»Eindeutig ... fe ... feindliche Reaktion«, stammelte der Funkoffizier völlig überflüssigerweise, was unter anderen Umständen fast als belustigend betrachtet hätte werden können.
Morgaine schluckte und versuchte sich zu fassen, da es nun ihre Pflicht war.
Sie verdrängte den Gedanken so gut es ging, gerade fünfzig Mann in den Tod geschickt zu haben und ergriff das Wort. »Alarmstufe Rot-Drei.« Ihr Mund war wie ausgetrocknet. »Da wir dieses Verhalten zwangsläufig als feindlich zu deuten haben, werden wir sofort notwendige Maßnahmen vorbereiten.«
Khaust realisierte, dass nun er angesprochen war, obwohl Morgaine immer noch wie gebannt auf den Monitor starrte, auf dem das kaulquappenförmige Objekt umherzuckte, als sei nichts passiert.
»Waffensysteme aktivieren: Geschütztürme, Absolute-Tachyonlanze. Tachyon-Scarlets und Xeter-Geschwader einsatzbereit machen.«
Einige Offiziere warfen ihr fragende Blicke zu. Die Stärke von Xeter-Gefechtskreuzern war enorm. Ein gesamtes Geschwader auf nur ein Objekt dieser Größenklasse loszulassen galt in den Andragon-Kantone wie mit Kanonen auf Spatzen zu schießen.
»Und wenn wir ihnen nur Angst machen müssen. Ich darf alle daran erinnern, dass wir die Art der Technologie dieser Spezies nicht kennen. Wir müssen auf alles gefasst sein.« Es war ungewöhnlich für Morgaine, eine verteidigende Haltung vor ihren Untergeordneten einzunehmen, doch die Umstände belasteten sie mehr als vieles, das sie bisher erlebt hatte. Sie wusste, dass wohl viele in diesem Moment dachten, dass ihre Maßnahmen völlig übertrieben waren.
Selbst wenn das Objekt eine unbekannte Technologie besaß, glaubten sie dennoch sagen zu können, dass man mit der unglaublichen Feuerkraft des AKZ ein derartiges Raumschiff ohne Probleme würde ausschalten können. Doch Morgaine war sich seit kurzem mit überhaupt nichts mehr sicher.
Wie aus dem Nichts war die Brücke in Aufruhr. Offiziere steuerten von A nach B, gaben sich gegenseitig hektische Anordnungen und hämmerten verbissen auf den Knöpfen ihrer Konsolen herum. Auch Khaust mischte sich mit eiskaltem Gesichtsausdruck unter das Geschehen und gab die primären Befehle.
Lediglich Morgaine stand auf der Plattform, starrte ausdruckslos wie gewohnt auf den Hauptmonitor und verschränkte die Arme.
Ein lautes Brummen verkündete, dass sich die Absolute-Tachyonlanze des Schiffes auflud. Dieser Vorgang dauerte etwa sieben Erdminuten und fraß enorme Energieressourcen, doch danach würde Morgaine einen Mond zerstören können, wenn sie wollte. Die Kanone konnte jedoch nach Theorie nur einmal pro Zirkulationspfad abgefeuert werden, weil die mangelnden Ressourcen dann keinen weiteren Schuss mehr ermöglichen würden. Am Ende jedes Zirkulationspfades war ein Auftanken der gesamten Schiffsressourcen vorgesehen.
Doch Morgaine befand sich nicht auf einem gewöhnlichen Zirkulationspfad.
Sie war auf einer Sondermission. Dies erschwerte die Energierechnungen zusätzlich.
Plötzlich schrie einer der Offiziere an der Scan- und Sensorstation los.
»Captain! Captain! Sie bewegen sich, sie kommen auf die Stronghold zu ... Sie sind schneller als wir angenommen hatten!« Er schien einen Moment von einem seiner Monitore abgelenkt zu sein um dann fast gequält fortzufahren.
»Es sind mehrere ...«
»Was?« Morgaines entsetzter Ausruf übertönte die ganze Brücke.
»Die Scanner, sie ... sie zeigen mehrere dieser Objekte an ... zwei, nein drei ... vier! Sie bewegen sich aus Nexusferne auf das andere Objekt zu! Ihre Bauart scheint identisch mit der des anderen Schiffes zu sein. Ich glaube ... ich ...«
»Was glauben sie? Raus damit?« Partikel von Morgaines Speichel flogen über die Plattform.
»Ich glaube, sie greifen uns an! Es ist eine Angriffsformation! Fünf Schiffe!«
Sie haben nur gewartet, dachte Morgaine. Das alleinige Schiff hatte nur gewartet. Sie wollten gar nicht auf Kom-Signale antworten.
