captain.« Es war Khaust, der sprach. Er klang erstaunlich ruhig. »Captain. Was befehlen sie?«
Morgaine war starr. Ihr Gesicht war leichenblass und sie brachte kein Wort heraus. In ihrer gesamten Karriere hatte sie noch nie etwas Derartiges erlebt.
Dies war kein Fehler, kein Desaster. Dies war die Hölle.
»Captain. Wir sind unterlegen. Das ist ein Feind, gegen den wir nichts ausrichten können. Wir müssen uns zurückziehen. Sofort.«
Sechs Xeter-Kreuzer. Fünf. Vier Tachyon-Scarlets.
»Captain.«
Alle Scarlets zerstört. Vier Xeter-Kreuzer.
»Captain!« Khaust schrie Morgaine an.
Sie zuckte leicht zusammen und blickte langsam auf. Ihre Augenlider zitterten unkontrolliert. »Rückzug«, hauchte sie.
Khaust ließ nicht auf sich warten. »An die komplette Gefechtsstaffel! Sofortiger Rückzug, ich wiederhole: Sofortiger Rückzug!« Aus dem Gewirr von Stimmen und Schreien, die aus dem Kom drangen und deutlich hörbar weniger wurden, war keine konkrete Antwort zu vernehmen. Ein Blick auf den Hauptmonitor jedoch zeigte, dass zwei der Xeter-Kreuzer deutlich ihren Kurs änderten. Sie rotierten seitlich und schienen den neuen Kurs aufzunehmen. Eins der beiden Schiffe wurde zerstört. Das Bild der Frontalkamera erlosch, so auch die Statusanzeige. Das andere Schiff beschleunigte. Es musste bereits eine Geschwindigkeit von einem Zehntel Licht erreicht haben, als es der schwarze verbogene Strahl der Länge nach aufriss. Dann kamen die vier anderen feindlichen Schiffe an.
Einer der zwei übrigen Xeter-Kreuzer setze nun ebenfalls seinen Kurs auf die Stronghold. Das andere feuerte noch immer aus allen Rohren mit Tachyonstrahlen auf das erste feindliche Schiff. Der schwarze Strahl zuckte und der vorletzte Xeter-Kreuzer zerbrach wie ein Stück Holz.
Der Letzte kam erstaunlich weit, aber alle fünf Schiffe folgten ihm. Der Xeter-Kreuzer war etwa auf halber Strecke zur Stronghold, als er wie ein Stück Kohle aufglühte und verendete.
Einige auf der Brücke brachen in Panik aus, weil die fünf Objekte nun geradewegs auf die Stronghold zukamen.
Doch Morgaine hatte in allem Chaos nicht überhört, wie der Ladevorgang der Absolute-Tachyonlanze abgeschlossen worden war. Die Lanze bündelte das Vierhundertfache einer normalen Tachyonlanze eines Xeter-Kreuzers und schickte es auf einen Punkt. Die Lanze war so groß, dass sie nicht als separat steuerbares Kanonengeschütz an der Olympfregatte angebracht werden konnte. Sie führte vom kompletten Zentrum des Schiffes durch den vorderen Teil und zum Bug hinaus und war somit fest mit dem Schiff verankert.
»Richten sie die Stronghold auf das erste der fünf Objekte aus. Tachyon-Spulen aufwärmen.« Morgaines Gesicht sah aus, als würde dort ein Gewittersturm toben.
»Ich schlage die sofortige Flucht vor«, antwortete Khaust.
»Sofort«, sagte Morgaine kalt.
Ohne den Blick von ihr abzuwenden, richtete Khaust mehrere Befehle an verschiedene Offiziere. Das Schiff vibrierte. Es richtete den gesamten Schiffskörper aus.
»Bereit, Captain«, sagte Khaust.
