» Grober , Loana, es heißt eigentlich: grober Holzklotz oder noch besser grober Klotz .«
Loana stemmte die Fäuste in die Hüften und blitzte Vitus mit ihren edelsteingrünen Augen an.
»Meinetwegen schimpfe mich ein rohes Klotzholz, wenn es dich glücklich macht, meine Schöne.« Er hob ergeben die Hände und bedachte sie mit einem derart glückstrahlenden Lächeln, dass ihr scheinbar fast die Luft und zudem gänzlich die Sprache wegblieben. Sie klappte den bereits zur Widerrede geöffneten Mund wieder zu und folgte ihm ins Wohnzimmer.
Vitus bemerkte, wie die anderen Frauen den fremden Mann musterten, den er und Loana neben den Wachmännern Timmun und Essem mitgebracht hatten. Wie üblich blieben alle drei Wachleute respektvoll vor der Tür stehen, bis Vitus sie aufforderte einzutreten.
Er gab seinen beiden Töchtern einen Kuss auf die Wangen. Seit er Anna kennengelernt hatte, sah er sie als seine Tochter an, so wie ihm Ketu ein Sohn war.
Danach reichte er Lena und Silvi die Hand und blickte ihnen mit seinen meergrünen Augen tief in die Seele.
»Wie ich sehe, habt ihr mittlerweile die elfischen Neuigkeiten ganz gut verkraftet. Das freut mich. Und es freut Loana und mich, dass ihr uns auf unserer Hochzeit als Brautjungfern begleiten werdet.«
Silvi war hochrot angelaufen und des Sprechens offenkundig nicht fähig. Also übernahm Lena tapfer das Wort: »Es war sehr nett von euch, uns darum zu bitten. Wir haben uns total darüber gefreut. Nicht wahr, Silvi?«
Die nickte tonlos. Vitus schmunzelte über ihre Gefühle. Es sah so aus, als machte er ihr stets ein bisschen Angst, obwohl er sich so viel Mühe gab und sie auch jetzt freundlich anschaute. Doch seine Aura von Autorität und Macht schüchterte sie weiterhin ein.
Unterdessen hatte auch Loana alle begrüßt und nahm nun Silvis Hand, um sie mit ihrer heilenden Kraft ein wenig zu beruhigen. »Mach dir keine Sorgen, Silvi«, sprach sie sanft. »Ich habe ihn zwar – wie war das noch gleich? – ach ja, einen groben Klotz genannt, aber meistens ist er eher ein weiches Ei.«
Erneut schossen Vitus’ Brauen in die Höhe, doch er biss sich auf die Lippe und schluckte einen weiteren Tadel bezüglich Loanas manchmal äußerst eigentümlichen Sprachgebrauchs hinunter.
Himmel, war diese Frau süß, dachte er vergnügt. Er liebte einfach alles an ihr. Ihr Temperament und ihre außergewöhnlichen Talente. Was allerdings das Fluchen und Schimpfen betraf, das konnte sie eindeutig besser auf Bretonisch.
Natürlich erkannte Loana, was in ihm vorging, und lachte. »Jaja, Vitus, ist ja gut. Ich werde es schon noch lernen.«
Sie ließ sich auf dem Sofa nieder und Vitus nahm neben ihr Platz.
Als Viktoria hinausgehen wollte, um für die drei Wachleute Stühle aus dem Esszimmer zu holen, trat ihr der Fremde entgegen.
»Bleibe hier, Königstochter«, bat er sie ernst. »Wir werden uns die Stühle selbst holen.« Er ging hinaus und die anderen beiden folgten ihm.
Mit großem Interesse verfolgte Vitus, wie Timmun und Essem dem neuen Mann ohne Zögern hinterhergingen, obwohl sie ihn kaum kannten. Sie schienen sich bereits gut zu verstehen.
»Wer ist das, Vater?«, erkundigte sich Viktoria leise.
»Das ist Sentran, der neue sechste Mann.« Dabei sah er ihm stirnrunzelnd nach. Eigentlich hatte Vitus nicht vorgehabt, ihn schon als sechsten Mann zu bezeichnen, weil er ihn zunächst nur probeweise mit zum Schloss nehmen wollte. Doch irgendwie fand er es richtig, ihn schon jetzt so zu nennen. Wenn er ehrlich war, musste er zugeben, dass er seine Wahl bereits getroffen hatte.