Dies war der Ernstfall. Der Fall, vor dem jedem Captain, ja jeder Spezies grauste. Der Kontakt mit einer ohne ersichtlichen Grund feindlich gesinnten anderen Spezies.
Morgaine schossen Wortfetzen und Zitate durch den Kopf. »Eine derartige Reaktion muss nicht auf eine feindliche Gesinnung zurückzuführen sein. Eine fremde Spezies kann sich nur bedroht fühlen müssen. Eine fremde Spezies könnte andere Strukturen und Werte aufweisen. Denken sie an die Möglichkeit einer Schwarmspezies, einer kollektiven Spezies. Ein Mord in unseren Augen muss nicht ein Mord in den Augen einer anderen Spezies sein.«
Alles Geschwätz, alles leeres Gerede. Nichts davon zählte jetzt. Nichts davon interessierte. Keine Reaktion war erfolgt, außer, dass fünfzig Mann getötet worden waren. Morgaine war nicht interessiert an Theorien, sie war interessiert an ihrem Instinkt, ihrem Leben und an denen ihrer Besatzung.
»Sofort Xeter-Geschwader und Tachyon-Scarlets starten! Gefechtstürme besetzen und auf weitere Instruktionen warten!«, donnerte sie.
Die Xeter-Gefechtskreuzer waren sechshundert Meter lang und somit etwa zwanzig Mal so groß wie die kleinen Tachyon-Scarlets, die von jeweils einem Piloten geflogen wurden. Es bot sich an, die mächtigen aber trägen Xeter-Kreuzer durch die wendigen Scarlets im unmittelbaren Nahkampf zu beschützen.
Bei dem Geschwader von zehn Xeter-Gefechtskreuzern und fünf Tachyon-Scarlets pro Kreuzer schickte Morgaine sechzig Schiffe in den Kampf.
Mit einer derartigen Streitmacht konnte man etwa dreimal Saltoris komplett verwüsten.
Über das Interstellar-Kom meldeten sich die Xeter-Majore einsatzbereit, die wiederum die Befehlsgewalt über jeweils fünf Scarlets besaßen.
»Barriereformation einnehmen. Gefechtsgeschwindigkeit Alpha. Visieren sie das Alleinstehende der fünf Schiffe an und zerstören sie es. Dann warten sie die Reaktion der anderen Schiffe ab. Prinzipiell gilt jedoch: Waffeneinsatz nach eigenem Ermessen.«
Die Majore bestätigten Morgaines Befehle.
Sie sah durch den Aufruhr auf der Brücke der Stronghold hindurch auf das Hologramm.
Zehn Objekte, umgeben von einer Anzahl weiterer kleiner Objekte, bewegten sich in gleichmäßigen parallelen Abständen von der Stronghold fort und auf das fremde, allein stehende Schiff zu, hinter dem sich vier weitere Schiffe näherten. Die Xeter-Kreuzer würden das Schiff erreichen, bevor die vier anderen Objekte an dessen Position eintreffen konnten.
Khaust stand nun neben Morgaine und starrte mit ihr abwechselnd auf das Hologramm und auf den Hauptmonitor, der die Frontkamerabilder der zehn Xeter-Kreuzer, das Frontkamerabild der Stronghold sowie den Status aller sechzig ausgesendeten Raumschiffe darstellte.
Dann erreichten die Schiffe das feindliche Objekt.
Morgaine, Khaust und alle anderen auf der Brücke wurden Zeugen eines unglaublichen Schauspiels, das sich innerhalb weniger Erdminuten abspielte.
Bevor die Xeter-Gefechtskreuzer und Tachyon-Scarlets ihre Waffensysteme überhaupt ausgerichtet hatten, veränderte sich der Schleier um das fremde Objekt erneut. Er zuckte, pulsierte und schleuderte mehrere kaum sichtbare dunkelblaue Lichtblitze in unglaublich schneller Reihenfolge in Richtung der Staffel. Die Blitze durchdrangen sämtliche Magnus-Schutzfelder der Schiffe wie Luft und zerfetzten auf einen Schlag sieben oder acht Tachyon-Scarlets, bevor diese überhaupt mitbekamen, was passierte. Das Ganze wiederholte sich nach drei Sekunden erneut. Die Statusanzeigen auf dem Hauptmonitor erloschen reihenweise, bevor Morgaine überhaupt richtig realisieren konnte, was gerade geschah.
Als wäre das nicht genug, baute sich auf einmal eine Art schwarze Sphäre um das feindliche Objekt auf. Die Sphäre expandierte und deformierte sich schließlich zu einem scheinbar verbogenen, unkontrolliert tänzelndem Strahl, der über einen der riesigen Xeter-Gefechskreuzer strich und ihn einfach in der Mitte auseinander riss. Der Kreuzer glühte kurz auf und trieb dann als lebloses Wrack durch den Raum.
Читать дальше