Morgaine klang emotionslos. »Absolute-Tachyonstrahl Feuer.«
Das gesamte Schiff schien zu zittern, als die Lanze abfeuerte und die Kühlaggregate kurzzeitig über achtzig Prozent der Gesamten Schiffsenergie in Anspruch nahmen. Morgaine hatte das Gefühl, als würde die Welt um sie herum kurz dunkler werden angesichts der enormen Energie, die soeben freigesetzt worden war.
Eine weiße Säule war auf dem Hauptmonitor zu sehen, die mit dem Zielobjekt verbunden schien. Alles wurde weiß wie bei einer Atomexplosion. Die Brücke stand einen Moment in gleißendem Licht.
Dann war absolute Stille zu vernehmen.
Alle starrten auf den Monitor. Wäre das Zielobjekt ein Mond gewesen, so hätte die Kamera nun lediglich ein Meer von Gesteinsbrocken gezeigt, die sich in gleichmäßiger, expandierender Bewegung vom Zielpunkt entfernt hätten.
Das feindliche Schiff jedoch stand immer noch da. Aber etwas hatte sich verändert. Der große verschwommene Schleier schien sich fast nicht mehr zu bewegen. Er sah mehr aus wie ein unregelmäßiges Stück Tüte über dem Monitor.
Ein unhörbares, aber scheinbar spürbares Stöhnen ging durch die Brücke.
Morgaines Vorteil war, dass sie absolut nichts erwartet hatte und kühl blieb. Dadurch gewann sie all ihre Fähigkeiten als Captain einer Olympfregatte endlich wieder zurück.
»Sofort Kurs auf die Position der Epos nehmen«, sagte sie ohne zu zögern und fügte schließlich hinzu: »Bericht?«
Der leitende Offizier der Scan- und Sensorstation antwortete langsam. »Das Objekt ist noch vorhanden, aber dieser Schleier darum scheint gewissermaßen außer Funktion zu sein, soweit ich das behaupten kann. Das Objekt bewegt sich nicht mehr. Ohne vage Vermutungen anstellen zu wollen, behaupte ich, dass wir es zumindest beschädigt und kampfunfähig gemacht haben.« Er machte eine kurze Pause, um erneut zu sprechen. »Es scheint, als hätten die anderen vier Objekte ebenfalls aufgehört, sich zu bewegen.«
Morgaine spürte, wie die Stronghold ihren Kurs änderte und sich neu ausrichtete. »Sie sind also nicht unaufhaltsam«, murmelte sie grimmig.
»Aber die anderen vier Schiffe setzen sich wieder in Bewegung!«, sagte der Offizier, der nun wieder schneller Sprach.
»AZK-Notfallgeschwindigkeit!« Morgaines Mission war erfüllt. Sie wusste, was sie nun wissen musste. Mehr konnte sie hier nicht erreichen.
»Bestätigt«, sagte der Steueroffizier, an dessen bleichen Gesichtsausdruck man erkennen konnte, dass er auch stark unter dem was passiert war gelitten hatte.
Morgaine sah Khaust an. Der schwieg nur und blickte viel sagend zurück.
»Captain, die Energieressourcen haben beträchtlich unter dem Einsatz der Absolute-Tachyonlanze gelitten. Wir können nicht lange mit Notfallgeschwindigkeit fliegen.« Der Offizier der Ressourcenstation hatte sich auf seinem Drehstuhl zu Morgaine umgedreht.
»Das wird auch nicht nötig sein.« Alle sahen zum leitenden Offizier der Scan- und Sensorstation. »Die Schiffe bewegen sich zwar schneller, als wir erst annahmen, können jedoch nicht im geringsten mit unserer Geschwindigkeit von neun Zehnteln Licht mithalten. Falls diese Geschwindigkeit, mit der sie sich gerade bewegen, ihr Maximum darstellt, so beträgt dieses ein zwanzigstel Licht.«
»Die erste gute Botschaft an diesem Tag«, knurrte Morgaine. Sie schaffte es immer noch zu verdrängen, dass sie eben fast die Hälfte ihrer Besatzung und gleichzeitig neunzig Prozent der kompletten Streitmacht der Stronghold in einem Massaker verloren hatte.
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