Er lachte auf. »Fühlst du denn nicht, dass du dir keine Sorgen zu machen brauchst, du Dummerchen?« Anna sah ihn fragend an. »Süße, Sentran kümmert sich um deine Schwester. Sehr intensiv, sehr liebevoll und sehr stürmisch.«
Viktor grinste weiterhin derart breit und frech, dass Anna sich etwas beruhigte. »Oh, na dann, hhm«, druckste sie.
»Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen, Kleines. Lena ist erwachsen und Sentran kein Wüstling.« Er blickte sich demonstrativ um. »Ich mach mir eher Sorgen um meinen Vater und Loana. Wo stecken die beiden bloß? Vitus weiß doch, dass wir hier sind.«
***
»Ooh, Vitus, tut mir leid, es geht schon wieder los.« Loana rannte Richtung Bad und Vitus hinterher. »Ach, Liebster, nun lass mich doch bitte allein. Ich …«
Weiter kam sie nicht, denn sie erbrach sich zum dritten Mal an diesem Tag. Sie kauerte vor der Toilettenschüssel und wurde so heftig von Würgekrämpfen geschüttelt, dass ihr Tränen die Wangen herunterliefen.
»Loana, da kann doch gar nichts mehr zum Ausspucken sein. Das gibt’s doch nicht. Was ist denn nur mit dir los?«
»Ich glaube, jetzt ist es gut«, keuchte sie, während sie wieder aufstand. Als sie daraufhin zum Waschbecken ging, funkelte sie Vitus an. »Geh doch bitte schon mal runter zu den Kindern. Ich mach mich nur schnell ein bisschen frisch.«
»Ich weiß nicht.«
»Vitus, lass mich einfach mal allein, ja?« Loanas Tonfall war deutlich gereizt, wie schon so oft in letzter Zeit.
Zögernd ging Vitus in Richtung Tür. »Bist du dir sicher?«
»Ja, bin ich. Ich komme sofort nach.« Sie seufzte, als sie seinen zweifelnden Blick sah. »Ganz bestimmt, Vitus. Ich komme gleich.«
Zutiefst beunruhigt verließ Vitus das Bad.
… Bei Estra hatten sie noch gedacht, es hätte am Obstler gelegen. Seitdem hatte sich Loana jeden Tag übergeben müssen. Mal war es heftig, mal etwas weniger, doch immer regelmäßig. Vitus kam fast um vor Sorge. Seine Kened war krank. Und er konnte nicht erkennen, was ihr fehlte. …
Mit diesen Gedanken betrat er die Küche, wo Anna und Viktor am Tisch saßen und gemeinsam an einer Suppe löffelten. Beide hörten sofort auf zu essen, als sie Vitus erblickten.
»Himmel, Vater, was ist passiert?«, wollte Viktor wissen. »Natürlich ist was nicht in Ordnung«, fügte er rasch hinzu, weil Vitus abwehrend den Kopf schüttelte.
»Ist etwas mit Loana?«, hakte Anna nach.
»Ich weiß es nicht.« Vitus konnte seine Verzweiflung und Besorgnis nicht mehr unterdrücken. »Ihr geht es nun schon seit mehreren Wochen so schlecht. Andauernd ist ihr übel und sie kann kaum noch etwas bei sich behalten.« Er schaute seinen Kindern in die Augen. »Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll.«
Völlig erschöpft und ausgelaugt setzte er sich zu ihnen an den Tisch.
Nach einer kurzen Denkpause lächelte Anna milde.
»Regelmäßige Übelkeit und Erbrechen? Müdigkeit, Kraftlosigkeit? Vielleicht hier und da auch Reizbarkeit? Vitus! Denk nach!«
Ihr Lächeln verstörte ihn. Er hatte die Ellenbogen am Tisch aufgestellt, raufte sich die langen Haare, als er schlagartig innehielt und Annas Gedanken mit seinen kombinierte. Er spürte, wie sämtliche Farbe aus seinem Gesicht sickerte. Seine Hände begannen zu zittern.
