Ihre Aufgabe ist es nun, mit der Stronghold diese Koordinaten anzustreben und herauszufinden, was dahinter steckt. Die Stronghold ist das einzige Schiff mit noch dazu einem ... fähigen Captain, so wie man mir sagte, das entbehrlich und vor allem geeignet für diese Mission ist. Benutzen sie die Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung stehen. Senden sie Sonden, Kontaktschwärme ... Tun sie, was sie für richtig halten und informieren sie die Epos.«
Morgaine schluckte. Ihre Lippen waren trocken und ihre gesamte Muskulatur schmerzte bereits, da sie die ganze Zeit so angespannt war.
Ravenberg ließ ein Script-Pad zum Vorschein kommen. »Auf diesem Pad finden sie alle notwendigen Informationen. Sie werden die Koordinaten einlesen, den Zielpunkt anstreben und ihre Mission durchführen. Ich hoffe, ihnen ist die Tragweite dieser Mission bewusst. Wir müssen herausfinden – zum Wohle der Andragon-Kantone – ob es sich bei den registrierten Objekten um Intelligenz und um Freund oder Feind handelt. Handelt es sich um eine kleine Rasse, um Boten einer entfernten Zivilisation, um ein Imperium das uns bedrohen könnte ... Finden sie es heraus. Ich lege vollstes Vertrauen in sie.« Sein letzter Satz klang normal, aber Morgaine spürte etwas Düsteres in seinen Worten.
Ravenberg reichte ihr das Script-Pad, ohne sie aus den Augen zu lassen.
Morgaine nahm es und nickte. Sie realisierte, dass die Unterhaltung zu Ende war und wandte sich langsam ab.
Als sie die Tür erreicht hatte und hindurch treten wollte, hörte sie ein letztes Mal Ravenbergs eiskalte Stimme, die wie die feine Autopsiesäge eines Pathologen durch den Raum schnitt und sie verharren ließ. »Morgaine Hera ...« Die Pause war unerträglich, die folgenden Worte schlimmer. »Enttäuschen sie mich nicht.«
»Jawohl«, sagte Morgaine kühl ohne sich umzudrehen und ging durch die Tür.
Den gesamten Rückweg mit dem Röhrentransporter konnte Morgaine Ravenbergs letzten Satz nicht vergessen. Er echote immer noch in ihrem Kopf, als würde die entsetzliche Telepathin immer noch eine gedankliche Verbindung mit ihr halten und ihr diese Worte aufdrängen wie ein Mantra.
Neben Morgaine stand einer der beiden Cyborgs, die sie auch zu Ravenberg begleitet hatten. Er stand reglos da und schien an einen nicht definierbaren Punkt jenseits der Kapsel zu starren, die mit hoher Geschwindigkeit durch die Röhren raste.
Morgaine bemerkte, dass sie zitterte. Während des ganzen Gesprächs hatte sie versucht, eine durch jahrelange Übung antrainierte ausdruckslose Miene zu bewahren. Nun rächten sich ihre unentspannten Gesichtsmuskeln.
Sie dachte über ihre Aufgabe nach. Sie war sich nicht einmal genau im Klaren darüber, wie die Mission durchgeführt werden sollte. Vieles an Ravenbergs Worten ließ Unklarheit hinter sich. Vieles jedoch war auch zu deutlich. Deutlicher als Morgaine es sich gewünscht hätte. Auch verstand sie nicht, was mit Brooge geschehen war.
Morgaine würde ihre Mannschaft einweihen müssen. Aber sie wusste, dass sie jeglichen externen Funkverkehr würde vermeiden müssen, um ein Informationsleck zu verhindern. Sie konnte erahnen, dass ein Missachten des Geheimstatus der Mission Folgen nach sich ziehen würde.
Morgaine grübelte den Rest des rapiden Röhrentransports über das Geschehene. Durch die trübe Glasscheibe der Röhrenkapsel und durch die gelben sprühenden Funken konnte Morgaine das Innere der Epos an sich vorbeirasen sehen. Der großen Halle mit den vielen Menschen folgten die Nahrungsmittelfabriken und dann die vielen Förderbänder, die größtenteils unidentifizierbare metallische Gegenstände transportierten.
Morgaine drehte sich um neunzig Grad zur Seite und konnte ein großes längliches Schild mit der Aufschrift ‚Sektor C‘ lesen. Die Kapsel wechselte ruckartig mehrere Röhren und schoss an mehreren breiten Förderbändern mit organischen Abfällen entlang.
