In der Küchentür drehte er sich noch einmal überschwänglich zu seinen Kindern um. Loana hatte großes Glück, dass er ihr dabei nicht vor lauter Übermut den Kopf am Türrahmen anstieß. »Äh, ich bring sie rauf. Wir sehen uns später. Ach, und Anna, sag Sentran doch bitte, er möge allmählich mit deiner Schwester ins Schloss hineingehen. Es ist bitterkalt da draußen. Auch die heißesten Küsse können sie vor dem Erfrieren nicht retten.« Dann trug er seine Kened davon.
Anna war gerade auf dem Weg zur Tür, als Lena zur Küche hereinkam. »Ich war noch draußen«, meinte Lena verlegen.
»Ich weiß«, antwortete Anna staubtrocken.
»Wir haben nur …«
»Ich weiß.«
»Sentran kümmert sich noch …«
»… um Pan. Ich weiß.«
»Um Himmels Willen, Anna, würdest du bitte nicht so selbstgefällig grinsen und mal kurz mit mir rauskommen?«
Anna sah Viktor an.
»Du hältst dich gefälligst aus unseren Köpfen raus. Ist das klar?«
Viktor nickte wohlwollend, wobei seine Lippen allerdings verdächtig zuckten, so, als ob er tapfer versuchte, ernst zu bleiben. Nach einem kurzen missbilligenden Kopfschütteln in seine Richtung führte Anna ihre Schwester zur Bibliothek.
Sie beobachtete Lena, wie die sich mit staunendem Gesicht in dem großen Raum mit den hohen Regalwänden voller Bücher umschaute und dabei fast vergaß, warum sie eigentlich hergekommen waren. Anna erinnerte sich, wie sie selbst zum ersten Mal die Bibliothek bewundert hatte. Die riesigen Fenster und Oberlichter, aus denen das Licht geradezu hereinzustürzen schien. Sie konnte nachvollziehen, wie beeindruckt Lena davon war, besann sich allerdings darauf, dass sie miteinander reden wollten, und sah ihre Schwester auffordernd an. Trotz der vielen bequemen Sessel blieben sie stehen.
»Wir haben uns geküsst.«
»Ich weiß, Lena.«
»Anna, ich weiß aber nicht! Ich weiß nicht, was mit mir los ist!«, platzte es mit einem Mal aus ihr heraus. »Ich bin komplett verwirrt. Ich wollte das doch gar nicht. Und dann … Es kam so überraschend, war so berauschend, unglaublich! Es kann doch nicht sein, dass ich mich in ihn verliebt habe, oder? Ich hab ihn gerade erst kennengelernt. Das ist doch total verrückt!«
»Ist es das?«
»Anna!« Lena verschränkte die Arme vor der Brust, löste sie aber sofort wieder und tippte mit dem Zeigefinger gegen Annas Schulter. »Würdest du mich jetzt bitte ernst nehmen? Ich bin total konfus und du machst dich auch noch lustig über mich.« Sie fasste sich an die Stirn. »Was tue ich hier eigentlich? Ich knutsche draußen in einem elfischen Schlosspark bei eisiger Kälte mit einem riesigen Elfenmann herum, bis ich nicht mehr weiß, wo mir der Kopf steht, und dann frag ich auch noch meine kleine Schwester um Rat.« Sie sah Anna an. »Das ist wirklich total verrückt. Ich muss total verrückt geworden sein. Anders kann man das ja wohl nicht erklären.«
»Na danke«, gab Anna patzig zurück. »Danke dafür, dass dir mein Rat vielleicht einzig deshalb nicht gefallen wird, weil ich nur deine kleine Schwester bin.« Mit in den Hüften gestemmten Fäusten und beleidigter Miene blickte sie Lena erbost an.
