»Werde ich diese Mission leiten?«, fragte Khaust.
»Nein.« Morgaines Stimme klang wie ein Pistolenschuss. Es war durchaus üblich, den ersten Offizier auf eine Botschaftermission zu senden. Aber etwas in Morgaine sträubte sich dagegen. Sie hatte das Gefühl, dass sie Khaust hier brauchte.
Stattdessen setzte sie sich vor ihr Kommandopult und stellte ohne lange zu zögern mithilfe von Statistiken und dem Personenregister ein Team aus Leuten zusammen die sie nicht persönlich kannte. Bei einer Mannstärke von über zweitausend Besatzungsmitgliedern war es für sie selbstverständlich, dass sie über Personen verfügte und damit agierte wie mit Zahlen. Als Missionsleiter und Botschafter legte sie einen gewissen Carl Vesterham fest. Er hatte die Andragon-Interstellar-Akademie mit erstaunlich guten Leistungen abgeschlossen und arbeitete seit zwei Jahren als einer der Schiffsinternen Krakh-Botschafter auf der Stronghold.
Morgaine lud die Daten auf ein Script-Pad und reichte sie an Khaust. »Veranlassen sie, was nötig ist.«
»Jawohl.« Der erste Offizier ging zuerst zum Funkoffizier und verschwand anschließend durch die Haupttür.
Etwa zwanzig Erdminuten später startete das Botschafterschiff. Auf dem Hauptmonitor erschien das Gesicht eines jungen blonden Mannes Mitte zwanzig. Er war sichtlich nervös. Man konnte seiner faltigen, unordentlichen Uniform ansehen, dass er unter dem Zeitdruck des spontanen Befehls belastet gewesen war.
Er ist noch so jung, dachte Morgaine, fegte jedoch sämtliche Gewissensbisse fort wie mit einem Besen. Dies war ein Schiff des AKZ, nicht irgendein Kindergeburtstag.
»Carl Vesterham me ... meldet sich augenblicklich z ... zu Befehl!« stotterte Vesterham.
»Bestätigt.« Morgaine verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie haben die notwendigen Daten auf ihrem Bordcomputer, Vesterham. Fliegen sie zu dem Schiff und senden sie Begrüßungssignale auf allen Kurzstrecken-Frequenzen.
Sollte das Schiff feindliche Aktivitäten zeigen, werden sie eigenständig sofort den Rückzug vornehmen. Wir werden eine ununterbrochene Audio-Kom-Verbindung mit ihnen halten, um über die Geschehnisse auf dem Laufenden zu bleiben. Alles Gute.«
»Jawohl!« Vesterham beendete die visuelle Kom-Verbindung und begann, Befehle zu erteilen.
Der Hauptmonitor vor Morgaine hatte nun mehrere unterteilte Bilder, die unterschiedliche Objekte zeigten. Auf einem kleinen Abschnitt in der Ecke war immer noch die Sonde zu sehen, die ohne ein konkretes Ziel in den nexusfernen Raum schwebte. Im Zentrum des Hauptmonitors befand sich das fremde kaulquappenförmige Schiff, das in einem verschwommenen Schleier unnachvollziehbare und unregelmäßige Sprünge vollführte. In einem anderen großen Abschnitt war nun das längliche Botschafterschiff mit seinen zwei getrennten PGA-Kuppeln zu erkennen. Es bewegte sich auf das fremde Objekt zu.
Auch das große Hologramm vor der Kommandoplattform im Zentrum der Brücke zeigte ein blaues Objekt, das sich von der Stronghold fort auf das rote Objekt zu bewegte.
»Tempo drosseln auf Aufklärungsgeschwindigkeit«, sagte Vesterham gerade. »Annähern auf zehntausend Kilometer.«
Das Objekt hatte einen Durchmesser von etwa vier Kilometer, was der sechs Kilometer langen Stronghold durchaus Konkurrenz machte. Es vollführte seine seltsamen Sprünge in Abständen von etwa ein bis drei Kilometern.
Morgaine fand die Annäherungsentfernung von zehntausend Kilometern fast noch etwas gering, sagte jedoch nichts.
»Bereiten sie die Kom-Transceiver auf ein starkes Breitbandsignal vor.
Frequenzteiler auf alle Kanäle, AKZ-Priorität.« Vesterhams Stimme klang von Mal zu Mal fester und entschlossener. Morgaine war zufrieden mit ihrer Auswahl.
Das Botschafterschiff hatte sich nun sehr nahe dem fremden Schiff angenähert, wie sie auch auf dem Hologramm erkennen konnte. Wenn etwas passieren sollte, so wäre jetzt der Zeitpunkt gekommen. Morgaine spürte nichts, weder Angst noch Spannung. Sie war hochkonzentriert.