Morgaine sah aus der Glasscheibe und war wie gebannt, als sie für einen Augenblick glaubte, deutlich ein rotes, blutiges Gebilde auf einem der Förderbänder zu sehen, dass wie ein menschlicher Kiefer aussah. Der Kiefer erinnerte Morgaine dennoch an das eines Pferdes.
Sie schaffte es, alle ihre Gedanken vollkommen zu verdrängen und hastete den Weg zu Hangarbucht 22, ohne auf den Cyborg zu achten.
Ebenfalls ohne die Hangarwachen vor dem Perser-Shuttle zu registrieren, rannte sie durch die offen stehende Schleuse in das Shuttle. Sie ließ sich in den Sitz fallen und starrte die sich schließende Schleuse an, als hinge ihr Leben davon ab, bis der PGA leise zu summen anfing und das Perser-Shuttle sich in Bewegung setzte.
Der erste Offizier musste offensichtlich an Morgaines bleicher Gesichtsfarbe erkannt haben, dass etwas nicht in Ordnung war. »Captain Hera! Wie ist das Treffen verlaufen? Stimmt etwas nicht?«
Einige Offiziere auf der Brücke der Stronghold blickten auf. Manche versuchten, Morgaines Gesichtsausdruck zu lesen. Doch sie schaffte es, ihre gewohnte Ausdruckslosigkeit herzustellen, als sie vor Khaust auf der Plattform stand.
»Es ... Es ist soweit alles in Ordnung.« Es gelang ihr jedoch nicht ganz, ein Stottern zu verhindern. »Wir sollten uns unter vier Augen unterhalten. Jetzt sofort.« Sie blickte ihn durchdringend an.
Nachdem Khaust ihr ins Kapitänsbüro gefolgt war, erzählte sie ihm den Verlauf des Treffens. Er hörte wie immer stillschweigend zu, bis sie zum Ende kam und sagte schließlich nach einer Pause: »Ich werde sofort alles Notwendige in die Wege leiten. Der Funkverkehr muss untersagt werden.«
»So ist es«, bekräftigte Morgaine. »Sämtliche Kom-Verbindungen werden gesperrt. Nicht nur die offiziellen, sondern auch die privaten. Der Besatzung muss klar sein, dass es sich um einen Ernstfall handelt. Kein Funkverkehr mehr mit Freunden und Verwandten, keine Kom-Briefe, keine Benachrichtigungen.
Es dürfen keine Informationen nach Außen gelangen sonst ...« Sie stockte.
Khaust verstand sofort. »Ich werde dafür sorgen.«
»Hier haben sie die restlichen Informationen und die genauen Koordinaten. Sämtliche Routineprüfungen und Übungen oder dergleichen werden ab sofort eingestellt. Die vollste Aufmerksamkeit gilt ab jetzt der Mission. Bereiten sie Sonden vor und gehen sie auf Alarmstufe Gelb-Drei. Ich möchte, dass sie die Stronghold darüber informieren, dass wir eine Spezialmission im Namen des Andragon-Kanton-Zusammenschlusses durchführen. Erläutern sie jedoch nicht die Details dieser Mission an Offiziere vierten Grades. Lediglich die Besatzung der Brücke sollte darüber informiert werden, mit was wir es zu tun haben könnten.« Morgaine betätigte mehrere Knöpfe auf dem Bedienungspult an ihrem Schreibtisch, um diverse Ressourcen, Energievorräte, Mannkapazitäten und andere Statistiken zu überprüfen.
»Bestätigt.« Khaust strich sich über seinen Bart.
»Wegtreten«, murmelte Morgaine, die in Gedanken bereits in ihren Statistiken und verschiedenen Vorgehensweisen schwebte.
Stunden vergingen. Die Stronghold reiste mit AKZ-Prioritätstempo in Richtung des Bogenscheinportals zu ‚Grüner Schlund‘.
Morgaine war nun seit nicht ganz einem Tag im Arym Var-System und dennoch hatten sich ihre Befürchtungen bestätigt. Etwas war an diesem System, oder vielleicht waren es tatsächlich nur die Umstände und Geschehnisse, die Morgaine beunruhigten und Angst machten. Sie saß in ihren Privaträumen, die dem Kapitänsbüro angrenzten, welches sich wiederum direkt neben der Brücke befand. Vor ihr befand sich ein Pulshologramm, das über einem Gerät zum Vorschein kam. Das Hologramm schien über einem kleinen Tischchen zu schweben und zeigte einen großen Teil des Systems nach Scannerinformationen der Andragon-Kantone. Im Zentrum des Hologramms befand sich ein kleiner roter Pfeil, der die Stronghold mit ihrer derzeitigen Bewegungsrichtung darstellte.
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