Dann ließ er seine Ellenbogen auf den Tisch sinken und sah Anna ungläubig an. »Du meinst, sie ist … Du meinst, sie bekommt … Sie, sie ist …«
***
Loana kam gerade zur Küche herein, da hörte sie, wie Vitus ein, nein, das Licht aufging. Überglücklich umschlang sie ihn von hinten und flüsterte ihm zärtlich ins Ohr: »Ja, Vitus, ich bin es, ich bekomme tatsächlich ein Kind. Wir bekommen ein Baby.«
Vitus drehte den Kopf zu ihr. Seine Miene versteinerte sich zu einer harten Maske. Er zitterte leicht und war kreidebleich.
»Was habe ich getan?« Er sprang derart schnell auf und ging auf Loana zu, dass sie erschrocken zur Seite trat. »Es tut mir so leid.« Fahrig fuhr er sich mit der Hand über Gesicht und Haar. »Das hab ich nicht gewollt. Was sollen wir denn jetzt nur tun?«
Loana brach es fast das Herz. Mit einer solchen Reaktion hatte sie wahrlich nicht gerechnet. Sie hatte jahrelang angenommen, keine Kinder bekommen zu können. Doch heute Morgen war sie sich mit einem Mal über ihren Zustand klargeworden. Heute Morgen hatte sie endlich erkannt, warum ihr andauernd so schlecht war, und sich so sehr darüber gefreut. Ein Baby! Sie und Vitus würden Eltern werden.
Aber nun verflog all ihre Freude darüber, weil sie in Vitus’ Augen eben keine solche Freude, sondern schiere Verzweiflung sah – und Angst, pure Angst, eher sogar Panik. Im ersten Moment begriff sie überhaupt nicht, wieso er so anders als erwartet reagierte. Mittlerweile hatte sie geglaubt, ihn trotz der Kürze der Zeit gut genug zu kennen.
Für einen winzigen Augenblick bereute sie sogar ihre Entscheidung, anstatt nach dem Sieg über Thalis, Maiwenn und Suna in der Bretagne zu bleiben, mit Vitus zurück zum Schloss gegangen zu sein. Hatte sie sich von ihrem geliebten Vitus in die Irre führen lassen?
Das konnte sie einfach nicht glauben. Darum schaute sie nochmals hin, diesmal genauer – und ihr fiel ein Tausendtonnenstein vom Herzen vor Erleichterung. Ihr Liebster war nicht verzweifelt, weil er das Kind nicht haben wollte, sondern in reinster Sorge, sie zu verlieren. So, wie er schon einmal eine Frau verloren hatte, weil diese von ihm schwanger gewesen war.
Ihre aufkommenden Tränen zurückzwingend ergriff sie seine Hand. »Vitus, nein, ich werde nicht sterben. Ich werde dein Kind, unser Kind, zur Welt bringen. Wir werden es gemeinsam großziehen. Bitte, Vitus«, flehte sie ihn an, als er sich von ihr abwenden wollte. »Es ist ein Wunder, wo ich doch immer dachte, keine Kinder bekommen zu können. Lass mich nicht allein. Bitte – Mar plij .«
Kraftlos ließ sie sich auf einen Stuhl sinken, kämpfte weiterhin mit den Tränen und mit erneut aufsteigender Übelkeit.
***
Loanas schlechte Verfassung und ihre Traurigkeit holten Vitus aus seiner düsteren Panik.
Endlich registrierte er ihre Worte und setzte sie im Kopf um: Sie würde ein Kind von ihm bekommen. Meine Güte, er würde noch einmal Vater. Wahnsinn! Blitzschnell hob er sie hoch. »Du musst dich hinlegen, Loana, du brauchst Ruhe, viel Ruhe!« Doch dann konnte er sich vor lauter Freude nicht mehr bremsen und drehte sich mit ihr im Kreis. »Du kriegst ein Baby, Loana! Das ist fantastisch! Wir beiden kriegen ein Kind!«
Als er sie glücklich ansah, spürte er deutlich, dass seine Drehungen ihrem Magen gar nicht gutgetan hatten. »Oh verzeih, Kened . Das war dumm von mir. Ich bring dich rasch nach oben.«
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