»Wir senden nun das Begrüßungssignal«, verkündete Vesterham.
Es lag eine fast unheimliche Stille über der Brücke der Stronghold. Lediglich das Summen des PGA und das einiger Computer war zu vernehmen.
Auch auf der Brücke des Botschafterschiffs schien Stillschweigen zu herrschen.
Sie antworten wieder nicht, dachte Morgaine. Sie glaubte nicht an beschränkte Sensor-oder Scanreichweite des fremden Schiffes. Wenn sie geantwortet hätten, hätten sie es schon getan, als die Stronghold versucht hatte, eine Kom-Verbindung aufzubauen.
»Bislang ... keine Reaktion ...«, bestätigte Vesterham schließlich Morgaines Verdacht. »Versuchen optische Signalprozedur.«
Es bestand unter Andragon-Wissenschaftlerkreisen die Theorie, dass eine fremde Rasse nicht zwangsläufig die gleichen Arten der Kommunikation im Raum benutzen musste wie die Andragon-Kantone oder die Krakh. Einige Wissenschaftler glaubten sogar, dass konventionelle Übertragungstechniken rückständig waren und fortschrittliche Rassen durchaus mit visuellen Mitteln Langstreckenkommunikation betrieben. Eine optische Signalprozedur wurde von den Andragon-Kantonen mit unausgereiften Pulslichtvorrichtungen durchgeführt, um in Fällen wie diesem eine Möglichkeit zu besitzen, provisorisch mit visuellen Mitteln zu kommunizieren.
Nach etwa zwei Erdminuten meldete sich Vesterham erneut zu Wort. »Auch in dieser Hinsicht keine sichtbare ... Reaktion ...«
Plötzlich schien einer der Offiziere auf der Brücke des Botschafterschiffes Vesterham zu unterbrechen. »Sir, etwas ... tut sich hier. Etwas an dem Schiff verändert sich.«
Morgaine warf dem Offizier der Scan- und Sensorstation auf ihrer Brücke einen fordernden Blick zu.
»Ich kann das bestätigen«, sagte dieser. »Dieser ... Schleier, der das Objekt umgibt, verändert seine Raumpräsenz. Die Hülle, oder als was auch immer man diese dunkle Struktur bezeichnen soll, scheint seine materiellen Bestandteile ununterbrochen zu verändern.«
Morgaine wurde gereizt. Sie verstand kein Wort. »Konkretisieren sie das so, dass ich es verstehe«, sagte sie bissig.
»Das ist nicht so einfach, Captain.« Der Offizier klang todernst. »Es ... Es ist so. Alles, egal was, besteht aus einem Stoff. Einer molekularen Zusammensetzung. So wie reines Wasser nur aus H2O-Molekülen besteht, verstehen sie was ich meine? Die Hülle des Raumschiffs scheint nicht an dieses Gesetz gebunden zu sein. Aus welchen Stoffen auch immer sie besteht, sie verändern ununterbrochen ihre komplette Daseinsform. Als würde aus H2O auf einmal CO2 werden und im nächsten Moment H2SO3 entstehen, völlig ohne Reaktion oder ohne ... Grund ... Das ist überhaupt nicht möglich! Oder unsere Scanner spielen völlig verrückt ... oder sie werden irregeleitet von irgendeinem Störsignal. Etwas stimmt ni ...«
Es war wohl mehr Morgaines unkontrollierte Nervosität als ihre Wut, die ihre Stimme lauter werden ließ. »Irgendein Signal, irgendetwas ... verdammt noch Mal, konkretisieren sie endlich ihre Angaben, Offizier! Wir sind hier auf einem der fortschrittlichsten Schiffe der gesamten Menschheit und besitzen die besten Technologien überhaupt. Erzählen sie mir nicht, sie hätten nicht die technischen Möglichkeiten, das was hier passiert zu ...«
Weiter kam Morgaine nicht. Auf dem Bildschirm war das fremde Schiff zu sehen, dessen verschwommener Schleier zu zucken und zu pulsieren anfing.
Im nächsten Moment schnellte ein kaum sichtbarer, stummer dunkelblauer Energieblitz daraus hervor und zerfetzte das Botschafterschiff in einer kurzen aufwallenden und sofort erstickenden Explosion. Ein lautes Zischen und eine folgende Stille waren aus dem Kom zu hören. Kaum Wrackteile waren auf dem Monitor zu sehen, wo gerade noch der junge Carl Vesterham mit seiner Fünfzig-Mann-Crew gewesen war.
Morgaine starrte wie von einem Schock getroffen auf den Monitor. Khaust, der die ganze Zeit an einem der seitlichen Verwaltungspulte gesessen und die Situation beobachtet hatte, war aufgesprungen. Auch die anderen auf der Brücke waren entsetzt.
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