»Ach, so war das doch gar nicht gemeint. Ich will deinen Rat ja«, beschwichtigte die sie. »Also, bitte antworte mir. Kann es sein, dass ich mich in ihn verliebt habe? Denn ich fühle mich eindeutig so.« Sie lief tomatenrot an und schluckte schwer. »Am liebsten würde ich jetzt gleich mit ihm … Na ja, du weißt schon.«
»Ja, ich weiß. Und ich verstehe dich.« Anna legte die Arme um Lenas Schultern. Dabei schaute sie ihr tief in die Augen. »Das liegt an ihnen, Lena, an den Elfen. Versteh mich bitte nicht falsch. Du hast dich natürlich nicht in Sentran verliebt, weil er ein Elfe ist. Aber die Geschwindigkeit, mit der das alles passiert, das liegt eindeutig daran, dass er ein Elfe ist. Bei Elfen geht nämlich Alles viel schneller und ist noch dazu intensiver. Sentran hat dich sozusagen mit seinem Tempo angesteckt. Jetzt musst du dich entscheiden, ob du dieses Tempo mitgehen willst.«
***
Er hatte den Stallburschen weggeschickt. Der hatte sich bereits um Ariella gekümmert. Doch Sentran wollte Pan nun selbst versorgen. Er mochte dieses Pferd und freute sich schon darauf, bald selbst ein solch edles königliches Tier zu erhalten. Das war allerdings nicht der Grund, weshalb er statt mit Lena in die Schlossküche lieber erst einmal in den Stall gegangen war. Nein, er musste sich unbedingt beruhigen und ablenken.
Er füllte Pans Futtertrog und begann danach, das Pferd abzureiben und zu striegeln, während es fraß.
»Sie ist viel zu zerbrechlich für mich«, sprach er leise und strich über das schwarze Fell. »Ein Mensch.«
Dann schwieg er. Ihm gingen die vergangenen wundervollen Momente, Lenas Küsse, durch den Kopf. Er spürte, wie sehr er sich zu Lena hingezogen fühlte, wie sehr er sich nach ihr verzehrte.
Seine Stimmung verdüsterte sich.
… Er hatte schon einmal so begehrt. Doch Kirsa hatte sich für die Ehe aufsparen wollen. Fünf lange Jahre! Fünf Jahre lang hatte diese Frau ihn seit der Verlobung hingehalten. Sie hatte den Hochzeitstermin immer und immer wieder verschoben, bis zu seinem endgültigen Ultimatum. Und dann war sie nicht gekommen. Sie war zu ihrer eigenen Hochzeit einfach nicht erschienen. …
Sentran lehnte die Stirn an Pans Hals. Das Pferd schnaubte zärtlich.
»Sie hat mir nicht gesagt, warum sie das getan hat, Pan. Sie hat nur mit den Achseln gezuckt und gemeint, ich sei wohl doch nicht der Richtige für sie.« Sentran striegelte weiter Pans Fell.
»Ich kann Lena unmöglich noch näherkommen. Ich glaube, ich würde über sie herfallen, so sehr will ich sie. Nach diesen fünf Jahren weiß ich einfach nicht, ob es meine Abstinenz oder mein Verlangen oder meine Liebe ist, die mich treibt.«
»Ich würde sagen, dass du trotz fünf Jahren Enthaltsamkeit kein Wüstling bist, der über eine wehrlose Menschenfrau herfällt, Sentran.«
Erschrocken wirbelte er herum und blickte geradewegs in Ketus ruhige hellbraune Augen. Sentran hatte ihn nicht kommen gehört, ihn nicht gespürt, sich selbst nicht verschlossen, noch dazu laut mit sich und einem Pferd gesprochen.
»Wie hat Vitus das so treffend gesagt?: Es sind die Frauen. Sie machen uns schwach. Und wir können nichts dagegen tun. Du bist auch nur ein Mann, der seinen Geist aufgrund der Liebe zu einer Frau nicht mehr im Griff hat.« Ketu trat ein Stück näher. »Und du bist kein lüsternes Monster, Sentran. Du hast dich einfach nur verliebt.«
Ketu schien Sentrans Reaktion sehr genau zu beobachten. »Ich hatte eigentlich gar nicht vor hierherzukommen, aber als ich vor ein paar Minuten meine Schicht antrat, habe ich unbeabsichtigt deine Gefühle und Gedanken wahrgenommen.« Er sah Sentran in seiner typisch besonnenen Art an. »Ich wollte es nicht, doch es hat mich angerührt, wie sehr du verletzt worden bist und wie du über Lena denkst.«
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