Seine Aufmerksamkeit wurde nun auf Ketu gelenkt, der mit Viktor und Jens die Treppe herunterkam. Ketu, einer seiner Elitewachmänner und zudem Sistras Bruder, würde Zeit brauchen, sich daran zu gewöhnen, Sistra nach dessen Tod scheinbar durch einen Fremden ersetzt zu sehen, überlegte Vitus.
Er stand wieder auf, um die drei Männer zu begrüßen und ihnen Sentran vorzustellen.
Dieser ließ daraufhin seinen Blick durch die Runde schweifen – ruhig und besonnen – von einer Person zur anderen. Es war, als würde dieser Blick einen silbergrauen Streifen hinter sich herziehen. Nur einen winzigen, kaum registrierbaren Moment hielt er bei Lena inne und im selben Moment senkte die ihre Lider.
Neben diesem kaum merklichen Blickkontakt zwischen Lena und Sentran vernahm Vitus, wie nicht anders von ihm erwartet, ein kurzes Blitzen in Ketus hellbraunen Augen, das aber gleich wieder erlosch. Außerdem spürte Vitus, dass auch Sentran Ketus Empfindungen wahrgenommen hatte. Mitzuverfolgen, wie sich die beiden Wachmänner weiterhin beäugen und annähern würden, dürfte nach Vitus’ Ansicht spannend werden. Und sie würden einander näher kennenlernen, sich sogar anfreunden, dessen war Vitus sich gewiss.
Viktor riss ihn aus seinen Spekulationen. »Ich schätze mal, wir haben keine andere Wahl, als uns daran zu gewöhnen, dass du auf immer die gleiche Weise, also ohne zu klingeln, hier bei uns reinplatzt.«
Vitus lächelte verschmitzt. »Tja, das ist wohl das Privileg eines Königs.« Er nahm einen Schluck von der Cola, die Viktoria ihm eingeschenkt hatte. »Nein, ich wollte euch ursprünglich nur kurz Sentran vorstellen. Dann war es einfach so, dass ich nicht widerstehen konnte, als man sich darüber Gedanken machte, auf unserer Hochzeit in Bonbonrosa zu erscheinen. Eine wirklich nette Idee und so passend zur Kirschblüte. Findest du nicht auch, Kened ?«
Während er sprach, wickelte er gedankenverloren eine Strähne ihres honigblonden Haares um seinen Finger.
»Du weißt, dass ich an der Tür läuten wollte, so wie es sich gehört. Und bonbonrosa würde mir nicht unbedingt gefallen. Aber ihr sollt eure Wahl selbst treffen. Ich habe ja schließlich schon genug mit mir und meinem barfüßigen Bräutigam zu tun.«
Sofort blickten alle an Vitus hinunter, der, wie üblich und so auch an diesem bitterkalten Tag, keine Schuhe trug. Diese elfische Vorliebe hatte Vitus als Erbe an seinen ebenso barfüßig dasitzenden Sohn weitergegeben. Auch seine Wachen gingen normalerweise ohne Schuhe, hatten allerdings für Besuche in der Menschenwelt stets leichtes Schuhwerk dabei.
»Privileg eines Königs hin oder her«, richtete sich Viktoria an ihren Vater, »du wirst an deinem Hochzeitstag doch wohl Schuhe anziehen.«
»Ach, liebste Tochter, was soll ich dir nun darauf antworten?« Er seufzte theatralisch. »Selbstverständlich werde ich zu meiner eigenen Hochzeit standesgemäß erscheinen.« Als er daraufhin nicht nur von seiner Tochter skeptische Blicke erntete, fügte er hastig hinzu: »Mit Schuhen an den Füßen, jaja. Dabei hätte es mir durchaus Spaß gemacht, meine Verlobte noch ein klein wenig im Ungewissen zu lassen und aufzuziehen. Jetzt hast du mich um den ganzen Spaß gebracht.«
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